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E D I T I O N   M U S I K   S Ü D O S T

ZUR REZEPTION DER WIENER SCHULE IM BANAT

von Dr. Franz Metz

Vortrag beim internationalen musikwissenschaftlichen Symposium im Arnold Schönberg Center, am Institut für Musikalische Stilforschung der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, 2007

 

Voraussetzungen

 

In Europa gibt es historisch gewachsene Kulturräume und Regionen, die, bedingt durch die Friedensverträge nach den beiden Weltkriegen, durch neue Grenzziehungen zerstückelt und unter mehreren Ländern aufgeteilt wurden: so z.B. Südtirol, die Batschka, die Moldau, Bukowina und das Banat. Für die Musikforschung ergeben sich dadurch Schwierigkeiten in der Erforschung wie auch in der Präsentation dieser Musik-Kulturräume. In vielen dieser Kulturräume fanden seit dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns Bevölkerungsmigrationen statt, so dass sich die heutigen Bewohner, wie es z.B. im Banat der Fall ist, nur schwer mit der Kultur und Geschichte ihrer neuen Heimat identifizieren können. Dazu kommt noch die Zeit der kommunistischen Diktatur (1947-1989), in der selbst die Musikgeschichtsschreibung der politischen Ideologie dienen musste.

Das „von Gott gesegnete Banate“, wie es 1883 Wilhelm Kienzl während seiner Konzertreise durch diese Region bezeichnet hat, wurde nach fast 190 Jahren osmanischer Okkupation 1716 von den Österreichern rück erobert und dem Kaiserlichen Hof unterstellt. Trotz der wechselvollen Geschichte, und selbst nach dem österreich-ungarischen Ausgleich (1867), blieb das Banat, schon wegen der strategischen Bedeutung als Grenzgebiet zum Osmanischen Reich, bis zum Trianon-Vertrag, mit seinem typischen multiethnischen Kulturraum und einem friedlichen Nebeneinander von vielen Sprachen und Kulturen im Schatten Wiens.

Obzwar Budapest die Hauptstadt war, fühlte man sich schon wegen dem großen deutschsprachigen Bevölkerungsanteil, mehr zu Wien hingezogen, was man besonders in der musikalischen Entwicklung beobachten kann. Die Metropole des Banats, Temeswar, nannte man damals Klein Wien und es war selbstverständlich, dass sich die musikalischen Neuerungen in nur wenigen Tagen (!) bis ins Banat verbreiteten. Ignaz Franz Castelli (1781-1862) schrieb während seines Temeswarer Aufenthalts 1809 selbst ein kleines Vorspiel mit dem Titel Temeswar, das kleine Wien. Hier nur einige Namen, mit denen die Banater Musikgeschichte direkt oder indirekt verbunden ist: Michael Haydn, Beethoven, Franz Limmer, Strauss, Brahms oder Kienzl. 1871 gründete man nach dem Vorbild des Wiener MGV den Temeswarer Philharmonischen Verein und spätestens seit dann wurde diese Stadt zu einer Drehscheibe für Wiener Künstleragenten und Künstler.

Dieser Trend setzte sich fast ungehindert auch nach dem für das Banat verheerenden Trianonvertrag von 1918/1919 fort. Dadurch kam ein größerer Teil an Rumänien, ein kleinerer Teil an das neu gegründete Jugoslawien und eine kleine Ecke (um Szeged) blieb bei Ungarn. Eine im Laufe von Jahrhunderten gewachsene Musikkulturlandschaft wurde dadurch zerstückelt und aufgeteilt. Obzwar die eigene Bevölkerung 1919 mit der Gründung einer Banater Republik einverstanden war, stimmten die Großmächte dagegen.

Wien blieb trotzdem auch weiterhin der Anziehungspunkt erster Größe selbst nach 1919. In den urbanen Banater Zentren sprach man deutsch, rumänisch, ungarisch und serbisch und die Kulturen von Minderheiten und Mehrheiten konnten sich in der Zwischenkriegszeit relativ frei entfalten. Auch für viele angehende rumänische Musiker war Wien weiterhin die Stadt der Musik, also auch Ihres Studiums. So auch für die bedeutenden Musiker Filaret Barbu, Alma Cornea-Ionescu und Zeno Vancea die Schönberg, Webern oder Berg und deren Musik in Wien persönlich erleben oder kennenlernen konnten. Dass das Ouvre der Wiener Schule selbst in kleineren Städten des Banats und Rumäniens nicht unbekannt war, beweist die reichhaltige Bibliothek des Lugoscher Multitalents Dr. Josef Willer, eine der interessantesten Persönlichkeiten jener Zeit. Und zum Schluss werden einige Zeilen auch dem Werschetzer Kantoren und Komponisten Stefan Ochaba einige Zeilen gewidmet, ein Absolvent des Wiener Konservatoriums, der sich nicht nur mit den Schöpfungen der Wiener Schule auseinandergesetzt hat.

 

Von Lugosch nach Wien: Filaret Barbu auf der Suche nach einer neuen Musik

 

Filaret Barbu kam 1903 in Lugosch zur Welt, war hier Schüler von Ioan Vidu (Theorie) und Dr. Josef Willer (Violine) und studierte in der Zeit 1922-1926 am Neuen Wiener Konservatorium bei Dr. Ernst Kanitz (Harmonielehre, Kontrapunkt), Dr. Robert Konta (Musikgeschichte), Uhlemann und Rudolf Malcher (Violine). In der Zeit 1929-1930 nahm er privat Unterricht in Wien bei Edmund Eysler (Komposition) und Rudolf Nilius (Dirigieren). Er leitete 1926-1939 den Rumänischen Gesangverein in Lugosch, 1932-1936 den deutschen Schubertbund und für kurze Zeit den Chor der jüdischen Gemeinde seiner Heimatstadt. Für diesen Chor hat Barbu einige Vokalwerke eingerichtet, die in Konzerten aufgeführt wurden: Zwei Lieder aus Palestina (1935), Orientalische Lieder und Jüdische Melodien (1936, Text von Rachel Schai und J. Milet). Von Josef A. Schwager, einem der Initiatoren des jüdischen Chores, stammte auch die Idee zum Libretto der Operette Filaret Barbus Ana Lugojana. Diese Beziehungen Barbus zur jüdischen Gemeinde der Musikstadt Lugosch sind wichtig für das Verständnis seiner Aussagen im folgenden Artikel. Barbu war Generalsekretär des Verbandes rumänischer Chöre und Blaskapellen im Banat, Leiter des Lugoscher Konservatoriums, Komponist, Dirigent und Pädagoge. Er starb 1984 in Temeswar.

