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Von Liedertafeln

Franz Metz:

Von Liedertafeln und Gesangvereinen im Banat

 

 

Südosteuropäische Musikhefte, Band 2

ADZ-Verlag, Bukarest 1998, Edition Musik Südost, München

 

ISBN 978-3-939041-04-7

Preis: 10,- €

 

 

Von einer Chortradition der Banater Deutschen können wir erst von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an sprechen, eine Zeit, in der bereits wenige Jahrzehnte nach der Ansiedlung der ersten deutschen Kolonisten, in vielen Kirchen dieser südosteuropäischen Region mehrstimmig gesungen wurde. Dafür sprechen die zahlreichen handschriftlichen Dokumente und Berichte in den Kirchenbüchern aus Orawitza, Lugosch, Arad und Temeswar. Diese Chöre bestanden aus 13-15 Sängern, die Sopran- und Altstimmen wurden von Sängerknaben gesungen die eigens dafür von dem Domkapellmeister oder Regenschori ausgebildet wurden.

Wenn die mitteleuropäische Chorbewegung bereits am Anfang des 19. Jh. durch die Gründung von Liedertafeln initiiert wurde, konnte im Banat dies erst nach den revolutionären Ereignissen der Jahre 1848-49 geschehen. Erst die neuen politischen Voraussetzungen nach dem Jahre 1849 ließen die Gründung von Gesangvereinen nach mitteleuropäischem Muster zu. Eine Vorreiterrolle in diesem Sinne spielte die Chorbewegung in Deutschland und später Österreich, von wo die organisatorische Struktur übernommen wurde. Grundlegend für die Geburtsstunde der Gesangvereine sind die als Auswirkung der kulturellen Umschichtung schon gleich zum Beginn des 19. Jh. auftretenden Veränderungen der psychologischen und soziologischen Struktur der Musik. Um die Mitte des Jahrhunderts gab es bereits in jeder deutschen Stadt wenigstens einen Gesangverein. 1849 wurde in Göppingen der Schwäbische Sängerbund gegründet, dem 27 Vereine beitraten. 1862 versammelten sich Abgeordnete von 41 Sängerbünden und gründeten in Coburg den Deutschen Sängerbund. Nach 1849 wuchsen Gesangvereine wie Pilze aus dem Boden, in jedem Banater Dorf, in Siebenbürgen sowie im damaligen restlichen Ungarn wurde ein Gesangverein ins Leben gerufen, in den Städten wie Temeswar, Szeged, Fünfkirchen, Klausenburg, Hermannstadt, Kronstadt oder Bukarest gab es gleich mehrere. Auch durch die Presse wurde zur Gründung von Gesangvereinen aufgerufen und es wurden Beiträge namhafter Musiker zu diesem Thema gebracht.

Liest man die erhaltenen Texte der Ansprachen wie auch die verschiedenen Briefe der Jahren 1871-1880 aus dem Archiv des Temeswarer Philharmonischen Vereins so kann man immer wieder auf den gleichen Inhalt stoßen: das Singen im Verein wurde von höchster Stelle empfohlen und von dem breiten Bürgertum zur Lieblingsbeschäftigung erklärt. Ob Straßburg oder Temeswar, Bukarest oder Budapest, Pressburg, Wien, Hermannstadt oder Nürnberg: die Chorbewegung war grenzenlos und die Schwelle zur musikalischen Bildung der breiten Masse konnte am Besten mit Hilfe der Gesangvereine überschritten werden. Einer der ersten deutschen Gesangvereine des Banats wurde 1852 in Lugosch gegründet, der Lugoscher Gesang- und Musikverein. Aus diesem wurde gemeinsam mit dem 1886 gegründeten ungarischen Gesangverein 1902 ein ausschließlich ungarischer Chor. Kurze Zeit nach der Gründung des Lugoscher Gesangvereins entstand der Perjamoscher Gesangverein, dann 1865 der Hatzfelder MGV, 1867 der Karansebescher Musik- und Gesangverein der mit dem 1887 gegründeten Karansebescher Gewerbegesangverein fusionierte und gemeinsam den Karansebescher Philharmonischen Verein bildete. 1867 entstand auch der Saderlacher Gesangverein, 1869 der Steierdorfer MGV, 1870 der Reschitzaer Gesangverein, 1875 der Tschakowaer MGV. Einer der ersten deutschen Bauerngesangvereine des Banats war der 1882 gegründete Neupetscher MGV, es folgten 1884 der Marienfelder Musik- und Gesangverein, der Neubeschenowaer Gesangverein, der Schöndorfer MGV, 1886 der Segenthauer MGV, 1887 der Schager MGV, 1891 der MGV von Großscham, 1893 der Deutschbentscheker MGV und der Hatzfelder Gewerbegesangverein. 1894 beginnt der Aninaer Gesangverein seine Tätigkeit, 1896 der Gesangverein zu Ostern, 1898 der Moritzfelder Gesangverein, 1901 der Steierdorfer Bergmännische Gesang- und Leseverein, 1902 der Mehalaer Gesangverein, der Billeder Sängerbund und der Morawitzaer MGV. 1904 wurde der Warjascher Gesangverein „Harmonie“ gegründet, 1907 der Tschatader (Lenauheimer) Gesangverein und 1908 wurde der 1886 gegründete Gertianoscher MGV wieder ins Leben gerufen.

