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DIE MUSIK RICHARD WAGNERS IM BANAT
Eine Rezeptionsgeschichte zum 200. Geburtstag des Komponisten
Von Dr. Franz Metz
In diesem Jahr feiert die ganze Musikwelt den 200. Geburtstag Richard Wagners, der im Jahr der Völkerschlacht zu Leipzig (1813) in dieser Stadt das Licht der Welt erblickt hat. Ein Journalist behauptete kürzlich überspitzt, „…über keinen Menschen wurde bisher so viel geschrieben wie über Richard Wagner, …ausgenommen vielleicht Jesus und Napoleon.“ Wahrlich, noch zu Lebzeiten dieses Komponisten, schon in seinem jugendlichen Alter, hat man sich über dessen theoretischen und musikalischen Schöpfungen gestritten: es gab Befürworter und Gegner dieser neuen Musikrichtung. Diese Auseinandersetzungen fanden damals im gesamten deutschsprachigen Kulturraum statt, also auch im Banat und in Siebenbürgen. Man konnte in den deutschsprachigen Tageszeitungen Temeswars oder Hermannstadts Berichte über Wagneraufführungen in Wien, Budapest oder Bayreuth lesen und gleichzeitig die nur zaghaft vollzogene Anerkennung von Wagners Musik auch im damaligen Ungarn mitbekommen. Um so mehr wurde der Lieblingskomponist Adolf Hitlers nach 1933 von den Deutschen im Banat und in Siebenbürgen gefeiert und sein Schaffen bei Heldenehrungen und Kraft-durch-Freude-Veranstaltungen gewürdigt. Grund genug also, die Rezeption von Wagners Schaffen im südosteuropäischen Raum etwas näher zu betrachten.
Richard Wagner als Gast bei Graf Nakó
Graf Kálmán von Nakó (1822-1902) hatte außer seinem Kastell im Banater Großsanktnikolaus auch in Budapest, Wien und Schwarzau mehrere Pallais und Mietwohnungen. Dessen Frau, Gräfin Berta von Nakó, geb. Gyertyánffy de Bobda (1819-1892) war eine begnadete Malerin, deren Marienbild man in der katholischen Pfarrkirche von Großsanktnikolaus auch heute noch bewundern kann. Außerdem spielte sie gut Klavier und gründete in Großsanktnikolaus ihre eigene Zigeunerkapelle, mit der sie gemeinsam in Konzerten aufgetreten ist. Ihr Name war den bedeutendsten Musikgrößen jener Zeit, wie Franz Liszt, Giacomo Meyerbeer und nicht zuletzt Richard Wagner ein Begriff. Selbst Fürstin Metternich und andere Adelige Europas schätzen diese Frau, ihre künstlerische Begabung und ihre ausstrahlende Persönlichkeit.
Für Richard Wagner war die Begegnung mit Berta von Nakó so wichtig, dass er darüber am 13. September 1861 von Wien aus an Mathilde von Wesendonck in einem Brief ausführlich berichtet hat. Fürst Rudolph Liechtenstein hat ihn nämlich auf den Landsitz des Grafen Nakó nach Schwarzau eingeladen, wo er das Grafenpaar kennengelernt hatte. Schon die Einrichtung des Schlosses weckte die Aufmerksamkeit Wagners: „Die Gräfin, eine Dame am Ende der dreissiger Jahre, mit überraschend geistvollem großem schwarzen Auge, ist berühmt durch ihr eigenthümliches musikalisches Naturtalent; sie hält sich eine Zigeunerkapelle als musikalische Hauskapelle, setzt sich zu ihr ans Klavier, und phantasiert mit den Leuten Stundenlang das wunderbarste Zeug. Ich fürchtete in ihr Exaltation, vielleicht Affectation antreffen zu müssen: ihre Haltung beruhigte mich bald. Besser noch belehrten mich über den Ernst ihres Schönheitssinnes mehrere staunenswürdig ausgeführte Copien schönster van Dyck´scher Porträts, von denen sie mir sagte, dass sie ihr viel Mühe gekostet haben, dass sie leider auch in der Malerei nichts Ordentliches gelernt. Etwas Ähnliches wie ihr Atelier habe ich noch nicht gesehen. (…)“
Leider war die Zigeunerbande der Gräfin damals gerade in Ungarn (Großsanktnikolaus), deshalb zeigte sie Wagner gleich am Klavier, wie sie mit ihren Musikanten stundenlang gemeinsam improvisiert. Wagner charakterisierte ihr Spiel so: „Dies war sehr originell und fesselnd. Bald mischte sie Motive aus Lohengrin hinein: da musste endlich auch ich ans Klavier. Ich freute mich der schönen Stille, mit der Alles aufgenommen wurde.“
Der Graf wird von Wagner als ein „schöner Ungar von echtem Schlage“ beschrieben, der dem Besucher versicherte, dass er der größte Anhänger seiner Musik in Ungarn und in Wien sei. Beim Frühstück waren auch die ungarischen Magnaten Zichy und Almásy zugegen und Wagner störte es, dass diese Herren nur über ihre Pferdezüchtungen sprachen. Schließlich reiste er weiter, um in Mödling bei Wien seinen Solisten Ander zu treffen, der in der Wiener Aufführung des Fliegenden Holländers gesungen hat.
Diese Begegnung war für Richard Wagner in bester Erinnerung geblieben, weshalb er darüber sogar in seiner Autobiographie Mein Leben nach vielen Jahren darüber berichtet hat. Hier schreibt er, dass Fürstin Metternich ihm bereits in Paris die Familie des Grafen Nakó in Wien empfohlen hat, „…von dessen Frau namentlich sie mir in bedeutungsvollem Sinne sprach.“ Er nennt Berta eine „Art von kultivierter Zigeunerin“, deren Mal- und Musiziertalent er bewundert hat. Am Klavier spiele sie „…nur Zigeunerweisen mit allerechtestem, wie sie sagte, von Liszt verfehltem Vortrage.“ Diese Behauptung Wagners beweist, dass Berta von Nakó Liszt kannte und besonders seine Ungarischen Rhapsodien schätzte, komponiert nach ungarischen Motiven. Zwei Jahre davor (1859) erschien nämlich in Paris Liszts Buch Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn. Es gibt Behauptungen, dass Berta selbst eine Zigeunerin gewesen sein soll, die in die Großsanktnikolauer Grafenfamilie adoptiert wurde. Die Aussage Wagners untermauert diese Behauptung.
Seinen Besuch bei den Nakós quittierte Wagner mit der Feststellung: „Ich lernte hier die Tendenz einer freimütigen ungarischen Gastfreundschaft kennen. (…) Leider hatte ich mich bald zu fragen, was ich unter diesen Leuten zu tun haben sollte…“ – ausgenommen das gemeinsame Musizieren mit Berta von Nakó. Und diese ungarische Gastfreundschaft wird Wagner zwei Jahre später (1863) in Pesth erfahren, wo er einige Konzerte dirigieren wird.