In der Zwischenkriegszeit (um 1935) erschien in der rumänischen Zeitschrift Banatul ein umfangreicher Artikel von Filaret Barbu unter dem Titel: Curente nationaliste in muzica [Nationalistische Strömungen in der Musik]. Darin versucht der Autor sämtliche nationale Strömungen Europas seiner Zeit darzustellen, beginnend mit Deutschland und Österreich über Frankreich, Italien und Spanien bis zu den nordischen und baltischen Ländern, dann Polen, Ungarn und zum Schluss auch Rumänien. Obzwar Barbu in dem 13 Seiten umfassenden Artikel an einigen Stellen fragwürdige Zitate bringt (z.B. Oswald Spängler: „Wagners Tristan ist das letzte Werk der abendländischen Musik in der die Harmonie dominiert…“), erfahren wir einige Details zur allgemeinen Rezeption der atonalen Musik und besonders jener der Neuen Wiener Schule in jener Zeit in Rumänien. In seinem Bericht über Polen spielt Carol Szymanowski eine größere Rolle, der mit folgendem Satz zitiert wird: „… Heute habe ich mich zu einem nationalen Komponisten entwickelt, nicht etwa nur unbewusst, sondern im vollen Bewusstsein aus dem melodischen Schatz des polnischen Volkes schöpfend.“ Den Aussagen Barbus nach, soll Szymanoski u.a. auch von der Musik Debussys, Strauss´, Stravinskys und Arnold Schönbergs beeinflusst worden sein.

Von größter Wichtigkeit erscheint der Abschnitt über die zeitgenössische Musik Italiens und deren Entdeckung durch die deutschen Komponisten Ernst Krenek und Schönberg. Filaret Barbu schreibt: „Das Intermezzo von Casella gab den deutschen Atonalisten neue Möglichkeiten sich in der musikalischen Technik zu behaupten. Ich kenne zahlreiche deutsche Kritiken die für ein atonalistisches Italien plädieren. Alle beziehen sich auf das Intermezzo Casellas und auf andere junge Musiker wie Malipiero. Das atonale Berlin mit den Jüngern Schönbergs wollte die Verbindung der italienischen Musik zur faschistischen Strömung überspringen und nur die neueren atonalen italienischen Werke zu Kenntnis nehmen…“ Am Ende dieser Arbeit resümiert Filaret Barbu wie folgt: „Die Tendenz der nationalen Musik keimte gegen Ende des 19. Jahrhunderts, ein Jahrhundert das vor der Kultur durch die Industrialisierung, dem Kommerz und durch die Einführung der politischen Demokratie verstümmelte. Dieser Strömung widersetzte sich ein linksgerichteter Strom, revolutionär, atonal, verkündigt durch Schönberg und dessen Anhänger, in der Mehrheit Juden. Also, die fehlende Spiritualität der Juden kann man auch in der Musik verfolgen und wegen fehlender eigener Folklore oder der Ignorierung der hebräischen Folklore sie nichts Dauerhaftes schaffen können. Dadurch wird die Verwirrung größer im Kampf der Töne im dekadenten Zeitalter der universalen Musikkultur. Über diesem Chaos schwebt aber das Schaffen der ersten nationalistischen Musikanten, die durch ihre Werke ein für alle mal die Existenz des Nationalen in der Kunst besiegelten.“

Diese Äußerungen werfen für uns heute einige Fragen auf, doch sollten diese im Gesamtkonzept seines Aufsatzes nicht überwertet werden. Als Barbu diesen Text schrieb leitete er selbst den Chor der jüdischen Gemeinde in Lugosch und war mit vielen Mitgliedern dieser Gemeinde befreundet. Die „fehlende Spiritualität“ der Juden und deren „Ignorierung der hebräischen Folklore“ sieht er aus dem Blickpunkt des Folkloristen und des Verfechters von nationalen Schulen. Trotz seiner kritischen Behauptungen bezüglich der faschistischen Ideologie in Italien und die Vereinnahmung der italienischen Musik, bleiben uns heute in diesem Artikel viele Fragen unbeantwortet.

Filaret Barbu besuchte in Wien den Studiengang für Musikgeschichte bei Prof. Robert Konta, dessen Vorlesungen außerordentlich gut besucht waren. Die Konzertangebote waren äußerst reichhaltig und er besuchte fast täglich die Konzerte der Wiener Philharmoniker, Wiener Symphoniker oder des Tonkünstlerorchesters die von Felix Weingartner, Wilhelm Furtwängler, Hans Knappertsbusch oder Dirk Fock geleitet wurden. Auch die einzelnen Solokonzerte gehörten ins Programm, so jene mit Pablo Casals, Bronislav Hubermann, Fritz Kreisler, Eugéne Ysaye, Eugen d´Albert oder Emil Sauer. Casals Konzertabend im Lugoscher Dacia-Saal um 1910 war damals ausschlaggebend für das zukünftige Musikstudium Barbus. Natürlich hatten jene Wiener Opernvorstellungen mit seinem Freund und Landsmann, dem Tenor Traian Grosavescu, den Vorrang und Barbu war ein glaubhafter Zeuge des von der damaligen Musikwelt verfolgten Aufstiegs wie auch des viel zu schnellen tragischen Untergangs dieses Sängers, der von der Wiener Presse als „ein neuer Stern am Firmament der Musikwelt“ bezeichnet wurde. Ciutca, wie Grosavescu von seinen rumänischen Landsleuten genannt wurde, war ein treues Mitglied des rumänischen Studentenverbands „Romania juna“ in Wien und machte besonders der Banater Musiktradition alle Ehre. Grosavescu sang noch als Schüler und später als Student in den katholischen, orthodoxen und jüdischen Chören der Stadt Lugosch, wo er eigentlich zum ersten Mal als Solist entdeckt wurde. In Wien wurde er als Nachfolger Carusos gefeiert und Filaret Barbu erlebte ihn in seinen Auftritten neben namhaften Sängern der damaligen Zeit, wie Viorica Ursuleac, Lotte Lehmann, Maria Jeritza, Selma Kurz oder Maria Battistini.

