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EDITION MUSIK SÜDOST

Martin Novacek

(1834-1906)

  • Biographie
  • Bilddokumentation

Martin Joseph Novacek kam 1834 in Horazdovice (Böhmen) in einer musikalischen Familie zur Welt. Im Alter von etwa 18 Jahren wird er Orgelspieler und danach Chorleiter der römisch-katholischen Kirche in Weißkirchen (Fehér Templom, Bela Crkva), eine Banater Ortschaft, die heute Serbien angehört. Mit diesem Chor wird er auch in anderen Ortschaften auftreten, wie z.B. in Werschetz / Vrsec (1859), Zemun (1861), Fünfkirchen / Pécs (1862), Pantschowa / Pancevo (1864), Dresden (1865). In Weißkirchen wird er 1868 eine private Gesangschule eröffnen, danach 1870 eine Musikschule für Kinder. Hier heiratet er Maria Hildebrand und zusammen werden sie sechs Kinder haben: vier Söhne und zwei Töchter. Alle vier Söhne werden Musiker: Rudolf, Ottokar, Karl und Victor.

Die Gründung des Philharmonischen Vereins in Temeswar am 21. Oktober 1871 und besonders die Perspektive der Eröffnung einer Musikschule in ihrem Rahmen, veranlasst Martin Novacek in die Hauptstadt des Banats zu kommen, da jetzt seine Kinder bald die Schule besuchen mussten und da er sich selbst durchsetzen wollte. Ein so komplexer und vollkommener Musiker, konnte hier mit Sicherheit bessere Bedingungen als in Weißkirchen finden. 1872 wird er Canto-, Klavier- und Violinprofessor der neu gegründeten Musikschule des Philharmonischen Vereins und 1873 Dirigent dieses Chors. 1873 übernahm er gemeinsam mit Wilhelm Franz Speer die musikalische Leitung des Philharmonischen Vereins. Novacek leitete den Chor und das Orchester in drei verschiedenen Etappen: 1873-1875, 1881-1882 und 1898-1905.

In den Jahren 1874 und 1875 veranstaltete er mehrere Konzerte, bei denen Werke von Palestrina (u.a. Missa Papae Marcelli), Allegri (Miserere), Johann Sebastian Bach, Philipp Emanuel Bach, Stradella (Gebet), Boccherini (Klavierquintett) u.a. aufgeführt wurden. Er spielte dazwischen auf der Viola d´amore eigene Kompositionen, es wirkte mit der Gesangverein aus Weißkirchen wie auch der Temeswarer Philharmonische Verein. Wie die meisten anderen Temeswarer Domkapellmeister, komponierte auch er Gelegenheitswerke für seinen Domchor. So ist uns ein Graduale in festo B.M.V. Perpetuo sucursus. Tota formosa für gemischten Chor zu 4 Stimmen erhalten geblieben, das Manuskript ist datiert „M. Novacek, Temesvár 18. VI. 1903“.

Nebst seiner Tätigkeit als Pädagoge und Dirigent war Martin Novacek ein sehr fleißiger und wertvoller Animateur der Kammermusikkonzerte. Schon ab 1875 organisierte er die so genannten Matinee-Konzerte, die Kammermusikspielzeiten des Philharmonischen Vereins. Als ein ausgesprochenes Multitalent – er meisterte die Violine, die Bratsche, das Klavier, das Cello und die Viola d´amore – hat Martin Novacek einen wahren Wettstreit zwischen den Temeswarer Musikern ausgelöst. Ab 1. April 1875 veranstaltete er gemeinsam mit Ferdinand Prenner, Franz Sedlmayer, Max Weiß, Eduard Gerger und Wilhelm Franz Speer Kammermusikkonzerte.

Papa Novacek, wie er von seinen Kollegen genannt wurde, war nicht nur ein wertvoller Musiker, sondern auch ein geistreicher Mann mit Sinn für Humor, wie die Temesvarer Zeitung schrieb, der sich von seinen Idealen fürs Gute und Schöne leiten ließ. Er verdiente seinen Unterhalt als Domkapellmeister in Temeswar. Seine hiesige langjährige Tätigkeit verflocht er stets mit Projekten des Philharmonischen Vereins und hinterließ die Erinnerung an große Musikereignisse – die Aufführung des Oratoriums Die Schöpfung von Joseph Haydn, Elias und Paulus von Mendelssohn Bartholdy.

