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Temeswarer Millenniumsorgel wird Hundert

Die von Carl Leopold Wegenstein erbaute Millenniumsorgel in der Innenstädtischen Pfarrkirche zu Temeswar (Banat, Rumänien) feiert ihren hundertsten Geburtstag

von Dr. Franz Metz

Die Temeswarer Milleniumsorgel, das stolzeste und schönste Werk Temeswarer Tüchtigkeit, zugleich ein hehres Wahrzeichen der Opferwilligkeit unserer Stadtkommune und des gottgefälligen Eifers des Stadtpfarrers Josef Brandt, wurde heute Vormittag (3. März) in Anwesenheit eines vornehmen Auditoriums einer öffentlichen Probe unterzogen und sodann von den Vertretern der Stadt übernommen. Die Orgel ist von imposanten Dimensionen, bis zum Giebel etwa 10 m hoch und nicht nur vermöge ihrer kolossalen, jedoch durch stylvolle Form gefällig wirkende Dimensionen, sondern durch ihre musikalisch und technische Konstruktion ein Unikum. Als Haupt-Instrument der großen Festhalle in der Milleniums-Ausstellung, wird diese Orgel dem Namen ihres Meisters, des Temeswarer Orgelbauers Herrn Leopold Wegenstein glänzende Ehren einbringen und den Ruhm der Temeswarer Kunstindustrie laut verkünden.

 

Fast eine ganze Seite widmete die Temesvarer Zeitung vom 4. März 1896 diesem wichtigen Ereignis. Es war die erste dreimanualige Orgel der Banater Metropole und zugleich auch das erste große Instrument des Temeswarer Orgelbauers Carl Leopold Wegenstein (1858-1937). Dieser stammte aus Klein-Hadersdorf (Niederösterreich) und erlernte seinen Beruf in Wien. Seine Lehrjahre führten ihn durch mehrere damals bereits bekannte Werkstätten: Ludwigsburg (Walcker), Dresden (Jähmlich), Berlin (Dinze), Stuttgart (Weigle), Erfurt (Hickmann), Luzern (Goll), Dresden (Kaufmann), Göttingen (Giesecke) und Weikersheim (Laukhuff). 1880 ließ sich Wegenstein in Temeswar nieder, heiratete die Tochter des dortigen Orgelbauers Joseph Hromadka (1826-1896) und übernahm später auch dessen Werkstatt.

 

In der damaligen ungarischen Monarchie bestand bereits ein unternehmerischer Wettkampf zwischen den drei wichtigsten Orgelbauwerkstätten dieser Region: Otto Rieger (Budapest), Josef Angster (Pécs/Fünfkirchen) und Carl Leopold Wegenstein (Temeswar). Durch die neue Orgel für die Innenstädtische Pfarrkirche wurde der Name Wegensteins erst recht bekannt.

 

Bezüglich der Tätigkeit von Carl Leopold Wegenstein erfahren wir einige Details aus den Berichten der Auskunftei Schimmelpfeng (Budapest) an die Firma Laukhuff (Weikersheim). Im Bericht vom 13. Mai 1895 heißt es: Wegenstein ist der Schwiegersohn des früheren Orgelbauers Josef Hromatka senior in Temesvar. Er besitzt wohl nicht viel Vermögen, hat aber eine gut eingerichtete Orgelbau- und Harmonium-Werkstätte und ist (...) ziemlich gut beschäftigt. Wegenstein wird als ein fleißiger, intelligenter Geschäftsmann geschildert. Er lebt sparsam und genießt überhaupt guten Ruf. Für kleinere D. verdient bis zu ca. fl. 300.- gilt Wegenstein als gut. Seine Firma ist handelsgerichtlich nicht eingetragen. Bereits zwei Jahre später erfahren aus dem Bericht folgendes: Wegenstein ist mit Arbeit gut versehen. Er besitzt wohl kein Vermögen, doch reichen seine Mittel zu dem Betrieb des Geschäftes aus. Wegenstein lebt in geordneten Vermögensverhältnissen. (...) Wegenstein hat die Orgel, welche sich in der Milleniums-Ausstellung befand, auf feste Bestellung für die innerstädtische Pfarrkirche der Stadt Temesvar um den Preis von Fl. 2.400 gebaut (...) die er bei der Milleniumsausstellung in Budapest ausgestellt hatte.