 

Barbu schreibt in seiner Autobiographie über jene Wiener Jahre wie folgt:

 

Diese Opern- und Konzertabende waren nicht nur eine Art Zeitvertreib für mich sondern sie bereicherten enorm mein musikalisches Wissen, beeinflussten meinen musikalischen Geschmack und halfen mir zum besseren Verständnis der Musikschöpfungen. Diese Konzerte führten mich zur Entdeckung solcher Komponisten wie Debussy und Ravel, Komponisten die in mir eine bisher unbekannte neue Welt der Komposition, Harmonie und Klangfarbe erschlossen. Auch die großen russischen Tonschöpfer Tschaikowsky, Mussorgski und Rimski-Korsakow, über die ich in Lugosch bereits viel erfahren konnte, wurden mir durch diese Konzerte näher gebracht. Auch von der Musik Gustav Mahlers war ich stark beeinflusst, besonders vom monumentalen Lied von der Erde, diesem eindrucksvollen Werk des letzten österreichischen Symphonikers. So näherte ich mich, wahrlich langsam aber um so sichererer, dem Werk und der Kompositionstechnik meiner Wiener Zeitgenossen, jenen Komponisten, die so viel diskutiert wurden und die so viel Aufsehen um sich herum machten und die Schüler von Marx waren: Arnold Schönberg und Franz Schreker. Schönberg erlebte ich persönlich 1924 als Dirigent seines Musikdramas Die glückliche Hand.

Ich erinnere mich, dass ich gemeinsam mit meinem Professor Kanitz einem besonderen Ereignis – suigeneris – beiwohnte. Wiener Musiker und besonders jene an zeitgenössischer Musik Interessierte, versammelten sich in einem Saal am Parkring um das Hauptwerk Alben Bergs zu hören: die Oper Wozzeck. Berg arbeitete 3 Jahre an diesem Werk, zwischen 1918 und 1921, und jetzt präsentierte er sie zum ersten Mal einer kleinen Schar von Zuhörern. Er spielte selbst den Klavierauszug und versuchte mit der eigenen Stimme die Solopartien mitzusummen. Für mich war dieser Abend äußerst seltsam. Ich hörte bisher wenige Werke dieser drei Komponisten der Neuen Wiener Schule – Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton Webern – und ich konnte damals noch nicht deren wahren Wert erkennen. Nichtmal dort, an jenem Abend, an dem Alban Berg – ein Mensch mit einer beeindruckenden Gestalt, mit einem geprägten Gesichtsausdruck und einer sanften Stimme – jede Seite seiner Partitur erklärte, konnte ich nicht überzeugt werden. Wozzeck war das bedeutendste Werk dieses Komponisten aus seiner ersten Schaffensperiode, die 1909 begann und vom Atonalismus geprägt war. Ich hörte eine Seite nach der anderen, doch mein Gehör, das von der Musik der großen Klassiker und Romantiker geprägt war, konnte sich mit der Neuheit Alban Bergs nicht anfreunden. Professor Kanitz, eifriger Forscher der neuen Musik und Anhänger Arnold Schönbergs, geistlicher Vater der neuen Wiener Schule, war begeistert. Erst viele Jahre später, nach weiterem Studium und musikpraktischen Erfahrungen, wusste ich, dass ich damals in Wien, um 1922, der Geburt einer der bedeutendsten Säulen der modernen Oper beiwohnen durfte. (…) Zum Wiener Musikleben werde ich noch später zurückkommen, wenn ich als bereits geformter Musiker in diese Metropole der Künste für kurze Zeit zurückkehren werde, die die Musikliebhaber schon immer „Wien, du singende, klingende Stadt“ bezeichneten.

 

Im Jahre 1922 – nur einige Monate nach der Gründung des Bundes Banater Deutscher Sänger – wurde in Lugosch der Verband Banater rumänischer Chöre und Blaskapellen ins Leben gerufen. Filaret Barbu war einer der Initiatoren dieser Unternehmung und leitete den rumänischen Gesangverein in dieser Stadt, der den Namen seines Gründers, Ioan Vidu, erhalten wird. Barbu wollte sich jedoch in einigen Fächern noch weiterbilden und in Wien Kurse für Chorleitung, Partiturlesen und Instrumentation besuchen. Also beschloss er wieder nach Wien zu reisen. In seiner Autobiographie schreibt er wie folgt:

 

Nach meiner Ankunft in Wien stellte ich mich Professor Rudolf Nilius vor, ein bedeutender Musiker und Dirigent Wiens jener Zeit, der die Kapellmeisterschule leitete. Ich wurde aufgenommen und begann mit dem Studium. Ich hatte auch Glück ein kleines möbliertes Zimmer bei einer sehr freundlichen älteren Frau in der Nähe des Allgemeinen Krankenhauses zu finden, nicht weit vom Kaffee Edison, dem Versammlungsort der rumänischen Musiker und Literaten die hier studierten. Auch ein Klavier habe ich gemietet. Also hatte ich alle Voraussetzungen für ein erfolgreiches Studium. Und noch mehr: eine ruhige Umgebung – meine alte Hausfrau ist erkrankt und musste lange Zeit im Krankenhaus verbringen, so dass ich alleine im Haus wohnte. Das Klavier und die von zu Hause mitgebrachten volkstümlichen Verse haben mich inspiriert. Ich begann Chöre zu komponieren und nicht zuletzt das Werk Lugojana noua, das ich meinem berühmten Vorgänger, Meister Ioan Vidu, gewidmet habe. Es folgten 10 gemischte Chöre nach volkstümlichen Themen, die auch in Druck erschienen sind. Doch meine Gedanken streiften bereits ein ganz anderes Thema. Jetzt, nach dem mein Name in der rumänischen Musikwelt bereits als Komponist in Verbindung mit dem Theater bekannt war, war es nicht schwierig, jene Musikgattung zu erraten, die mir keine Ruhe mehr ließ und die Besitz über mich ergriffen hatte.