Seine Konzerte des Jahres 1861 in Wien erbrachten jedenfalls keine großen Einnahmen und selbst mit der finanziellen Unterstützung seitens der Grafenfamilie Nakó konnte er seine Situation – bedingt auch durch seine persönlichen hohen materiellen Ansprüche – nicht verbessern und verließ tief enttäuscht die Stadt.
Franz Liszt, der Freund, Förderer und später auch Schwiegervater Richard Wagners, hat bereits die Gräfin Berta von Nakó 1856 in Paris kennengelernt. Auch er war von ihrer Persönlichkeit begeistert und berichtete euphorisch in einem Brief wie folgt: „Weil ich jetzt in Fahrt bin, über Volkslieder und alte Weisen zu sprechen, erzähle ich Ihnen nun, wie ich mit einer charmanten jungen Frau Bekanntschaft gemacht habe, der Gräfin von Nakó, die in bezaubernder Art und mit der ihr eigenen Leidenschaft und mit Talent Zigeuner-Weisen spielt. Auf eigene Kosten unterhält sie auch eine kleine Künstler-Truppe von Zigeunern (aus dem Banat), die sie kürzlich vor Meyerbeer auftreten ließ; Bei meiner Ankunft waren sie schon wieder weg, ich hatte aber keinen Grund, es zu bedauern, da Frau Nakó alleine einer Horde von Zigeunern gleicht. Darüber hinaus beschäftigt sie sich nicht ohne Erfolg mit Malerei, und ich habe mehrere ihrer Portraitstudien (Ölbilder) gesehen, die mir gut gelungen zu sein scheinen. Kurz gesagt, sie ist eine Löwin, die mehr als ihre Vorgängerinnen einen ziemlich ausgeprägten Kunstsinn hat. Letzten Sommer war sie in Paris (wo sie gut mit Frau Kalergis bekannt wurde) und wird im nächsten Frühling dorthin zurückkommen, nach einem Aufenthalt in Brüssel.“
Bild 2: Friedrich von Amerling: Gräfin Berta von Nakó (1855)
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Bild 3: Nakó-Kastell in Großsanktinikolaus
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Bild 4: Gräfin Berta von Nakó mit ihrer Zigeunerkapelle
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Tannhäuser in Temeswar
„Das Ereignis des Tages, den Gesprächstoff sowohl der musikalischen Kreise als auch den der Laien bildet die am 13. d. Mts. stattgehabte erste Aufführung der vorgenannten Oper. Der Meinungskampf, der gleich beim Erscheinen der ersten Schöpfung Wagners in allen musikalischen Kreisen entbrannte und bis auf den heutigen Tag nicht ausgetragen ist, ward nun auch uns nähergerückt, und obzwar es niemand geben wird, der nach einmaligem Anhören einer Wagnerschen Oper von sich wird sagen können, er habe sie verstanden, so gibt doch schon eine einmalige Aufführung der Anhaltspunkte gar viele, um in dem Meinungskampfe über Verwerflichkeit oder Vorzüglichkeit Wagnerscher Musik einige Orientierung zu gewinnen.“ Mit dieser langen Einleitung beginnt die Kritik der Opernpremiere von Wagners Tannhäuser im Feuilleton der Temesvarer Zeitung vom 18. Januar 1866.
Die Uraufführung dieser romantischen Oper in 3 Akten fand 1845 in Dresden statt und bis 1861 folgten weitere Ausarbeitungen der Partitur. Allerdings war dies nicht „die erste Schöpfung Wagners“, wie der Berichterstatter schreibt, davor entstanden bereits Das Liebesverbot (1836), Rienzi (1842) und Der Fliegende Holländer (1843). Es war aber vermutlich die erste Wagneroper auf einer Temeswarer Bühne.
Und trotzdem hat man auch in Temeswar schon viel über Richard Wagner gelesen und debattiert. Der Begriff „Zukunftsmusik“ war geläufig und es bildeten sich auch in Banater Kulturkreisen schon Anhänger und Gegner dieser Musikbewegung. Der Schreiber dieses Zeitungsartikels wollte aber objektiv bleiben und hat sich die größte Mühe gegeben, keine der Gruppierungen zu beleidigen. Wagner wird auch als Dichter dargestellt, der bekanntlich seine Libretti (Operntexte) selbst schrieb. Doch dessen Musik wird viel mehr geschätzt als seine Dichtungen: „Man mag aber noch so streng mit Wagner ins Gericht gehen… so viel wird man auf alle Fälle zugeben müssen, dass Wagner ein hervorragendes, schöpferisches, großes musikalisches Talent sei, dessen Streben ein edles, dessen Erfolg, trotz aller Anfeindungen, ein unleugbar bedeutender ist.“
Die Interpreten wurden besonders hervorgehoben und ernteten einen großen Erfolg. Direktor Eduard Reimann wurde wegen seines Mutes gelobt, dem es gelungen ist, auf einer so kleinen Bühne wie jene des Temeswarer Theaters, ein solches Werk aufzuführen. Selbst Kapellmeister Fuchs wurde nach der Ouvertüre und nach allen Aktschlüssen hervorgerufen und lange applaudiert. Dieser musste sein Orchester mit 16 Mann verstärken, um der Partitur Wagners gerecht zu werden.
Bild 5: Ankündigung der Tannhäuser-Premiere in Temeswar (1866)
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Bild 6: Das Franz-Josef-Theater, Temeswar (um 1900)
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Apolonia Schwefelberg und Richard Wagner
In diesem Zeitungsbericht aus dem Jahre 1866 wird auch die Sängerin Apolonia Schwefelberg genannt, die im Tannhäuser die Venus dargestellt hat und mit vollster Zufriedenheit aufgetreten ist. Zwei Tage später, am 20. Januar 1866 brachte die gleiche Zeitung einen langen Artikel dieser Sängerin und Musikpädagogin, in welchem sie den Lesern dieses Werk Wagners näher bringt. Schwefelberg war eine geschulte Sängerin und setzte sich überzeugend für das Werk Wagners in Temeswar ein. Sie erhielt ihren ersten Musikunterricht von Domkapellmeister Moritz Pfeiffer, studierte danach in Wien bei Karl Binder und Giovanni Gentiluomo. Sie wurde als dramatische Sängerin durch Schindelmeister in Darmstadt gefördert, dann durch Anton Rubinstein in Moskau und schließlich durch Hofmusikdirektor Elsler in Berlin. Dass sie in sehr vielen Opernvorstellungen europaweit aufgetreten ist, beweisen die zahlreichen handschriftlich erhaltenen Solostimmen aus ihrem Besitz, darunter Werke von L. Venzano, Bellini (Nachtwandlerin), Flotow (Allessandro Stradella), Verdi (Troubadour, Ernani), Mozart (Don Juan, Zauberflöte, Der Schauspieldirektor), Halevy (Die Musketiere der Königin), Donizetti (Lucretia Borgia), Rossini (Der Barbier von Sevilla, Wilhelm Tell) und natürlich Opern von Richard Wagner. Für diesen Komponisten hat sie sich besonders eingesetzt, sie war eine Verteidigerin der so genannten Zukunftsmusik, die von Richard Wagner und Franz Liszt ins Leben gerufen wurde. Alle ihre Handschriften (Abschriften) beendete sie mit M.G. („Mit Gott“).