Die Sammlung Regensburger Liederkranz war die meistverbreitete Veröffentlichung dieser Art in deutschem und südosteuropäischem Raum. Wir finden Ausgaben der alten Partitur sowie der einzelnen Stimmbücher in fast allen Chorarchiven des Banats. Eine Komposition dieser Sammlung, Die Thräne von Franz Witt, wurde zum Vereinslied der Temeswarer Philharmoniker gewählt. Zu dem Archiv des Philharmonischen Vereins gehören nicht nur Plakate, Konzertprogramme, Fotos namhafter Künstler, Presse- und Jahresberichte sondern auch die gesamte Korrespondenz von fast 80 Jahren. Über den Umfang der Beziehungen zu anderen Chören kann man sich erst dann ein rechtes Bild machen, wenn ein größeres Ereignis bevorstand, so wie es 1891 oder 1903 der Fall war. Dann nämlich kamen tausende Sänger nach Temeswar um hier das Landessängerfest abzuhalten. In der Zeitspanne 1871-1900 pflegte der Temeswarer Philharmonische Verein freundschaftliche Beziehungen zu fast 100 Chören in Temeswar und im restlichen Banat, Ungarn, Österreich, Deutschland, Amerika, Bulgarien und Rumänien.

In der zweiten Hälfte des 19. Jh. wurden in größeren Industriezentren bereits die ersten Arbeiter-Gesangvereine gegründet, solche gab es auch in der Temeswarer Fabrikstadt, in Reschitza, Steierdorf und in Arad (Gesangverein der Waggonfabrik). Der von den Banater deutschen Gesangvereinen im 19. Jahrhundert am meisten gesungene Komponist war Konrad Paul Wusching (1827-1900). Schon 1851 war er einer der Gründer des Lugoscher Gesangvereins und dessen erster Dirigent. In seiner 50-jährigen Tätigkeit komponierte er über 300 Werke, meist waren dies Männerchor mit ungarischem Text und patriotischem Inhalt. Einige seiner kirchenmusikalischen Werke wurden in Budapest und Wien veröffentlicht, seine Männerchöre wurden von fast allen Gesangvereinen Ungarns gesungen.

Das Liederbuch war für jeden Gesangverein des 19. Jh. das A und O des Repertoires. Viele Liederbücher sind vom Dirigenten eigenhändig zusammengestellt worden und manche Stücke wurden vom Sänger selbst in sein Stimmheft daraus abgeschrieben. Von den im Banat im 19. Jh. gedruckten Liederbücher ist das Banater Liederbuch von Treufest Peregrin aus heutiger Sicht das interessanteste. Die erste Auflage erschien um 1858 und enthält Lieder in 7 Sprachen, also in fast all jenen die im Banat gesprochen wurden: deutsch, ungarisch, serbisch, rumänisch, kroatisch, slavonisch und böhmisch. Im Vorwort dieser Sammlung schreibt der Herausgeber wie folgt: "(...) Vielleicht giebt es keinen zweiten Punkt in der Welt, wo auf einem gleichen Raume so viele Sprachen und Mundarten neben und unter einander gleichberechtigt Geltung haben, als dies im Banate der Fall, und wollte man dagegen das gleiche Vorkommen, ja die vielleicht noch größere Mannichfaltigkeit in namhaften See- und Handelsstädten aufstellen, so würde eine solche Annahme schon dadurch viel von ihrer Beweiskraft verlieren, daß im Banate alle diese Sprachen als eingeborene, seit Jahrhunderten bestehende zu betrachten sind, während in den gedachten See- und Handelsstädten das Schiff oder Gefährt, das den Fremdling gebracht, ihn und seine Sprache nach kurzer Zeit auch wieder fortführt um anderen Fremdlingen Platz machen. (...)“