Ja, die Operette! Aber bitte nicht so mit kleinen Buchstaben, sondern OPERETTE! Es ist auch verständlich, dass ich damals von dieser passioniert war. Ich befand mich ja bei ihr zu Hause. In jener Stadt, die eine so wichtige Rolle in der Entstehung und der Entwicklung dieser Musikgattung erlebt hat, so volkstümlich und so beliebt. In jener Stadt, in der so viele berühmte Schöpfer kannte, beginnend mit dem „Zauberer“ Franz von Suppé, mit Karl Millöcker, dem großen und unübertroffenen Johann Strauss-Sohn und Karl Zeller aus der klassischen Periode der Operette, später fortgesetzt von (Carl Michael) Ziehrer-Micherl, wie ihn die Wiener nannten und der diese Wiener Schöpfung aus dem langen Schlaf erweckt hat, dann Oscar Strauss, Leo Fall, Edmund Eysler und nicht zu letzt der große Meister, der geniale Franz Lehár, der die Wiedergeburt der Operette eingeleitet hat und diese immerwieder zeitgenössisch, aktuell und beliebt machte. Nicht zu letzt befand ich mich in jener Stadt, in der Emmerich Kálmán seine ersten Erfolge feiern durfte. (…)

Eines Tages las ich in der Zeitung. Meine Aufmerksamkeit wurde auf einen Artikel über den bekannten Komponisten Edmund Eysler gelenkt, der die Reihe der Wiener Operetten im Theater an der Wien mit zahlreichen Premieren bereicherte und der einen Kompositionslehrgang angeboten hat. Ich habe keine Zeit vergeudet und ging gleich zu Meister Eysler. In der Tasche hatte ich einige meiner Chöre.

Edmund Eysler sah sich diese Chöre an. Sie gefielen ihm. Besonders die Lyrik des rumänischen Volksliedes, der lebendige, prägende Rhythmus des Banater Tanzes hat ihn beeindruckt. Und er nahm mich in die Gruppe seiner Schüler auf. (…)

Meister Eysler versuchte meine Kompositionen von den melancholischen Akzenten meiner Melodien zu befreien: „Warum weinen so viel die Rumänen?“ fragte er mich immer wieder. Der liebe Eysler! Er konnte es nicht wissen, der in Wien lebende, welche Vergangenheit das rumänische Volk hatte, wie viel Schmerz und wie viel Wehklagen zur Entstehung unserer Doine und Balladen führten. Er wollte mich trotzdem aufmuntern, meine Musik freudiger zu gestalten. Trotzdem war er beeindruckt von meiner Haltung gegenüber der rumänischen Volksmusik. Er genehmigte aus ganzem Herzen die Präsenz der Volksmusik und der volkstümlichen Melodien in den Kompositionen und gab mir sogar Beispiele aus seinen eigenen Werken. Die österreichische Folklore war auch in seinen Operetten anwesend: Bruder Straubinger, Künstlerblut und Die goldne Meisterin, die soeben am Theater an der Wien gegeben wurde. (…)

Nilius (Professor für Orchesterleitung) verlangte von seinen Schülern, dass man die verschiedenen Instrumentalkurse besuchen solle, um die jeweiligen Instrumente näher kennen zu lernen. Hier möchte ich eine kleine Klammer einfügen, um zu zeigen, wie selbst bedeutende Wiener Pädagogen und Musiker – die wir heute vielleicht als veraltert oder böswillig bezeichnen könnten – damals gegenüber der Musik der Neuen Wiener Schule reagierten.

An der Staatsoper probte man das Meisterwerk Alban Bergs, Wozzeck. In der Klasse für Schlagzeug, die vom ersten Timpanisten der Oper geleitet wurde, fand ich die Partitur dieses genialen Werkes. Als ich diese durchsah, fand ich zahlreiche rote und blaue Eintragungen. Der Professor hat mir diese erklärt: „Die ganze Zeit muss die Aufmerksamkeit des Instrumentalisten in dieser Oper angespannt sein. Diese Zeichen sollen die Aufmerksamkeit wecken. Im Wozzeck selbst wenn du es nicht erwartest, wenn du denkst, es kämen Pausen, musst Du noch stärker als sonst in die Pauken schlagen. Mit dem Wozzeck ist nicht zu spassen.“ Und er fügte ironisch und trocken hinzu: „In meiner 40-jährigen Karriere habe ich noch nie ein größeres Durcheinander erlebt!“ Dixit!

Ich wartete in einer enormen spannend auf die Premiere der Oper von Alban Berg. Um so mehr, da ich ja an jenem Abend die Präsentation dieses Werkes in einem kleinen Kreis durch den Komponisten persönlich erlebt habe. Natürlich war mein Interesse schon durch die damaligen öffentlichen Diskussionen geweckt, jene Streitereien zwischen den Vertretern der Neuen Wiener Schule – Arnold Schönberg, Anton Webern und Alban Berg – und deren Gegnern, jene die das Neue, das Einzigartige in den Werken dieser drei genialen Komponisten nicht wahrnehmen wollten.

Endlich, es kam der Tag der Premiere. Am Dirigentenpult der berühmte Clemens Krauss. Ich stand eng gedrängt auf der vierten Galerie mit den anderen Jugendlichen die mit der gleichen Neugier kamen wie ich. Ich gebe zu: die Aufführung hat mich bewegt. Doch ich wünschte mir, noch eine Aufführung dieser Oper zu sehen, um mir ein kompletteres Bild über dieses revolutionäre Werk machen zu können. Und dies trotz der böswilligen Meinungen die ich in der Pause von den Leuten aus dem Parterre und den Logen wahrnehmen konnte, die mehr aus Snobismus dieser Premiere beiwohnten und die mir zu verstehen gaben, dass Wozzeck nicht verstanden wurde. Die Musik Bergs zum Drama Georg Büchners wurde nicht verstanden, trotzdem es nicht einen absoluten Stilbruch mit den bisherigen Ausdrucksmitteln, impressionistischen Elementen und Verwendung von Motiven gab. Doch er schreitet auf einem neuen Weg in der dramatischen Musik: die Formen der so genannten absoluten Musik stellt er in den Dienst des Ausdrucks der dramatischen Handlung. So wird das Orchester zum Zentrum des Geschehens und die Stimmen, also die Gesangspartien wurden zum Teil der symphonischen Ausdrucksmittel. Das Prinzip des Atonalismus, der das Stück vom ersten bis zum letzten Takt durchzieht, verzichtet komplett auf leicht aufnehmbare Melodien. Der Komponist sagte, dass er nicht einen neuen Stil verwirklichen, sondern nur die Idee und den Geist des Dramas Büchners in ein entsprechendes musikalisches Gewand kleiden wollte. Das Wiener Publikum war mit einem solchen Aufbau nicht gewöhnt und reagierte dem entsprechend.