Apolonia Schwefelberg ist auch in Königsberg als Opernsolistin aufgetreten, wie die Widmung einer Partitur des Opernsängers Sigmund Jäger vom 25. August 1861 es beweist: „Für seine liebe Kollegin Appolline (sic!) Schwefelberg instrumentirt, von Sigmund Jäger, Opernsänger, Königsberg den 25.8.1862“. Sie veröffentlichte in der Temesvarer Zeitung mehrere Artikel zur Musikgeschichte, so am 8. März 1866 den Artikel Humoristische Streiflichter auf die Entstehung und Entwicklung der Musik. In ihrem Nachlass wurden außerdem noch zwei wertvolle Handschriften entdeckt: eine Klavierschule und eine Gesangschule. Beide Lehrwerke wurden von ihr selbst für ihren Unterricht zusammengestellt, den sie in Temeswar ab Monat April 1866 nach Beendigung der Opernspielzeit im Haus „Zur goldenen Taube“ in der Theater-Gasse erteilt hat.
Den Grund, weshalb Direktor Reimann gerade den Tannhäuser an der Temeswarer Oper gebracht hat, kennen wir nicht. Das Publikum wurde bereits 1858 in den Feuilletons der Temesvarer Zeitung auf die Lohengrin-Premiere an der Wiener Hofoper aufmerksam gemacht, wie auch auf die Premiere des Tannhäusers 1857 auf der Bühne des Josephstädter Theaters. Auch hier wurde Wagner als Librettist und Dramaturg beklagt: „Wäre Richard Wagner einfach als Compositeur vor die Welt getreten, so befände er sich ohne Zweifel in einer weit günstigeren Position.“ Besonders seine theoretischen Schriften wurden negativ bewertet, so auch sein Buch Das Judentum in der Musik. Diese Einstellung des Publikums Wagner gegenüber konnte man auch im damaligen „Klein-Wien“, also in Temeswar, verfolgen: Hätte er sich doch lieber nur mit der Musik beschäftig.
Bild 7: Handschrift Apolonia Schwefelbergs
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Bild 7a: Handschrift Apolonia Schwefelbergs, Klavierschule
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Bild 7b: Handschrift Apolonia Schwefelbergs mit einer Sopran-Arie (um 1850)
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Bild 8: Annonce Apolonia Schwefelbergs in der Temesvarer Zeitung für Gesang- und Klavierunterricht (1866)
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Bild 9: Insignie des Temeswarer Philharmonischen Vereins
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Bild 10: Handschrift August Pummers mit dem Libretto einer Wagner-Oper (um 1860)
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Wagnerkonzert in Temeswar abgelehnt
Im Jahre 1887 wandte sich Impresario Jules Sachs aus Berlin an August Pummer (1837-1893), dem Vorsitzenden des Temeswarer Philharmonischen Vereins mit einem Angebot, in der Banater Metropole ein Wagnerkonzert mit erstklassigen Interpreten zu veranstalten. Dazu gehörten Solisten der berühmtesten Opernhäuser der Welt, aus New York, Stuttgart, Kassel, Prag. Er wies in seinem Schreiben darauf hin, dass in der damals 36.000 Einwohne zählenden Stadt Temeswar das „deutsche Element“ zahlreiche vertreten sei und einen großen Saal bestimmt füllen würde. Doch Pummer lehnte dieses verlockende Angebot ab mit der Begründung, dass er dieses Konzert in keinem Fall akzeptieren könne, da er den Geschmack des Publikums kenne und dieses Wagner-Konzert kein Erfolg haben kann.
Doch diese Einstellung des Temeswarer Publikums wird sich in wenigen Jahren grundlegend ändern. In den folgenden Jahren werden durch den Temeswarer Philharmonischen Verein viele Wagnerkompositionen ausgeführt, darunter Teile aus Rienzi, Lohengrin, Die Meistersinger aus Nürnberg, Der fliegende Holländer, Wallküre, Parsival, Tristan und Isolde. Teile aus dem Fliegenden Holländer hat der Chor in ungarischer Sprache gesungen, was damals in Ungarn üblich war. Selbst der Präses des Temeswarer Philharmonischen Vereins, August Pummer, hat in vielen Konzerten Arien aus Wagner-Opern gesungen. Er war ein begnadeter Bass-Bariton und ein eifriger Förderer der Banater Musikszene seiner Zeit. So trat er als Solist am 18. Mai 1873 im alten Orawitzaer Theater anlässlich des gemeinsamen Konzertes des Temeswarer Philharmonischen Vereins und des Orawitzaer Musik- und Gesangvereins auf und sang die Hymne an den Abendstern aus Wagners Tannhäuser. Auf seinem handgeschriebenen Libretto dieser Oper notierte jemand die Bemerkung: „Herrn August Pummer, ein Herr ohne Sorg und Kummer.“
Dem Temeswarer Beispiel folgten auch andere größere Musik- und Gesangvereine in Werschetz, Orawitza, Lugosch, Arad und Karansebesch. Für den Vortrag der Orchesterteile mussten meist zahlreiche Musiker der örtlichen Militärkapellen verpflichtet werden, da die damaligen Opern- und Symphonieorchester aus kleineren Besetzungen bestanden. Es erklangen dabei auch neue Kompositionen, wie z.B. Zellners Potpourri aus Richard Wagners sämtlichen Werken und Hamms Erinnerungen an Richard Wagner. Selbst Teile der Oper Der Bärenhäuter, komponiert von Siegfried Wagner, dem Sohn Richard Wagners, wurden in einer Fassung für Klavier zu vier Händen von Eugen Schürger und Árpád László vorgetragen. Erst im Jahre 1907 fand im großen Saal der städtischen Redoute ein reines Wagner-Konzert statt, das der Kammersänger Hermann Winkelmann von der k.u.k. Hofoper in Wien gemeinsam mit dem Klaviervirtuosen Oskar Dachs gegeben hat.