Durch die kulturpolitische Tätigkeit der Gesangvereine auf lokaler Ebene konnten in vielen banater Orten im 19. Jh. Musikschulen entstehen und wurden regelrechte Konzertreihen initiiert. 1909 wurde der „Sängerbund der Obertorontaler Landwirte“ gegründet, dazu gehörte der Billeder Sängerbund, der Lenauheimer (Tschatader) MGV und der Gertianoscher MGV. Es war dies der erste schwäbische Sängerbund des Banats, dem in den folgenden Jahren noch weitere acht Chöre hinzutraten. Dieser musische Aufschwung in den schwäbischen Dörfern Torontals war nur von kurzer Dauer, mit dem Beginn des ersten Weltkriegs kam es zu einer Erlahmung des Vereinswesens auch im Banat.

Was 1920 nur kurze Zeit nach der Teilung des Banats nicht gelingen wollte, konnte 1922 verwirklicht werden. Am 27. August 1922 wurde in Perjamosch anlässlich eines Chortreffens der „Bund Banater Deutscher Sänger“ (BBDS) gegründet. Die Idee der Gründung stammte von Lehrer Johann Ruß und Pfarrer Otto Dittrich aus Gertianosch. Bereits 30 Gesangvereine traten diesem Sängerbund bei, 1925 waren es schon 67 Chöre. Zweck des Bundes war in erster Linie „Pflege des deutschen Liedes durch Übung des volkstümlichen Chorgesangs“. Gelegentlich der Gründung des Bundes wurde das erste Bundesfest in Perjamosch abgehalten, 1923 folgte das nächste Bundestreffen in Steierdorf und am 1. und 2. August 1925 das 3. Bundesfest in Temeswar. 1928 beteiligte sich der Banater Deutsche Sängerbund am 10. Deutschen Sängerbundesfest in Wien, das Franz Schubert gewidmet war. Die deutschen Tageszeitungen berichteten in Temeswar über den großen Erfolg der Sänger. Das vierte Bundesfest fand am 25.-26. August 1928 in Detta statt. Der BBDS bestand bereits aus 93 Chören und zählte fast 5.000 Mitglieder.

Wenn bis Ende der zwanziger Jahre die politische Richtung noch nicht so leicht zu erkennen war, so konnte man bereits einige Jahre später die Äußerungen einiger Vorstandsmitglieder des Bundes Banater Deutscher Sänger laut und deutlich hören und auch in Schriften lesen. Hans Eck kritisiert in einer Schrift aus dem Jahre 1936 den Zustand des Banater Chorwesens gegen Ende des 19. Jahrhunderts, für ihn war der in der damaligen Zeit gepflegte Humanismus und Liberalismus wie auch die Pflege des „Guten, Schönen und Wahren“ in der Musik der falsche Weg. Ab nun soll das Völkische, Nationale, der Lied-Volk-Heimat-Gedanke, das „Deutsch fühlen, reden, singen“ die Kameraden zu einem neuen politischen Bewusstsein leiten. Die Terminologie der kulturpolitischen Agitatoren wird in dieser Zeit immer härter und direkter, selbst Zitate von Adolf Hitler werden in die Propagandaschriften des Banater Deutschen Sängerbundes übernommen. Bei dem 5. Bundesfest des Banater Deutschen Sängerbundes nahmen fast 40 Chöre teil und das Programm umfasste mehrere Kompositionen einheimischer Komponisten wie Johann Weber, Emmerich Bartzer, Josef Linster und Adam Weidmann.