Es gelang mir nicht eine zweite Aufführung zu erleben, da es – damals – nur zwei Vorstellungen gab. Ich habe aber die große Genugtuung, dass mit der Zeit, Wozzeck sich durchsetzen konnte und diese Oper heute zu den wertvollsten zeitgenössischen Schöpfungen zählt.

 

Kontrapunkt mit Webern. Alma Cornea-Ionescu entdeckt die neue Musik

 

Alma Cornea-Ionescu kam 1900 in Karansebesch (Banat) zur Welt, studierte am Budapester Konservatorium 1912-1916 wie auch in Klausenburg 1924-1927. In den Jahren 1928-1931 studierte sie am Neuen Wiener Konservatorium u.a. bei Anton Ruzitska (Kammermusik) und Anton Webern (Formenlehre). Sie starb 1977 in Temeswar. Cornea-Ionescu war eine der bedeutendsten Klavierpädagogen Rumäniens, veröffentlichte 1956 eine Klavierschule, die in mehreren Auflagen bis 1974 eine große Verbreitung fand. In der Zwischenkriegszeit veröffentlichte sie einige kritische Ausgaben von Klavierwerken didaktischen Charakters bei dem Musikverlag Morawetz in Temeswar.

Alma Cornea-Ionescu setzte sich in Wien auch für andere Musikerkollegen aus dem Banat ein, so für den Komponisten Sabin Dragoi, dessen Anliegen sie ihrem Professor Anton Webern vortrug. Dessen Schreiben vom Monat April 1931 aus Mödling bezeugt ihre guten Beziehungen zu diesem bedeutenden Musiker. Sie gab n Wien auch einige Konzertabende, deren äußerst positiven Kritiken in den Zeitungen Wiener Neueste Nachrichten (1929) und Neue Freie Presse (1931) erschienen sind.

Während ihres Wiener Aufenthalts versuchte Alma Cornea Ionescu die rumänische zeitgenössische Musik in breiteren Kreisen zugänglich zu machen und appellierte u.a. auch nach ihrer Rückkehr ins Banat über den rumänischen Sänger Victor Madin an Clemens Krauss von der Staatsoper. Sabin Dragois neue rumänische Oper Napasta erlebte 1928 in Temeswar eine fulminante Premiere und eine solche Aufführung wünschte sie sich auch in Wien. Maria Dima, die Ehefrau des Komponisten George Dima, hatte das Libretto ins Deutsche übersetzt und das Temeswarer Bürgermeisteramt bevollmächtigte den Journalisten Gabriel Sárkányi von der Temeswarer Zeitung mit dem Direktor der Wiener Staatsoper die Verbindung aufzunehmen. Clemens Krauss befasste sich mit der ihm zugesandten Partitur von Dragois Oper und beabsichtige diese zumindest in Bukarest aufzuführen. Dies teilte er jedenfalls George Enescu in einem Brief mit.

In Sabin Dragois Interesse wandte sich Alma Cornea Ionescu auch an Anton Webern, der 1930-1931 am Internationalen Pianistenseminar einer ihrer Lehrmeister war. In einer autobiographischen Aufzeichnung hielt sie folgende Begebenheit fest: „Nach einem Seminar fragte er mich, ob ich nicht seine Schülerin werden wolle, er würde mir Privatunterricht in Harmonie, Kontrapunkt und musikalische Formenlehre geben. Nach einer zustimmenden Antwort begab ich mich einmal wöchentlich nach Mödling, wo ich mit ihm einige Monate arbeitete.“ Nach ihrer Rückkehr nach Temeswar wandte sie sich nochmals schriftlich an Webern und fragte ihn, ob er nicht auch ihren Professor und Direktor Sabin Dragoi als seinen Schüler unterrichten würde. Anton Webern sandte ihr ein Schreiben mit einer Fotographie und einer Widmung:

Sehr geehrtes Fräulein Cornea, ich danke Ihnen herzlichst für Ihren lieben Brief und unterzeichne die mir eingesandte Photographie gerne und mit den aufrichtigen Wünschen. Ihren Collegen, Herrn Dragoi (?) kennen zu lernen, würde mich sehr freuen. Ich stehe ihm, falls er bei mir arbeiten wollte, natürlich gerne zur Verfügung.

Ich hoffe, bald wieder von Ihnen zu hören u. verbleibe mit den herzlichsten Grüßen,

ihr ergebener

Anton Webern

Mödling bei Wien

Neusiedlerstr. 58

April 1931.

Zu einer Begegnung zwischen Dragoi und Webern wird es aber nicht mehr kommen: im Sommer 1931 hielt Dragoi in Cozia ein Musikseminar und 1932 war er schwer krank. Alma Cornea Ionescu hingegen bewahrte das Bild ihres verehrten Meisters Anton Webern bis zum Ende ihres Lebens als eine besonders kostbare Erinnerung.

 

Schönbergs Harmonielehre: Willer und Vancea zwischen Musik und Politik

 

Zeno Vancea (1900-1990) war in seiner Banater Heimatstadt Lugosch Schüler von Dr. Josef Willer, einem der bedeutendsten und interessantesten Persönlichkeiten Rumäniens in der Zwischenkriegszeit. Willer war nicht nur Jurist und Politiker sondern auch ein ausgezeichneter Musiker und Pädagoge, der wie kein Anderer jener Zeit stets mit den aktuellen kulturellen und speziell musikalischen Strömungen Europas anvertraut war. In seinem Nachlass konnte u.a. auch die Harmonielehre von Arnold Schönberg (Universal-Edition Leipzig, Wien, 1911) entdeckt werden. Dieses Exemplar hat Willer von der ersten bis zur letzten Seite studiert, was die vielen Unterstreichungen und Anmerkungen beweisen. Schon der erste Satz Schönbergs im Vorwort „Dieses Buch habe ich von meinen Schülern gelernt“ kommentiert Willer mit 2 Ausrufezeichen. Und die bald folgenden Sätze, wie „Aber der Lehrer muß den Mut haben, sich zu blamieren…“ kommentiert er mit „Herrlich!“. In seinem Nachlass befand sich auch Alban Bergs thematische Analyse von Schönbergs Kammersymphonie, op. 9, aus dem Jahre 1906. Dr. Josef Willers Musikbibliothek enthielt zahlreiche zeitgenössische Musikwerke und davon profitierten in erster Linie seine vielen Schüler, die auch heute noch weit verstreut auf der ganzen Welt als Musiker tätig sind. Durch seinen Schüler Zeno Vancea gelangten später diese Erkenntnisse bis Bukarest.