Jarosys Wagneriana
Der Temeswarer Domkapellmeister und Musikwissenschaftler Desiderius Jarosy (1882-1932) widmete Richard Wagner im Jahre 1908, anlässlich des 25. Todestages des Komponisten, ein kleines Büchlein in ungarischer Sprache mit dem Titel Richard Wagner als Musikdramaturg. Einen Vortrag darüber hielt er am 28. November 1908 im Rahmen eines Wagner-Konzertes, das vom Temeswarer Philharmonischen Verein und Solisten im großen Redoutensaal der Stadt gestaltet wurde.
Die Musikkapelle des 29. Regiments spielte unter der Leitung des verdienstvollen Kapellmeisters Wenzel Josef Heller Teile aus Wagners Opern Die Meistersinger, Der fliegende Holländer und Lohengrin, die Sopranistin Blanda Heller sang einige Arien, der Pianist Eugen (Jenö) Schürger spielte Opernparaphrasen nach Wagner-Opern von Franz Liszt und der Männerchor des Philharmonischen Vereins trat mit Chören aus dem Tannhäuser auf.
Jarosy wird nach dem ersten Weltkrieg auch in seiner deutschsprachigen Banater Musik-Zeitung (später unter dem Titel Musikalische Rundschau erschienen) über Richard Wagner mehrere Artikel veröffentlichen. So erschienen 1924 die beiden Artikel Verdi und Wagner (von Adolf Weiszmann) und Bruckner bei Richard Wagner wie auch zahlreiche Berichte über Wagner-Konzerte weltweit, Anekdoten und Zeitzeugenberichte. Im Jahre 1925 schrieb Jarosy eine längere Würdigung über Cosima Wagner, die Ehefrau Wagners und Tochter Liszts. Jarosy hat sie persönlich anlässlich seiner Reise zu den Opernfestspielen in Bayreuth kennen gelernt. Cosima Wagner wird hier als eine kranke, alte Frau dargestellt, die ihre letzten Tage erlebt: „Vielleicht noch ein letzter, schwerer Atemzug und Cosima Wagner wandelt in die Ewigkeit. Das Herz, welches Isolde-Liebe inne hatte, pocht nun zum letztenmal. Die Wahnfried-Villa wird tot, der Geist der über ihr schwebte, ist erstens in Richard Wagner, jetzt vielleicht zweitens in Cosima Wagner dahingegangen. In der Ewigkeit treffen sich zwei Geister: Einer wartet auf den Anderen… Jetzt ist sie vielleicht auch schon dort, wo nur die Ewigkeit waltet und hat das menschliche Wahnfried nun Siegfried Wagner überlassen…“ Doch Jarosy hat sich geirrt: Cosima wird noch fünf Jahre weiterleben und erst 1930 im hohen Alter von 93 Jahren zu Grabe getragen. Kurz vor ihrem Tod brachte die Banater Deutsche Zeitung vom 5. Mai 1929 die Nachricht mit einem Foto, dass sie schwer erkrankt sei und dass es ihr zu verdanken sei, dass die Bayreuther Festspiele „uns bis auf den heutigen Tag“ erhalten blieben.
In Bayreuth entstand damals auch das berühmte Foto, das den Temeswarer Priester, Domkapellmeister und Musikwissenschaftler Desiderius Jarosy zeigt, hinter ihm stehend Graf Zichy.
Die musikhistorischen Forschungen Jarosys hat dessen Nachfolger, Desiderius Braun (1894-1940), ebenfalls Temeswarer Domkapellmeister, fortgesetzt. Er widmete Wagners Temeswarer Tannhäuser-Premiere aus dem Jahre 1866 in seinem Buch Banater Rhapsodie ein eigenes kurzes Kapitel und berichtet auch über die Lohengrin-Aufführung aus dem Jahre 1898 an derselben Bühne, die vom damaligen jungen Dirigenten Bruno Walter (1876-1962) geleitet wurden. In seinen Memoiren schildert Walter seine Schwierigkeiten, die er mit dem kleinen Temeswarer Opernorchester bei der Einstudierung von Wagners Lohengrin hatte: „…Das Orchester war noch kleiner als in Preßburg, und wenn die Partitur geteilte Celli vorschrieb, erschien eine Falte der Verzweiflung auf der Stirn des einen, einzigen Cellisten, über den ich verfügte und der als wohlwollender Mann mich gern mit Doppelgriffen befriedigt haben würde, wenn es seine Technik oder die Möglichkeiten des Instrumentes erlaubt hätten. Ich suchte ihn von hoffnungslosen Versuchen abzuhalten, indem ich ihm zeigte, daß ich die zweite Cellopartie den Bratschen oder, falls sie dafür zu tief war, einem Fagott zugeteilt hatte, aber die gutgemeinten und schlecht ausgeführten Doppelgriffe wie die Verzweiflungsfalte erhielten sich bis zum Schluss der Saison.“ Trotz dieser Missgeschicke erinnerte sich Bruno Walter viele Jahre später (1956) in seinem Schreiben an das Temeswarer Deutsche Staatstheater aus Beverly Hills, Californien, gerne zurück an diese Zeit, die er in Temeswar verbracht hat: „Ihr gütiger Brief zu meinem achtzigsten Geburtstag hat mir die größte Freude gemacht. Welch ein schönes Gefühl für mich, dass die Söhne der Väter, die in der Zeit meiner dortigen Tätigkeit mich mit ihrer Zustimmung zu meinen Leistungen erfreut haben, diese Gesinnung mit so warmen Herzen fortsetzen…“ Bruno Walter wurde später ein bedeutender Dirigent und seine Wagner-Aufführungen und Einspielungen sind heute noch tonangebend.
Bild 11: Programm des Temeswarer Wagner-Konzertes mit dem Wiener Sänger Hermann Winkelmann (1907)
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Bild 12: Eintrittskarte zum Temeswarer Wagner-Konzert 1908
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Bild 13: Titelseite des Wagnerbüchleins von Desiderius Jarosy
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Bild 14: Cosima Wagner in der Temesvarer Zeitung (1929)
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Bild 15: Desiderius Jarosy mit Graf Zichy bei den Bayreuther Opernfestspielen
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Bild 16: Plakat der Tannhäuser-Aufführung am Temeswarer Theater 1866
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Wagner zum Fasching
Die Schwierigkeiten kleinerer Bühnen und Vereine in der Aufführung von Wagner-Opern führten zu sonderbaren Blüten in der Behandlung musikalischer Themen. Dies führte nicht nur zu Vereinfachungen und Kürzungen solcher Opernpartituren sondern auch zu Nachahmungen der verschiedenen Themen und Motive, wie jene in Wagners Tannhäuser. Der Temeswarer Musiker Karl Rudolf Karrász (1846-1912) komponierte so aus dem Sängerstreit auf der Wartburg seinen eigenen Tann-Häuser oder Die Keilerei auf der alten Wartburg und führte dieses Singspiel bei der Sylvester-Liedertafel vom 31. Dezember 1876 auf. Er nannte seine Komposition sogar „große sittlich germanische Oper mit Gesang und Musik in vier Aufzügen“, die Hauptpersonen wie Pietsch, Wolfram von Dreschenbach, Walter von der Viehweide, Frau Venus geb. Meier, ließ er aus den Temeswarer Stadtteilen Josefstadt, Fabrikstadt und den Meierhöfen kommen und die Handlung „…spielt gleichzeitig in verschiedenen Jahrhunderten. Der erste Akt im Venusberg im Venuskeller, der zweite wo anders, der dritte im Redoutensaal – auf der Wartburg, der vierte nach dem dritten Akte.“
Eine ähnliche Opernparodie mit dem gleichen Titel schrieben 1857 Carl Binder und Johann Nestroy für das Wiener Theater in der Josefstadt. Vermutlich ließ sich Karrász von dieser Nestroy-Posse inspirieren und schuf seine eigene Temeswarer Fassung.