Für seine Kinder war Martin Novacek nicht nur ein liebevoller Vater, sondern auch der wichtigste Wegbereiter für den musikalischen Beruf. Bis jeder seine eigene Wege auf der Künstlerbahn ging, hatten alle vier Söhne sich nicht nur gründliche Theoriekenntnisse angeeignet, sondern auch Violinunterricht und manche von ihnen zur selben Zeit Bratsche-, Cello- oder Klavierunterricht erhalten.

Mit seinen ersten drei Söhnen hat er 1877 ein Streichquartett unter dem Namen Kammermusikvereinigung Familie Novacek gegründet und im Jahre 1878, als die Söhne 18, 12 und 10 Jahre alt waren, eine Konzerttournee durch verschiedene Städte Böhmens und Ungarns unternommen hat. Man spielte in Karlsbad / Karlovy Vary und bei der Rückkehr auch in Budapest, auf der Margareteninsel. Die Presse der Gegenwart fand nur gute, lobende Worte für sie. Selbst der Pester-Lloyd berichtete über den großen Erfolg der Familie Novacek. Das Neue Pester Journal schreibt: „Die strebsame Künstlerfamilie, besonders aber ihr Oberhaupt, der wackere Domorganist von Temeswar, fand für ihr sorgfältig ausgebildetes Zusammenspiel und für den korrekten und warmen Vortrag die freundlichste, ehrende Anerkennung.“

Martin Novacek starb am 19. März 1906 im Alter von 72 Jahren, infolge einer nicht gelungenen Operation in einem Wiener Sanatorium. Seine sterblichen Überreste sind am innerstädtischen Friedhof in Temeswar bestattet worden, wo sich heute noch die Familiengruft befindet.

Diese Musikerfamilie des Temeswarer Domkapellmeisters Martin Novacek – heute fast vergessen – müsste eigentlich durch die unbestreitbaren Verdienste die sie geleistet hat, ihren würdigen Platz in der Musikgeschichte einnehmen.

 

Über die Tätigkeit Martin Novaceks veröffentlichte Jan Skohoutil im Jahre 1933 in der tschechischen Musikzeitschrift Hudebnik folgenden Artikel. Der Text wurde unwesentlich gekürzt. Die Handlung spielt im Jahre 1863.

 

Die korrigierte Messe

 

Vor sechzig Jahren hatte Wien den Lanner und Strauss, Karlsbad den Labitzky [Josef Labitzky, *5. Juli 1802 Krasno, +19. August 1881 Karlovy Vary] und Prag den Komzak [Karel Komzak, sen., 4. November 1823 Netechovice, +19. März 1893 Netechovice, vielseitiger Musiker und Komponist, gründete 1854 in Prag eine hervorragende Kapelle, in der der junge A. Dvorak als Bratschist wirkte. Komzak wurde später Militärkapellmeister der Regimenter 11, 74 und 88. Er war ein Gönner von Rudolf Novacek. Sein Sohn Karl Komzak (1850-1905) war einer der bekanntesten österreichischen Komponisten seiner Zeit.]. Jeder von diesen hatte eine private Kapelle gebildet aus tüchtigen Musikern, die das Publikum durch vorzügliche Leistungen elektrisierte und jeder war der Liebling des Publikums.

Karel Komzak, ein Mann von imponierender gestallt, war ursprünglich Musiklehrer in Prag und gründete im vergangenen Jahrhundert ein Orchester, das in kürzester Zeit die Gunst und Bewunderung des musikliebenden Publikums gewonnen hat. Komzak war nicht nur ein energischer Dirigent, sondern auch ein gütiger Freund der Orchestermitglieder, welche aufmerksamst jeden Wink seines Taktstockes verfolgten. Unter den vorzüglichen Musikern der Kapelle ragte besonders Martin Novacek hervor (Vater von Rudolf Novacek, ehemaliger Kapellmeisters des Infanterie Regiments 28, dem Komponisten des Castaldo-Marsches) geboren in Strakonice, Assistent des Direktors der Orgelschule Karel Pitsch, in welchem Komzak einen hervorragenden Geiger gewonnen hat. Die Prager Orgelschule wurde 1830 vom Verein der Kunstfreunde für Kirchenmusik in Böhmen gegründet. Sie wurde 1890 mit dem Prager Konservatorium zusammengelegt. Ihr prominentester Absolvent war Antonin Dvorak. Karel Pitsch (*5. Dezember 1786 Bartosovice, +12. Juni 1858 Prag) war 1842-1858 Direktor der Prager Orgelschule.