In den Jahren 1921-1926 und 1930-1931 hatte Vancea die Gelegenheit am Neuen Wiener Konservatorium bei Ernst Kanitz Kontrapunkt und Komposition zu studieren. Es war die Zeit der sozialen Schwierigkeiten und der Wirtschaftskrise, die auch die Studenten zu spüren bekamen. Die vielen rumänischen Studenten erhielten trotzdem auch von der Wiener Bevölkerung Unterstützung. Diese Großherzigkeit beruhte auf Gegenseitigkeit, da viele Wiener Kinder nach dem ersten Weltkrieg einige Sommermonate in schwäbischen Dörfern und auch in Städten des Banats verbringen durften, um sich zu erholen. Diese Kinder-Landverschickung der Zwischenkriegszeit war ein einmaliges Ereignis in den Beziehungen zwischen dem Banat und Österreich. Auch Zeno Vancea konnte von Lugosch aus, wo sich ebenfalls einige Wiener Kinder auf Erholung befanden, den Kontakt zu einer Wiener Familie herstellen, bei der er die ersten drei Jahre wohnen wird.

In Wien hatte Vancea die einmalige Möglichkeit alle Probleme um die Neue Wiener Schule zu erleben, bei einigen wichtigen Aufführungen der Werke Schönbergs, Alban Bergs und Anton von Weberns beizuwohnen. Viele Jahre später wird er sich ebenfalls diesem Kompositionsstil, wenn auch mit Vorbehalt, annähern.

Zeno Vancea war trotz seiner umfangreichen musikalischen Studien in Klausenburg, Budapest und Wien und seinem bedeutenden Ouvre, das er uns als Komponist und Musikwissenschaftler hinterlassen hat, ein Kind seiner Zeit – also auch der Nachkriegszeit Rumäniens. Seine späteren Werke waren größtenteils von strengen Formen und an Zwölftonmusik erinnernde Elemente geprägt. Im Jahre 1962 veröffentlichte er in der Musikzeitschrift Muzica des staatlichen Verbandes der Komponisten Rumäniens einen kritischen Artikel über die Musik Schönbergs und seiner Schüler: die Zwölftonmusik sei ein Resultat der verdorbenen bürgerlichen Kultur des Kapitalismus, die nicht in die entwickelte sozialistische Gesellschaft passe. Hier einige Auszüge:

  • Nicht zutreffend mit dem gesunden musikalischen Geschmack eines im Geiste realistischer Traditionen der Musik wohlerzogenen Publikums, kommen die Werke der Zwölftonkomponisten nicht in den Programmen unserer Musikinstitutionen und unserer Solisten vor. Aber die Aspekte der Dekadenz, der Prozess der Auflösung eines wichtigen Teils der Musik der westlichen Länder werden in unseren Zeitschriften besprochen und man bezieht eine kritische Stellung gegenüber dieser Musik, analysiert auf Grund wissenschaftlicher Kriterien.
  • (…) Die bedeutendsten Theoretiker unterstützen und die musikalische Praxis der ganzen Welt bestätigt, dass das tonale Empfinden entspricht dem Gefühl des Menschen und deshalb entspricht die Ignorierung der Tonalität einem Angriff auf das normale Gefühl des Menschen.
  • (…) In der Zeit, in der die bedeutendsten Vertreter der Musik unseres Jahrhunderts wie Enescu, Bartók, Prokofiev, Honegger, Schostakowitsch, Hindemith, Szymanowski, Kodály und andere alle bisherigen Ausdrucksformen, die ganze Komplexität der musikalischen Errungenschaften in ihren Arbeiten verwenden konnten und das Prinzip der Tonalität bewahrten, begann der Wiener Komponist Schönberg mit seinen Schülern mit der Verneinung der bisherigen Traditionen, der Zerstörung der Tonalität, der Trennung der Musik von ihrer emotionalen Wirkung, indem sie sich nur von dem fast mathematischen Prinzip in ihren Kompositionen leiten ließen. Mit der Aussage, dass die Musik eine architektonische Form sei, in der das Sentimentale und Emotionale nichts zu suchen hat, fordern sie, dass das ästhetische Gefühl nur durch konstruktive uns formale Elemente erreicht werden kann.
  • (…) Diese Phase seins kompositorischen Schaffens ist direkt abhängig von der politisch-wirtschaftlichen Entwicklung der kapitalistischen und imperialistischen Gesellschaft jener Zeit, die Zeit der Krise vor und nach dem ersten Weltkrieg, der Agonie, die damals die kapitalistische Gesellschaft überfiel.
  • (…) Die Aussagen der Nachfolger dieser Strömung wie Adorno, Rufer, Leibowitz, Stuckenschmidt u.a., dass der Serialismus und die Zwölftonmusik eine große Errungenschaft für die Musik und die einzige passende musikalische Sprache in der Zeit der Eroberung des Kosmos sei, erwies sich als ein großes Fehler.
  • (…) In der letzten Zeit vermehrten sich die geistigen Nachfolger der Schule Schönbergs, was uns nicht wundern soll, da alle Musiker ohne Talent – in den Bedingungen der Dekadenz bürgerlicher Kultur – sich mit dieser musikalischen Mathematik beschäftigen und ihre „Kreativität“ beschränkt sich nur auf das technische Handwerk, das von Jedem in einigen Wochen erlernt werden kann.
  • (…) Durch die obigen Aussagen wird es uns klar, dass die Zwölftonmusik, seriale, aleatorische, konkrete, elektronische Musik die keine fortgeschrittene soziale Funktion erfüllt und nur ein Experiment oder persönliche Unterhaltung erfüllt, fremd bleibt für eine neue Gesellschaft, die den Sozialismus aufbaut; diese Gesellschaft promoviert eine realistische Kunst, eng verbunden mit dem Leben, eine Kunst in der der reichliche Inhalt von Gefühlen wichtig ist, eine wertvolle Kunst schon durch die erzieherische humanistische Rolle, ein wichtiges Bindeglied im gegenseitigen Kennenlernen, der Annäherung und dem Verständnis zwischen den Völkern.