Dass dieses Thema auch zum Fasching passen könnte, hat sich der Orawitzaer Musik- und Gesangverein ausgedacht, der am 11. Februar 1888 im Saal Zur Ungarischen Krone den Sängerkrieg auf der Wartburg des Komponisten Koch von Langentreu aufgeführt hat. In Anlehnung an Wagners Dichtung erweiterte man den Titel der Oper: „Großer Wettstreit zwischen berühmten Sängern, in altdeutschen Ritterkostümen gekleidet und mit Schilden bewappnet. Musikalisch-pantomimische Sensations-Komödie. Der Sieg der Choristen ist riesig und effektvoll, die Solisten ziehen sämtlich mit ungeheuer langer Nase ab“.
Bild 17: Karl Rudolf Karrász: Tann-Häuser oder die Keilerei auf der alten Wartburg (Temeswar 1876)
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Bild 18: Handschrift von Karl Rudolf Karrász: Tannhäuser (Partitur, 1876)
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Karl Huber und Richard Wagner
Im Jahre 1866 erreichte aus Luzern den damaligen Kapellmeister des Königlichen Ungarischen Operntheaters in Pesth, Karl Huber, ein Dankesschreiben von Richard Wagner, in welchem dieser sich für die Aufführung seines Lohengrins bedankt hat. Falls man in Pesth ein weiteres Werk von ihm aufführen wolle, würde er seinen Rienzi vorschlagen. Wagner ließ auch die Mitglieder des Orchesters grüßen, die ihm so lieb geworden sind. Dabei bezieht er sich auf seinen Aufenthalt in Pesth während einer größeren Konzertreise im Jahre 1863, als er als Dirigent aufgetreten ist und somit die Orchestermusiker kennenlernen konnte.
Diese erste ungarische Premiere einer Wagneroper ist dem Banater Musiker Karl Huber zu verdanken, der sich Zeit seines Lebens für die Bekanntmachung der Opern Wagners eingesetzt hat. Am 1. Juli 1827 in Warjasch geboren, bekam er seinen ersten Musikunterricht von seinem Vater Michael Huber, der als Kantorlehrer tätig war. Es folgten Musikstudien am Arader Konservatorium und in Wien. Im Jahre 1844 wurde er mit nur 17 Jahren Primgeiger des Pesther Nationaltheaters, dann 1862 Konzertmeister und 1871 Kapellmeister. Inzwischen war er 1851 für kurze Zeit Konzertmeister des Wiener Kärntnertor-Theaters. Später wird er Leiter eines Pesther Männergesangvereins und 1881 Chorleiter des ungarischen Landessängerbundes. Franz Liszt ernannte ihn 1884 zum Professor der neu gegründeten Königlichen Musikakademie.
Dass Karl Huber im Kriegsjahr 1866 eine Wagneroper an der ungarischen Nationalbühne aufführen konnte, grenzt schon an ein kleines Wunder. In diesem Jahr fand der Bruderkrieg zwischen Preußen und Österreich statt und die Österreicher erlitten am 3. Juli 1866 eine entscheidende Niederlage in Königgrätz. Dadurch änderten sich die Machtverhältnisse in Mitteleuropa und Österreich gehörte nicht mehr zur deutschen Staatenwelt. Die Premiere einer Wagneroper gerade in dieser spannenden Zeit in Ungarn und noch dazu am Nationaltheater, wirft deshalb viele Fragen auf.
Im Jahre 1876 weilte Karl Huber gemeinsam mit seinem Sohn Eugen Huber (später unter dem ungarischen Namen Hubay Jenö bekannt) als Gast des Temeswarer Philharmonischen Vereins in der Banater Metropole, wo sie gemeinsam konzertierten. Karl Huber starb am 20. Dezember 1885 in Budapest. Sein Eintreten für die Musik Richard Wagners im damaligen Ungarn hatte große Auswirkungen auch auf die Entwicklung der ungarischen Oper. Auch hier – wie in Wien und in Temeswar – begann man sich mit dem Problem der Zukunftsmusik Wagners und Liszts auseinanderzusetzen. Zu Ehren Karl Hubers hat man eine Gruppe Banater Chöre im Jahre 1922 im Rahmen des neugegründeten Banater Deutschen Sängerbundes als Huber-Grün-Gruppe benannt.
Bild 19: Brief Richard Wagners an Karl Huber 1861
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Bild 20: Karl Huber (1827-1885)
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Bild 21: Unterschriften von Angehörigen der Huber-Familie im Goldenen Buch des Temeswarer Philharmonischen Vereins (1876)
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Lohengrin in Arad
Die Musiksammlung des Arader Museums beherbergt einige interessante Dokumente zur Rezeption von Wagners Opern in dieser Stadt. Die Partitur von Wagners Lohengrin ist vermutlich ein Erstdruck dieses Werkes, enthält die Widmung an Franz Liszt wie auch ein beachtliches Vorwort, eigentlich Dankesworte des Komponisten an seinen Freund, der sein Werk in Weimar aus der Taufe gehoben hat. Damals (1852) befand sich Richard Wagner im Exil und Franz Liszt hat als Hofkapellmeister diese Oper mit seinem Ensemble einstudiert wie auch die Premiere geleitet.