Es war eine wahre Freude Martin Novacek beim Spielen zuzusehen. Sein warmer und gefühlvoller Vortrag hat die anderen Musiker mitgerissen und es war kein Wunder, dass die mit Herz und Seele vorgetragene Musik zum stürmischen Beifall der dankbaren Zuhörer führte. Das war auch so am Donnerstag den 8. Juni 1856 im Koppmanns Gartenrestaurant. Nach jedem Stück folgte eine Hochstimmung und der stürmische Beifall des Publikums, besonderes dann, wenn ein neuer Walzer von Komzak ausgklang, der diesen gerne wiederholte. Nach dem Walzer legte Novacek die Geige ab und kam an meinen Tisch um mit mir ein paar Worte zu wechseln. Vor einem Jahr hat mich mit ihm Professor F. Blazek in der Orgelschule bekannt gemacht und seit dieser Zeit kamen wir oft zusammen. Frantisek Blazek (*21. Dezember 1814 Velesovice, +13. Januar 1900 Prag) war als Lehrer an der Prager Orgelschule 1838 tätig, 1891-1895 am Prager Konservatorium, war Sekretär des Vereins der Kunstfreunde für Kirchenmusik Böhmens. Zu seinen Schülern zählen auch Eduard Napravnik und Antonin Dvorak.

„Wie finden Sie den neuen Walzer von Komzak?“ fragte er. „Ausgezeichnet, doch ziehe ich seine Polkas vor, obwohl seine Walzer jenen von Strauss ähneln. Seine Polkas sind wie Fasanen unter dem Geflügel, welches die Feder verloren hat.“ „Und Ihre Muse ruht?“ frage ich Novacek. „Oh, keinesfalls“ erwiderte er, „Ich habe eine größere Messe in A-Dur komponiert.“ „Da haben Sie aber eine frommen Tonleiter gewählt.“ „Wie meinen Sie das“, fragt der Komponist. „Sie mussten schließlich drei Kreuze machen...“ „Das allerdings“ lächelte Novacek „aber ich habe mein Kreuz mit Direktor Pitsch. Ich habe ihm anvertraut, dass ich eine größere Messe komponierte und er gab nicht eher Ruhe, bis ich ihm diese zur Ansicht gab. Gestern gab er mir diese zurück, voll mit vermutlichen Korrekturen bekritzelt. Fast an jedem Blatt wimmelt es von Korrekturen von Pitsch. Aber es sind keine harmonische Fehler, sondern vermutliche, nach seiner Ansicht falsche Schritte bei den Akkorden, die Pitsch mit Bleistift ersetzte. Dabei hat er mir geraten, seine Korrekturen aufzunehmen, die Messe umzuschreiben und ihm diese erneut vorzulegen.“ „Das gibt aber viel Arbeit“ erwiderte ich. „Keinesfalls, es fällt mir nicht einmal im Traum ein, die Messe umzuschreiben und dann sich mit der Feder von Pitsch zu schmücken. Ich habe sie in den Schrank gelegt, wo sie ruhig liegen bleibt. Abschreiben will ich sie nicht, das habe ich mir geschworen.“

„Und wie war das Ergebnis des Hauskonzertes in der Wohnung von Leopold Zavrel [Josef Leopold Zvonar (*22. Januar 1824 Kublov, +23. Januar 1865 Prag), Absolvent der Prager Orgelschule (1842), ab 1844 Assistent von K. Pitsch, nach dessen Tode Leiter der Orgelschule bis 1860. Starb an Tuberkulose.] mit dem Vortrag der Sonate für Geige und Klavier von Napravnik? Ich konnte leider nicht kommen, ich hatte Besuch zu Hause.“ „Es ging sehr gut, wie haben wie um eine Wette gespielt. Napravnik hatte es leicht, er trug seinen Part auswendig vor, aber ich musste meinen Teil für Geige prima vista spielen.“ „Und das hat sie nicht gestört?“ „Keinesfalls, Napravnik weiss gut, was man der Geige zumuten kann und was nicht und so haben wir glatt und tadellos die Komposition zu Ende gespielt.“ „Und wie gefällt Ihnen seine erste Arbeit?“ „Man kann ihm nichts abstreiten“ erwiderte Novacek, „dass er ein Talent hat, welches sich mit der Zeit entwickeln wird. Selbst der Zvonar, dem ich den Namen des Komponisten verheimlicht habe, lobte die Eleganz der Komposition und gleichmäßiges Wechseln des Klavier- und Geigenparts.“ Eduard Francevic Napravnik (*24. August 1839 Byst, +23. November 1916 Petrograd), Absolvent der Prager Orgelschule, seit 1861 in Russland, 1862 an der Hofoper, seit 1867 zweiter und seit 1869 erster Kapellmeister.