 

Zehn Jahre später, Anfang der 70-er Jahre, konnte im sozialistischen Rumänien eine relative Freizügigkeit eintreten. Obzwar diese nicht lange angehalten hat und später in der berüchtigten Ceausescu-Diktatur enden wird, konnte sich die Kultur in dieser nur kurzen Erholungsphase relativ gut behaupten. Es lag vermutlich auch an der politischen Aufbruchstimmung im Land. So manche Einstellungen gegenüber der bürgerlichen Kultur des Kapitalismus und Westeuropas erfuhren eine Wende und was bisher kritisiert wurde, versuchte man taktisch zu überdenken. So auch die Einstellung gegenüber der atonalen Musik, also jener der Wiener Schule und Schönbergs. Zeno Vancea schien die Zeichen der Zeit immer gut verstanden zu haben. Auch diesmal. In der Ausgabe von Dezember 1972 brachte die Bukarester Zeitschrift des Komponistenverbandes Muzica einen umfangreichen Bericht zum 100. Geburtstag Arnold Schönbergs, gezeichnet von Zeno Vancea. Schon der erste Absatz erklang in einer anderen Tonart als jener Artikel aus dem Jahre 1964: „Am 13. September waren es 100 Jahre seit der Geburt Arnold Schönbergs, einer der radikalsten Reformatoren die die Musikgeschichte gekannt hat, dessen Neuerungen im Bereich der musikalischen Sprache und der Kompositionstechnik eine besondere Rolle im Prozess der Entwicklung der Klangkunst des 20. Jahrhunderts spielten.“ Und zum Schluss schreibt Vancea: „In Rumänien wurde die Zwölftonmusik in einer weniger orthodoxen Variante adoptiert, also mit einigen Freiheiten, wie durch die Komponisten Ludovic Feldman, Wilhelm Georg Berger, Doru Popovic, Anatol Vieru u.a. Ohne natürlich die einzige Form der Komposition für die nächsten 100 Jahre darstellen zu wollen, wie auch Schönberg und der Philosoph Theodor Wiesengrund-Adorno meinten, prägte die dodekaphonische und serielle Musik einen wichtigen Teil des unseres musikalischen Schaffens und unter bestimmten Aspekten ebnete dieser Musikstil den Weg zu neuen avangardistischen Strömungen unserer Tage.“ Wenn in seinem umfangreichen Artikel aus dem Jahre 1964 viel von sozialistischer Musik und Kultur die Rede war, die ja gegenüber der Musik der veralteten Bürgerklasse Westeuropas sich nicht der „dekadenten“ Musik Schönbergs annähern wird, so können wir in diesem neuen Artikel zehn Jahre später keinerlei politische Andeutungen beobachten. Vancea bleibt strikt musikwissenschaftlich und vermeidet darin jedwelche Anspielung auf politische Anschauungen oder Interpretationen.

Natürlich können wir uns nun die Frage stellen, weshalb Zeno Vancea 1964 diesen politischen Artikel geschrieben hat. Wurde er gezwungen diesen Artikel zu verfassen? Widerspiegelt dieser auch seine persönliche Überzeugung? Vancea verstarb 1990, nur einige Wochen nach der Revolution, die der kommunistischen Diktatur in Rumänien ein Ende gesetzt hat. Um die Wahrheit zu erfahren ist es jetzt also zu spät.

 

Ochaba und die Farbenlehre in der Musik

 

Stefan Ochaba kam 1904 in Brünn / Brno zur Welt und besuchte die Elementar- und Musikschule in Brünn. Mit 14 Jahren begann er das Studium an der Akademie für Musik und Darstellende Kunst in Wien, deren Abteilung für Kirchenmusik, die sich in der Zwischenkriegszeit in Klosterneuburg befand. Hier war er Schüler von Max Springer, Franz Moißl, Vinzenz Goller und Andreas Weißenbäck, der in den Jahren 1922-1930 auch deren Leiter war. Nach der Beendigung dieses Studiums kam er ins Banat nach Pantschowa (Banat, seit 1919 bereits zu Jugoslawien gehörend) und Werschetz wo er als Kirchenmusiker, Chorleiter, Pädagoge und Komponist tätig war. 1925 wurde er Leiter der Bischöflichen Kantorschule in Werschetz. Im Jahre 1938 musste er im Zuge der Rückführung der im Ausland lebenden deutschen Staatsbürger nach Wien zurückkehren und hinterließ in Werschetz all seinen musikalischen Nachlass, in der Absicht, bald wenigstens seine Kompositionen nachholen zu können. Leider war dies wegen dem Beginn des Krieges nicht mehr möglich. Da er nicht der NSDAP beitrat wurde er als Musiklehrer an Mittelschulen in Wien eingesetzt. Wegen seiner schweren Gelenksentzündung war er für den Kriegsdienst ungeeignet. Da er während einer Musikstunde den Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy als seinen Lieblingskomponisten bezeichnet hat, dessen Werke als die eines jüdischen – also verbotenen – Komponisten bezeichnet wurden, wurde er an zwei Schulen außerhalb Wiens versetzt. Da er trotzdem weiterhin in der Wiener Servitenkirche die Orgel spielte und den dortigen Kirchenchor geleitet hat, wurde er samt Familie als politisch unzuverlässig eingestuft und durften den Raum Wien nicht mehr verlassen. Wegen seines schlechten Gesundheitszustandes wurde er nun als Hilfslehrer an der damaligen Oberschule Klosterneuburg eingestellt. Er litt sehr an der Brutalität des Krieges, den Zerstörungen und dem Mangel, den ständigen Kontrollen und konnte sich nicht mehr der Komposition widmen. Seine Kompositionen, Noten- und Instrumentensammlung in Pantschowa wurde durch die Partisanen Titos zerstört. Körperlich geschwächt, hatte er keine Kraft mehr eine Lungenentzündung zu überwinden und starb 1948 in Wien.