Die handschriftlichen Eintragungen in ungarischer Sprache geben die Namen der Darsteller bekannt, die bei den Aufführungen in Arad (20. Februar 1903) und Temeswar (10. März 1906) mitgewirkt haben. Dabei handelt es sich um eine ungarische Operntruppe, die von Árpád Orbán geleitet wurde. Das handschriftlich erhaltene Aufführungsmaterial wurde um 1860 zusammengetragen und wurde vermutlich auch bei der Premiere in Temeswar verwendet. Allerdings wurden diesmal die deutschen Texte der Gesangstimmen der Solisten und des Chores mit dem ungarischen Text überklebt. Nur so konnte man diese Oper einem breiteren Publikum im damaligen Ungarn bekannt machen. Es ist auch anzunehmen, dass Karl Huber von Budapest aus dem damaligen Arader Opernensemble dieses Aufführungsmaterial zukommen ließ. Da es sowohl in Arad wie auch in Temeswar damals kein institutionalisiertes und ständiges Opernensemble gab, traten abwechselnd Theaterensembles auf, die in ihren Reihen auch Sängerinnen und Sänger hatten, mit denen man sich an Operetten und Opern wagen konnte. Die Wagneropern stellten allerdings zusätzlich größere Ansprüche an die Sänger und an das Orchester. Dieses musste gewöhnlich mit Musikern der örtlichen Militärkapelle und Laien verstärkt werden. Dazu kommt noch das Problem der zu kleinen Bühne und des zu engen Orchestergrabens im alten Arader Theater. Obzwar man in dessen Mauern zahlreiche Opern von Donizetti, Bellini, Verdi, Halevy aufgeführt hat, wurde das ganze Personal bei der Aufführung von Wagners Lohengrin vor neue, gewaltige Aufgaben gestellt.
Gleichzeitig kam noch eine andere Schwierigkeit dazu: wie wird dieses germanische Motiv Wagners beim ungarischen Publikum ankommen und wie wird sich das Arader Publikum überhaupt mit dieser „Zukunftsmusik“ auseinandersetzen, wie es z.B. in Temeswar der Fall war? Die Zeitungschroniken beweisen, dass der Erfolg Lohengrins in Arad nur durchschnittlich war. Man kehrte nach einigen Aufführungen wieder zum alten Repertoire zurück, zu Verdi, Bellini und Donizetti.
Das Musikarchiv des Arader Museums beherbergt noch weitere interessante Dokumente zur Wagner-Rezeption jener Zeit. So besuchte eine Arader Bürger die Aufführung des Parsifals im Rahmen der Bayreuther Opernfestspiele des Jahre 1894. Zwei weitere Konzertprogramme wurden aus dem Grand Etablissement Posthof des Kurortes Karlsbad mitgebracht und stammen aus den Jahren 1905 und 1906. Hier fand am 12. Juni 1905 ein Wagner-Liszt-Konzert mit der Kurkapelle statt (Leitung Martin Spörr) und am 13. August 1906 ein Richard-Wagner-Konzert (Leitung August Püringer).
Bild 21a: Orchesterstimme aus Lohengrin, um 1860 (Städtisches Museum Arad)
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Bild 22: Lohengrin-Partitur (Städtisches Museum Arad)
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Bild 23: Solistenstimme aus Lohengrin mit ungarischem Text (Städtisches Museum Arad, um 1860)
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Bild 23a: Programm des Liszt-Wagner-Konzertes in Karlsbad 1905 (Städtisches Museum Arad)
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Bild 23b: Programm des Wagner-Konzertes in Karlsbad 1906 (Städtisches Museum Arad)
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Bild 24: Parsifal bei den Bayreuther Festspielen 1894 (Musiksammlung des Arader Museums)
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Gedenkkonzerte zu Wagners 50. Todestag
Durch die Folgen des Trianon-Vertrags nach dem ersten Weltkrieg und nach der Machtergreifung des Nationalsozialismus im Deutschen Reich begann man auch im Banat und in Siebenbürgen die Musik und die theoretischen Schriften Wagners in den Dienst dieser Politik zu stellen. Bereits 1933 fanden anlässlich des 50. Todestags Richard Wagners zahlreiche Veranstaltungen und Konzerte statt. So auch jenes groß angekündigte Konzert des Banater Deutschen Kulturvereins vom 5. April 1933 in Temeswar. Nach der Wagner-Gedächtnisfeier in der Banatia wurde nun in der Oper ein riesiges Konzert organisiert, das dem „unsterblichen Meister deutscher Tonkunst“ gewidmet war, um das „deutsche Wesen“ und „deutsche Gefühl“ erstarken zu lassen.
Dem damaligen Berichterstatter nach, der kein anderer war als der bedeutende Musikkritiker Gabriel Sarkány (1878-1965), wurde es auch Zeit, um in dieser „chaotischen Zeit der Ideale und Ideologien“ die Geister zu erhellen und zu erheben. Durch den vollbesetzten Opernraum erklangen, nach Bayreuther Art, die Fanfarensignale, die die Feierlichkeiten noch mehr artikulierten. Fritz Pauck (1886-1965) dirigierte das Symphonieorchester der Gesellschaft der Musikfreunde, wobei das Vorspiel zu den Meistersingern und der Karfreitagszauber aus dem Parsifal vorgetragen wurden.
Auch die Solisten dieses feierlichen Konzertabends gehörten zu den Besten, die das Banat zu bieten hatte: der aus Lugosch stammende Opernsänger Georg Dippon, der viele Konzerte gemeinsam mit seinem Landsmann Traian Grosavescu gegeben hat, die Sopranistin Wilma Müller (1900-1989), die ihre Gesangsstudien in Leipzig vollendet hat und nicht zuletzt Josef Brandeisz, der Konzertmeister des Orchesters. Die Chöre aus dem Lohengrin wurden durch den Banater Deutschen Sängerbund vorgetragen. Prof. Hans Eck (1899-1965), der in den Reihen des Banater Deutschtums der Zwischenkriegszeit eine primäre Rolle gespielt hat, hielt eine Ansprache, wobei er nicht nur auf biographische Daten des Komponisten eingegangen ist, sondern auch auf seine kulturpolitische Bedeutung in jener Zeit: „Prof. Eck hob die Bedeutung Richard Wagners mit Hinweis auf das Erwachen des deutschen nationalen Gefühls hervor und schloss mit den ehernen Worten des Schusterpoeten Hans Sachs über die Ehrung deutscher Meister und der heiligen deutschen Kunst.“ Den Erneuerungsgedanken in Wagners Vision der „Zukunftsmusik“ von der Mitte des 19. Jahrhunderts hat er geschickt umgedeutet und als Aktualität im „jungen Deutschland“ präsentiert. Heute wissen wir, wohin diese falsch verstandene und manipulierte Kulturpolitik im damaligen wie heutigen multiethnischen Temeswar geführt hat.
Doch dieses Wagnerkonzert war nicht nur für das Temeswarer Deutschtum ein wichtiges Ereignis. Auch die ungarischen und rumänischen Tageszeitungen brachten ähnliche Berichte und stimmten vollchörig in die Gedankenwelt des entfachten deutschen Nationalsozialimus ein.