Ich wollte Novacek noch etwas fragen, aber das Abklopfen des Taktstockes von Komzak unterbrach unser Gespräch. Etwa vier Wochen später traf ich Martin Novacek in Koppmanns Gartenrestaurant wieder, wo gerade die Kapelle eine frische Polka vom Dirigenten soeben beendet hat und auf allgemeinen Wunsch diese wiederholen musste. Novacek kam schnell zu mir: „Wissen Sie, was es Neues gibt?“ sprach er mich an. „Etwas Erfreuliches?“ fragte ich. „Ich habe die Stelle als Regenschori in Weisskirchen angenommen und werde gleich nach den Ferien Prag und das Vaterland verlassen.“ Das ist aber wirklich schade, dass Sie abreisen werden, aber ich nehme an, Sie werden sich finanziell verbessern? Nehmen Sie bitte deshalb meinen Glückwunsch entgegen. Und wie sieht es mit Ihrer Messe aus?“ „Gegen jede Erwartung. An jedem Tag, als ich zur Orgelschule für den praktischen Unterricht kam, erschien auch Herr Direktor Pitsch mit der Frage, ob ich die Messe mit Korrekturen neu geschrieben habe. Diese Frage stellte er mir die ganzen vier Wochen an jeden Tag. Endlich entschied ich mich zu einem energischen Schritt. Da ich geschworen habe, diese Messe nicht abzuschreiben, habe ich sie aus dem Schrank herausgeholt und sorgfältig alle Korrekturen von Pitsch wegradiert, ließ die Messe beim Buchbinder einbinden und gab sie dem Direktor. Am dritten Tag brachte der Direktor meine Messe zur Schule und mit dem Ausdruck voller Zufriedenheit trat an mich heran. „Sehen Sie, Herr Assistent, nun sieht ihre Messe anders aus, nur weiter so.“ Wir beide haben gelacht. Ich wegen dem klugen Einfall Novaceks und er des glücklichen Ausgangs wegen. Seit der Zeit habe ich den neu gewählten Regenschori nicht mehr gesehen, habe aber gehört, dass es ihm in Weisskirchen gut geht.

 

Zusammengestellt nach Daten von Bohumil Pesek (Prag), Ioan Tomi (Temeswar), Dr. Franz Metz (München).

Ioan Tomi (Temeswar): Die Musikerfamilie Novacek. Neue Erkenntnisse zur musikalischen Tätigkeit der Familie des Temeswarer Domkapellmeisters

Erschienen in:

Franz Metz (Hrsg.): Die Kirchenmusik in Südosteuropa, Hans Schneider-Verlag, Tutzing 2003

 

Bilddokumentation

 

Eine Delegation des Temeswarer Philharmonischen Vereins in Szombathely (Steinamanger) 1906 mit Martin Novacek als Dirigent (2. Reihe, 4. v.l.)

Kammermusikkonzert mit der Familie Novacek in Temeswar, 1882

Schreiben Martin Novaceks an den Philharmonischen Verein

Gemütliche Runde: Martin und Rudolf Novacek

Das Streichquartett Novacek: Martin Novacek und seine 3 Söhne

Autograph Martin Novaceks: Temeswar 1903

Dirigentenstab vom Ungarisch-Weisskirchner Männer-Gesangvereien, 1861

Etui des Dirigentenstabs: Weisskirchen 1861

Letzte Ruhestätte Martin Novaceks im Temeswarer Innerstädtischen Friedhof

 

Letzte Ruhestätte Martin Novaceks im Temeswarer Innerstädtischen Friedhof

 

Copyright © Dr. Franz Metz, München 2007

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