 

Sein ehemaliger Lehrer an der Wiener Akademie, Prof. Andreas Weißenbäck, stellte ihm 1946 folgendes Zeugnis aus:

BESTÄTIGUNG

Wien, 7.2.1946

Als seinerzeitiger Leiter der Abteilung für Kirchenmusik bestätige ich, dass unser Institut in den Jahren nach dem ersten Weltkriege eine Anzahl von Absolventen als Kirchenmusiker und Chorleiter in deutsche Gemeinden in Serbien (Jugoslawien) und Rumänien geschickt hat, welche dort als Pioniere für unsere künstlerischen Ideen wirken sollten und tatsächlich auch durchwegs mit bestem Erfolg gearbeitet haben.

Unter diesen jungen Leuten befand sich auch Herr Prof. Stefan Ochaba, der 1924 von hier nach Pancsova zu gehen beauftragt wurde.

Prof. Dr. Andreas Weißenbäck

Leiter der Abteilung für Kirchenmusik von 1922-1930

 

Dieses Schreiben Weißenbäcks wurde von der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst 1946 bestätigt.

Vor einigen Jahren konnten in Werschetz in der katholischen St. Gerhardskirche einige Kompositionen Stefan Ochabas entdeckt werden. Es handelt sich um einige Chorwerke, Lieder und kammermusikalischen Kompositionen.

Bei seiner Familie in Baden bei Wien konnten weitere Skizzen und Aufzeichnungen gefunden werden. Ochaba hinterließ auch ein interessantes Autograph aus dem Jahre 1938, also kurz bevor er Werschetz verlassen musste. Es ist eine umfassende Studie mit dem Titel Musik als Farbe. Der musikalische Klang als Farbenstufe und als Farbenträger analysiert. Mit den musikalischen Klangfarben beschäftigte sich auch Arnold Schönberg am Ende seiner Harmonielehre aus dem Jahre 1911. Ochaba kannte vermutlich dieses Werk Schönbergs, doch hatte er eine ganz andere Einstellung dieser Theorie gegenüber. In seiner theoretischen Arbeit tangiert er auch die damalige zeitgenössische Musik und schreibt: „… Durch die chaosartige Nachkriegszeit die überall Verwüstungen angerichtet hat ist auch die Musik nicht verschont geblieben und das Innenleben der Menschen. (…) Dass sich auch neben dieser [der klassischen und romantischen Musik] die moderne Musik neue Wege sucht, ist nicht zu wundern. Es muss ja etwas Neues geschaffen und gesucht werden. Ob durch die neue Atonalität etwas Neues geschaffen werden kann, wird das ebensolchen Wert besitzen wie die Kunstmusik in der bisher temperierten Stimmung, das wird sich erst in der Zukunft beweisen und bestätigen. Das eine ist sicher: wenn auch etwas Neues auftauchen wird, nur dann wird es Wert und Dauer besitzen, wenn es die Menschen an der Empfindung, dem Gefühl, packt und ergreift (…). Wenn Empfindung und Gefühl nicht mitsprechen, kann nicht unser Erleben beeinflusst werden und dies hat dann auch für uns keine dauernde Schönheit.

 

Konzerte mit Werken der Wiener Schule im Banat

 

Werke der Wiener Schule, die von der Temeswarer Philharmonie aufgeführt wurden:

 

Anton Webern:

- Sechs Stücke für Orchester, op.6, (22.-23.02.1964; 05.-06.10.1968 und am - 08.10.1968 in Bukarest; 06.-07.1969; Dirigent aller Aufführungen: Nicolae Boboc

- Passacaglia für Orchester, 23.04.2004, Dirigent: Federico Longo

- Gesamtwerk für Violoncello und Klavier, 13.05.1996, Adalbert Skocic – Cello, Wien, Otto Probst – Klavier, Wien

- Zyklus Vier Lieder, op.12: Der Tag ist vergangen, Gleich und gleich 12.05.1996

 

Alban Berg:

- Die Nachtigal

- Schliesse mir die Augen beide

Sopran: Bianca Luigia Manoleanu, Klavier: Remus Manoleanu

 

Arnold Schoenberg:

- Sechs kleine Stücke für Klavier, op. 19, 20.05.2002, Stefan Arnold, Klavier

In der Arader Philharmonie:

 

Arnold Schoenberg:

- Un supravietzuitor din Varsovia [Ein Überlebender aus Warschau], 9. / 10.03.1968, Dirigent: Jan Hugo Huss

 

Alban Berg:

- Violinkonzert, Solist: Jenny Abel

 

In Konzerten der Temeswarer Musikfakultät wurden in den letzten Jahren auch einige Kompositionen von Josef Matthias Hauer (1883-1959) aufgeführt, darunter Klavierstücke (komp. 1922). Dieser komponierte Werke für Harmonium, Klavier, Kammer- und Orchestermusik und ein Oratorium. Er ist auch der Verfasser einiger Lehrbücher über die Zwölftontechnik (1925, 1926). Hauer ging längere Zeit gerichtlich gegen Arnold Schönberg vor, da er sich als der Urheber des Serialismus hielt. Die Prozesse wurden in der damaligen Wiener Presse mehrmals erwähnt.

 

Schlussfolgerung

 

Die musikschöpferische und musikpädagogische Rolle der drei Größen Schönberg, Webern und Berg in der Entwicklung der Banater Musik des 20. Jahrhunderts ist unverkennbar. Es ist eine natürliche und logische Fortsetzung jener Traditionen und europäischen Entwicklungen, die seit Jahrhunderten in diesem Kulturraum verwurzelt waren, doch von den nationalistischen und sozialistischen Strömungen des 20. Jahrhunderts bewusst verdeckt und ignoriert wurden. Die Musikkulturen des Banats und Südosteuropas waren aber bis dahin in die gesamte europäische Kulturentwicklung nicht nur integriert, sondern spielten gar eine Vorreiterrolle, z.B. in der Person eines Genies wie George Enescu. Selbst Béla Bartóks erste musikalische Gehversuche spielten sich im Banat ab, wo er auch das Licht der Welt erblickt hat. Heute ist es die Musik eines György Ligeti und György Kurtág, die das musikalische Milieu dieses südosteuropäischen Kulturraumes in die Wiege gelegt bekamen und damit zeitgenössische Meisterwerke schaffen konnten. Und Wiens Einfluss ist dabei – bis in die Musik der Gegenwart – unverkennbar.

 

Copyright © Dr. Franz Metz, München 2009

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