In der Temesvarer Zeitung vom 5. April 1933 veröffentlichte Gabriel Sarkány eine umfangreiche Würdigung Richard Wagners: Richard Wagner. Zur 50. Widerkehr seines Todestages. Nicht nur dessen biographische Daten werden genau widergeben, sondern auch die Problematik der Zukunftsmusik Wagners, die Kämpfe zwischen seinen Anhängern und den Gegnern und die in der Zwischenzeit bereits zur Allgemeinbildung gewordenen Mythen über sein turbulentes Leben und seine Reformen der Oper. Auf allen Opernbühnen der Welt werde der „Napoleon der deutschen Musik“ gefeiert und die Wagner-Abende, durch die seine Werke auch in kleineren Städten bekannt gemacht werden können, gewinnen an Zugkraft. Sarkánys Würdigung ist gut dokumentiert und enthält viele Einzelheiten, die der Autor durch seine persönlichen Erfahrungen in Bayreuth sammeln konnte.
Nach Temeswarer Vorbild feierte auch der Steierdorfer Männergesangverein im Herbst des gleichen Jahres das Wagner-Jubiläum mit einem großen Gedenkkonzert im Vereinslokal des Gasthauses Nuss. Dafür war die komplette Bergmannskapelle angetreten. Das Orchester – diesmal als Symphonieorchester besetzt – spielte das Vorspiel zum Fliegenden Holländer, eine Phantesie aus Opernmotiven Wagners und begleitet die Chöre und Solisten. Auch hier fand eine feierliche Ansprache statt, gehalten von Lehrer Ernest Kraushaar. Natürlich durften der Pilgerchor aus dem Tannhäuser und der Begrüßungschor aus dem Lohengrin nicht fehlen. Die solistischen Einlagen wurden von Ludwig Chladny (Tenor) und dem Dirigenten Sandner (Klavier) vorgetragen. Den Männerchor leitete Johann Babiak.
Ein Höhepunkt des Temeswarer Musiklebens der Zwischenkriegszeit bildeten die Aufführungen von Wagners Fliegendem Holländer und Die Walküre durch das Ensemble der Wiener Staatsoper im Jahre 1928. Die deutschen, rumänischen und ungarischen Zeitungsberichte wetteiferten in der Huldigung der Interpreten: Alfred Lieger, Laurenz Corvinus, Ada Hecht, Franz Zwonic, Hilde Solinger, Adolf Wand, Gustav Fussperg, Albin von Rittersheim, Heinrich Pacher, Magda Schnelle, u.a. Einen ähnlichen Erfolg auf der Temeswarer Opernbühne konnte nur noch das Opernensemble aus Klausenburg/Cluj mit mehreren Vorstellungen in den Jahren 1932-1938 buchen. Unter der Leitung des Dirigenten Jean Bobescu und des Chorleiters Hermann Klee hat man mehrmals den Tannhäuser mit einem riesigen Erfolg aufgeführt.
Obzwar all diese Konzerte damals einen ausgeprägten kulturpolitischen Charakter hatten, mussten sich die Chöre, Orchester und Solisten vor allem mit dem musikalischen Werk Richard Wagners auseinandersetzen, was die musikalische Qualität der Aufführungen steigerte.
Bild 24a: Gabriel Sarkány, hier als Mitglied des Temeswarer Philharmonischen Vereins, Musikfreunde im Rahmen des das Wagner-Gedenkkonzertes in Temeswar
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Bild 25: Gedenken an Wagners 50. Todestag in der Temesvarer Zeitung (1933)
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Bild 28: Fritz Pauck (lange Jahre Bürgermeister von Karansebesch) leitete 1933 das Symphonieorchester der Gesellschaft der Musikfreunde im Rahmen des das Wagner-Gedenkkonzertes in Temeswar
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Bild 26: Programm des Wagner-Konzertes in Temeswar mit dem Dirigenten Fritz Pauck und einem Chor des Banater Deutschen Sängerbundes (1933)
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Bild 26a: Programm des Wagner-Konzertes in Temeswar mit dem Dirigenten Fritz Pauck und einem Chor des Banater Deutschen Sängerbundes (1933)
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Bild 26b: Programm des Wagner-Konzertes in Temeswar mit dem Dirigenten Fritz Pauck und einem Chor des Banater Deutschen Sängerbundes (1933)
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Bild 27: Hans Eck (r.) beim Aufmarsch der Chöre anlässlich des Gründungsfestes des Banater Deutschen Sängerbundes in Marienfeld 1936.
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Bild 29: Der Steierdorfer Männergesangverein (1938)
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Bild 30: Programm des Wagner-Konzertes in Steierdorf (1933)
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Wagner für alle deutschen Volksgenossen
Mit dem Beginn des zweiten Weltkrieges 1939 bekam Wagner eine immer größere Bedeutung in der Propaganda der Kriegsführung. Adolf Hitler hat dessen Musik nicht nur für seine eigene Politik vereinnahmt, sondern diese Musikwerke mussten in vielen Konzerten im Rahmen des Kraft-durch-Freude-Werkes für die Volksgenossen erklingen. „Kunst kommt zum Volke“ war der Titel einer Konzertbesprechung aus dem Jahre 1941, worin die Leistungen des Temeswarer Deutschen Symphonierochesters gewürdigt wurden, das von Richard Oschanitzky geleitet wurde. Es war das gleiche Orchester, das noch vor 1939 als städtisches Symphonieorchester aufgetreten ist, davor als Gesellschaft der Musikfreunde oder als Temeswarer Philharmonischer Verein. Und im Orchester saßen weiterhin die gleichen deutschen, ungarischen, rumänischen, serbischen oder jüdischen Musiker nebeneinander. Nur die Propaganda um die gespielte Musik änderte sich schlagartig: im Vordergrund standen nun die Werke „deutscher“ Meister aus den Reihen des „großen deutschen Volkes“, gespielt für das „hiesige Deutschtum“ und die „deutschen Volksgenossen“. Auch Werke Richard Wagners wurden an diesem Abend vorgetragen: das Preislied Walters aus Die Meistersinger und Siegmunds Liebeslied aus der Walküre. Solist war Dr. Peter Schütz, dessen Kunst die größte Anerkennung der Konzertbesucher gefunden hat.