Die kleine Orgelbauwerkstätte entwickelte sich langsam zu einem konkurrenzfähigen Unternehmen: Leopold Carl Wegenstein besteht am Platze als Orgelfabrikant seit etwa 14 Jahren, sein Geschäft hat unter tüchtiger und fachkundiger Leitung Aufschwung genommen und zählt heute zu den ersten Geschäften dieser Art in Temesvár und Südungarn.

 

Der sehr genau zusammengestellte Kostenvoranschlag zum Bau der neuen Orgel stammt aus dem Jahr 1895 und wurde von Pfarrer Josef Brandt, Regenschori Martin Novacsek (1834-1906) und C. L. Wegenstein unterschrieben. Gleich zum Beginn dieses Dokumentes heißt es: Die Orgel wird laut Kostenvoranschlag auf das genaueste in solider Durchführung mit reinpneumatischen Röhren Tracktur versehen mit Wallkerischen Kegelladen System unterbau mit einzelnen Bälglein und Hebel und wird auf drei Manuale und 1 Pedal folgende Register vertheilt. Daraus ist zu schließen, daß die Traktur dem pneumatischen Walcker-System angepasst wurde.

 

Die im Kostenvoranschlag angegebene Disposition ist folgende:

I. Manual

II. Manual

III. Manual

Pedal

1. Principal 16´

1. Geigenprincipal 8´

1. Dolce 8´

1. Contra Principal 16´

2. Principal 8´

2. Bordun 16´

2. Aeoline 8´

2. Principalbass 8´

3. Gamba 8´

3. Flauta Major 8´

3. Lieblich Gedeckt 8´

3. Violoncello 8´

4. Concertflöte 8´

4. Salicional 8´

4. Vox Humana 8´

4. Quint Bass 8´

5. Bordun 8´

5. Spitzflöte

5. Traversflöte 4´

5. Subbass 16´

6. Trompete 8´

6. Oboe 8´

6. Flageolete 2´

6. Posaune 16´

7. Waldflöte 4´

7. Quinte 2 2/3´

 

7. Octavbass 4´

8. Rohrflöte 4´

 

 

 

9. Octav 4´

 

 

 

10. Mixtur 2 2/3´ IV

 

 

 

Die Orgel wurde mit zwei freien und drei festen Kombinationen versehen, einem Register-Rollschweller und je ein Jalousieschweller für das zweite und dritte Manual. Die pneumatische Traktur besteht u.a. aus Messingrohre, später verwendet Wegenstein zu diesem Zweck nur noch Bleirohre. Zur Windversorgung wird kein Tretmechanismus sondern ein eigenartiger Radmechanismus verwendet der vom Calcanten in einem sehr beengten Raum im Inneren des Orgelgehäuses betätigt werden musste.

 

Das Gehäuse ist bis zum heutigen Tag unverändert geblieben: ... ein Werk des Kunstinstitutes Flandörfer, der auch die Nußholz-Bänke der Kirche angefertigt hat, im Style Louis XIV. gehalten, in Tonfarbe gestrichen reich vergoldet und mit religiösen und musikalischen Emblemen, Statuetten und Gruppen versehen. Die Orgel wurde im Februar 1896 unten im Kirchenschiff aufgestellt und kostete 10.000 Gulden, davon bezahlte die Stadt Temeswar 7000.- Gulden. Aus diesem Grund ist an dem Orgelgehäuse das Wappen der damaligen königlichen Freistadt Temeswar angebracht.