Ein Jahr später erschien das erste Chorheft der neu gegründeten Werkgemeinschaft Schwäbischer Künstler und Kunstfreunde, Abteilung „Banater schwäbisches Musikleben“. Unterschrieben wurde das Vorwort dieser Sammlung von Friedrich Ferch (Arbeitsleiter), Emmerich Bartzer (Führer der Kameradschaft „Banater schwäbisches Musikleben“) und Adam Weidmann (Leiter des Chorwesens), der auch diese Sammlung betreute. Trotz der nationalsozialistischen Propaganda mancher Kulturpolitiker, die auch in dem Banater Deutschen Sängerbund ihre politischen Anschauungen durchsetzen wollten, ist mit dem ersten Chorheft ein großer Erfolg erzielt worden. Die in Hatzfeld gedruckte Sammlung von 23 Chören beinhaltet Kompositionen von Adam Weidmann (Neusiedel a. d. H.), Wilhelm Ferch (Bogarosch), Emmerich Bartzer (Lowrin), Josef Bloser (Temeswar), Eduard Griffel (Lowrin), Josef Kertész-Gertheis (Marienfeld), Robert Koch (Lugosch), Johann Weber (Schöndorf), Martin Schlier (Marienfeld), Viktor Loidl (Franzdorf), Dr. Josef Ferch (Detta), und Annie Schmidt-Endres (Lenauheim). Vertont wurden Texte namhafter und auch weniger bekannter Banater Heimatdichter wie Peter Jung, Peter Barth, Nikolaus Lenau, Josef Gabriel, Hilde Martini-Striegl und Stefanie Gabriel. Die meisten Kompositionen sind für Männerstimmen geschrieben, einige für gemischte Chöre und Frauenchöre. Auch auf die Texte in schwäbischer Mundart wurde in dieser Sammlung ein großer Wert gelegt, es war zum ersten Mal, dass solche Chöre im Banat überhaupt veröffentlicht wurden.

Durch den zweiten Weltkrieg verstummte die Chormusik auch im Banat. Obzwar noch mancherorts kleinere Sängerfeste organisiert und kleinere Liedertafeln abgehalten wurden, war dies nach 1945 nicht mehr vorstellbar. Die Verschleppung eines großen Teils der Banater deutschen Bevölkerung nach Russland, in die Baragan-Steppe oder in rumänische Gefängnisse und durch die Auflösung des Vereinswesens in Folge der politischen Umwälzungen im Rumänien der Nachkriegszeit, begann der deutsche Chorgesang allmählich zu verschwinden. Die im 19. Jh. gegründeten Gesangvereine mussten spätestens 1948 ihre Tätigkeit aus politischen Gründen einstellen: die kommunistischen Regierungen duldeten keine bürgerlichen Vereinigungen solcher Art.

Eine der ersten Chorsammlungen nach dem zweiten Weltkrieg erschien 1955 in Temeswar und wurde von dem lokalen Komponistenverband zusammengestellt. Neben rumänischen Chören von Tiberiu Brediceanu, Ioan Vidu, Vadim Sumski, Sabin Dragoi und Nicolae Ursu finden wir darin auch serbische, ungarische (von Franz Waschek) und deutsche Chöre von Richard Oschanitzky und Franz Stürmer. Die wichtigste deutsche Chorsammlung der Nachkriegszeit in Rumänien wurde vom Rumänischen Komponistenverband in Bukarest 1972 herausgebracht: Deutsches Liedgut aus dem Banat, Siebenbürgen und dem Sathmarer Land. Andreas Porfetye hat diese Ausgabe betreut und zusammengestellt. Es war das erste mal, dass in einem einzigen Band das deutsche Liedgut dieser drei wichtigsten deutschen Siedlungsgebiete Rumäniens vertreten war.

Am 20. Februar 1969 wurde in Temeswar der Franz Schubert-Chor gegründet. Offiziell heißt es, dieser Chor wurde auf Initiative des Kreisrates Temesch der Werktätigen deutscher Nationalität gegründet. Bei der Gründungssitzung nahm auch der ehemalige Leiter der Schubert-Liedertafel aus dem Jahre 1924, Anton Titz, teil. Dieser Chor hat sich der Pflege des Banater deutschen Volksliedes verpflichtet und bestand in Temeswar bis zum Ende der achtziger Jahre. Durch die Auswanderung seiner Mitglieder und Dirigenten konnte diese Chorgemeinschaft in Deutschland neu gegründet werden und versucht, trotz schwierigeren Bedingungen und nur wenigen Proben im Jahr, diese Tradition fortzusetzen. Von einzelnen Banater Ortsgemeinschaften wurden in den letzten Jahren in Deutschland Singgruppen und gemischte Chöre gegründet, in Temeswar besteht seit 1990 der Temeswarer Liederkranz - Grund genug und Pflicht zugleich, diesen wertvollen Kulturbereich einer europäischen Volksgruppe und einer deutschen Minderheit zu bewahren, zu pflegen und zu fördern.

 

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