„In weit geöffnete Herzen strömt vollendete Musik deutscher Tondichtergiganten, um zum Anlass eines Tages höchster Bedeutung für das gesamte deutsche Volk auch dem Deutschtum von Temeschburg einen würdigen Festrahmen zu schaffen.“ Mit diesem Satz beginnt die Besprechung eines Konzertes anlässlich des Geburtstags des Führers in der Südostdeutschen Tageszeitung im April 1941. Adolf Hitlers Lieblingskomponist Richard Wagner durfte darin nicht fehlen und so interpretierte das Temeswarer Deutsche Symphonieorchester u.a. das Vorspiel zur Oper Die Meistersinger. Der Veranstalter dieses Konzertes war die Musikkammer der Deutschen Volksgruppe in Rumänien. Wie auch bei anderen ähnlichen Konzerten, trat ein „Kamerad“ auf die Bühne (diesmal war es Pg. [Parteigenosse] Hans Jung) und hielt eine Ansprache „… über die schicksalhafte Sendung Adolf Hitlers für das deutsche Volk“ gefolgt von einzelnen Musikwerken, um diese „…mit dem Tiefsten, Größten und Schönsten, was menschlichem Geist überhaupt entsprießen kann, mit der Musik zu umgürten.“
Um so mehr sich Deutschlands Schicksal durch den Russlandfeldzug besiegelt hat, desto wichtiger war die Kriegspropaganda zu Hause durch Festkonzerte, Ansprachen und Würdigungen deutscher Meisterwerke des großen deutschen Volkes, vor allem jene Richard Wagners. So wurde das Außerordentliche Festkonzert des „Deutschen Symphonieorchesters Temeschburg“ vom 23. Mai 1943 wieder mit dem Vorspiel zu Wagners Meistersinger eröffnet, geleitet von Richard Oschanitzky. Die Konzertkritik in der Südostdeutschen Tageszeitung vom 26. Mai 1943 stammte diesmal von keinem anderen als Prof. Zeno Vancea, einem der bedeutendsten Komponisten Rumäniens. Sein Text ist sachlich verfasst und kompetent geschrieben und er berichtet sogar von „…einem nicht ganz homogenen Orchester“, das vor einem Publikum aufgetreten ist, das „… nicht immer die zureichende musikalische Erfahrung besitzt um Werk und Aufführung nach Gebühr zu würdigen.“ Kein Wort von Deutschtümelei in dieser Kritik – was vermutlich der Grund war, dass kaum mehr einer seiner Artikel in dieser deutschen Zeitung erscheinen wird. In anderen Berichten wird auf die mangelnde Besetzung des Orchesters hingewiesen, da viele Musiker einrücken mussten.
Die Schwierigkeiten in der Aufführung von Wagners Werken unter solchen Umständen waren vorauszusehen. Neben den euphorischen Konzertbesprechungen und den Würdigungen der größten Meisterwerke des deutschen Volkes findet man in den Zeitungen ganze Spalten mit den Namen der Gefallenen. Immer öfter musste das Deutsche Symphonieorchester die Heldenehrungen musikalisch umrahmen, zwischen den Werken Mozarts und Wagners wurden Worte Adolf Hitlers und Teile aus Kriegsbriefen vorgelesen. Doch wenige Wochen vor dem 23. August 1944, als die Sowjetarmee in Rumänien einmarschiert ist, konnten größere Musikwerke nicht mehr aufgeführt werden. Wagner verschwand vollständig aus den Programmen und seine Werke wurden mit lustigen, leichten, volkstümlichen und unterhaltsamen Musikstücken ersetzt, um das Volk in dieser schweren Zeit aufzumuntern. Damit hatte die Musik Richard Wagners für längere Zeit ausgedient.
Wagner unter dem Bildnis Stalins
Nach dem Krieg mussten viele deutsche Musiker Rumäniens vor den neuen Machthabern Rechenschaft abgeben für die Mitwirkung an solchen Kulturveranstaltungen. Viele kamen in rumänische Gefängnisse, wurden in die Sowjetunion oder in den Baragan deportiert. Auch der Konzertmeister der Temeswarer Oper, Josef Brandeisz (1896-1978), gehörte dazu.
Bedingt durch die neue wirtschaftliche und politische Lage, konnte man nur mehr selten Wagneropern auf der Temeswarer Opernbühne erleben. Doch mehrmals erklangen dessen Werke im Konzertsaal der Temeswarer Philharmonie „Banatul“. Dieses symphonische Orchester wurde durch ein Dekret des damaligen Königs Michael vom 17. April 1947 neu gegründet. Das festliche Eröffnungskonzert, dirigiert von George Pavel, bestand aus einem Werk des rumänischen Komponisten Sabin Dragoi, den Acht Liedern des russischen Komponisten A. K. Liadov und aus dem Vorspiel zu Wagners Meistersinger. Der Rezensent dieses Konzertes bemerkt, dass dadurch eine Kontinuität im Temeswarer Musikleben geschaffen werden sollte: Wagners Meistersinger-Vorspiel erklang diesmal nicht mehr unter den Hakenkreuzfahnen zum Geburtstag des Führers, sondern unter dem Bildnis Stalins. Und im Orchester saßen die gleichen Instrumentalisten, die schon im Rahmen des Deutschen Symphonieorchesters des Kraft-durch-Freude-Werkes aufgetreten sind, ausgenommen einige deutsche Musiker die sich noch in Kriegsgefangenschaft oder in russischer Deportation befanden.
In den nächsten Jahren wurden die Aufführungen von Wagnerwerken im Banat immer seltener: an der Temeswarer Oper wurde 1961 Der Fliegende Holländer aufgeführt und 1969 Lohengrin.
Ebenfalls selten standen Werke Richard Wagners in den Programmheften der Arader Philharmonie nach 1947. Lediglich die Vorspiele zu den Opern Fliegender Holländer, Lohengrin und Meistersinger wurden präsentiert und noch seltener Arien aus Tristan und Isolde und dem Ring des Nibelungen. Heute sind die Gründe in den immer kleiner werdenden Symphonieorchestern Temeswars und Arads zu finden, die ohne Verstärkung Wagners Werke nicht mehr aufführen können. Ausgenommen davon ist nur die rumänische Premiere des ganzen Rings des Nibelungen im Rahmen des Internationalen Enescu-Festivals 2013 in konzertanter Form in Bukarest – weit weg von der Banater Musiklandschaft.
Bild 31: Gruppenbild der Wiener Operngesellschaft in Temeswar (1928)
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Bild 31a: Programmheft mit Wagner-Werken, Temeswar 1943
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Bild 32: Das Deutsche Symphonieorchester unter Richard Oschanitzky (um 1940)
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Bild 33: Programmheft der Bayreuther Bühnenfestspiele aus dem Jahre 1939 mit einer Eintrittskarte zu Wagners Parsifal aus dem Nachlass eines Banater Musikers
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Bild 34: Der Temeswarer Pädagoge und langjährige Konzertmeister Josef Brandeisz (1896-1978)
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Bild 35a: Lohengrin, aus dem Archiv des Temeswarer Philharmonischen Vereins
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Bild 35: Tannhäuser-Partitur aus dem Archiv des Temeswarer Philharmonischen Vereins
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Copyright © Dr. Franz Metz, München 2013
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