 

Am 3. März 1896 fand vor einer großen Zahl von städtischen und kirchlichen Würdenträgern die Orgelprobe statt. An Stelle des erkrankten Regenschori Martin Novacsek spielte Prof. Karl Rudolf Kárrász eine freie Phantasie über kirchliche Motive, den Marsch aus der Oper Tannhäuser von Richard Wagner und einen Teil aus dem Sommernachtstraum von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Danach wurde die Orgel nach Budapest zur Milleniums-Ausstellung transportiert und erhielt ab dann den Namen Milleniumsorgel. Die Wiener Musik-Instrumenten-Zeitung bringt dazu einen langen Bericht samt Abbildung und Disposition der Orgel: Über die sogenannte "Milleniums-Orgel" waren wir schon wiederholt in der Lage, einiges mitzutheilen. Heute bieten wir die Abbildung des schönen Werkes, das seinem Erbauer alle Ehre macht. Herr Leopold Wegenstein hat diese Orgel im Auftrage der städtischen Repräsentanz von Temesvár, und zwar für die dortige innerstädtische römisch-katholische Pfarrkirche gebaut und sie mit Bewilligung des Gemeinderathes auf der Ausstellung in Budapest zur Schau gestellt. Das Gehäuse, eine Arbeit des Tischlermeisters Flandorfer präsentiert sich vornehm und geschmackvoll. Reich vergoldete Bildhauerarbeit erhöht den günstigen Eindruck des Orgelgewandes. Die Versuche und Concerte in der Ausstellung bekräftigen das vorzügliche Zeugnis, welches anlässlich der im März d. J. stattgefundenen Collaudirung der Qualification der Wegenstein´schen Orgel von berufenen Fachleuten ausgestellt worden ist.

Auch Altbürgermeister Josef Geml widmete in seinem Buch einige Zeilen diesem bedeutenden Instrument: In der Maria-Theresiagasse, in unwürdig entlegener Gegend steht die innerstädtische röm. kath. Kirche und daneben das Pfarrhaus, welche beide nach den Wünschen des Pfarrers Josef Brandt und teilweise auch durch dessen materielle Opfer in den achtziger Jahren (1888-1890) restauriert und eingerichtet wurden. In dieser Kirche befindet sich die sogenannte Milleniumsorgel, welche auf Bestellung der Stadt unser Orgelbaumeister Leopold Wegenstein anfertigte und auf welcher im Hauptgebäude der Budapester Milleniumsausstellung (1896) die ganze Zeit hindurch gespielt wurde.

 

Im Herbst des Jahres 1896 wurde die Millenniumsorgel zurück nach Temeswar gebracht und auf die viel zu kleine Empore aufgestellt. Am 28. November 1897 fand die endgültige Abnahme der Orgel statt. Bürgermeister Dr. Telbisz Károly ließ dafür Einladungen in ungarischer und deutscher Sprache drucken die auch das musikalische Programm beinhalteten. Regenschori und Organist Martin Novacsek stellte sämtliche Register und Registriermöglichkeiten vor, es folgten Triller, Staccatti, Arpeggii zur Demonstration der precisen Ansprache, die freie Phantesie Ein Sturm wie auch Werke für Gesang und Orgel von Richard Wagner, Bach-Gounod, Franz Liszt und Kremser. Bei diesem Konzert wirkte auch der Chor des Temeswarer Philharmonischen Vereins mit.

 

In den dreißiger Jahren wurde die Disposition im Sinne der Orgelbewegung verändert. Heute ist dieses einst weitbekannte Instrument fast unspielbar und eine fachgerechte Renovierung ist aus finanziellen Gründen und auch wegen dem Fehlen einer Orgelbauwerkstätte im Banat kaum zu erhoffen.

 

Bilddokumentation

 

 

 

Copyright © Dr. Franz Metz, München 2007

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