Maria von Radna, hellglänzende Sonn´
Das Marienlied der Donauschwaben
Von Dr. Franz Metz
Wallfahrt nach Maria Radna 1993
Im deutschen Einheitsgesangbuch Gotteslob, das unter dem Einfluss des Zweiten Vatikanischen Konzils entstanden ist, lesen wir: „Der Jahreskreis entfaltet das Geheimnis unserer Erlösung durch Christus. Dabei tritt auch Maria in den Blick der Kirche, denn sie aufs engste mit dem Heilswerk Christi verbunden. Sie hat ihn nicht nur geboren, sondern hat vor allem anderen den Ruf Gottes vernommen und befolgt... Sie ist in gläubigem Gehorsam seine und unsere Mutter geworden.“ Die Kirche schließt ihr tägliches Stundengebet mit einem Abendgruß an Maria. Bereits die ältesten Marienfeste sind als Herrenfeste entstanden, wie Maria Lichtmess (2. Februar) oder Maria Verkündigung (25. März). Marienfeste wie Maria Geburt (8. September) oder Maria Himmelfahrt (15. August) wurden schon früh, nicht nur als kirchliche sondern auch als wahre Volksfeste begangen. Ohne die entsprechenden Mariengesänge wären diese Festtage auch heute nicht vorstellbar. Im folgenden Text soll der unerschöpfliche und bisher unerforschte Reichtum der marianischen Gesänge der Donauschwaben näher beschrieben werden.
Neue Anfänge des katholischen Kirchenliedes in den donauschwäbischen Siedlungsgebieten des frühen 18. Jahrhunderts
Im Zeitalter des Barock gab es einen besonderen Anlass im Rahmen von Andachten und Prozessionen die Gottesmutter in Marienliedern zu preisen. Die Bedrohung des christlichen Abendlandes durch die Expansion des Osmanischen Reichs führte zu einem neuen Zusammenschluss - nicht nur der militärischen Kräfte Europas. Auch in geistiger Hinsicht suchte man einen sicheren Halt und eine Stütze durch Gebete und Gesänge. Die Seeschlacht gegen die Türken bei Lepanto (1571) reihte als Lepanto-Erinnerung die Bitte zur Gottesmutter als „auxilium christianorum“ in die Lauretanische Litanei ein. Ein eigenes Fest der Heiligen Jungfrau vom Siege war die weitere Zugabe. Seit etwa 1590 erinnert uns deshalb das tägliche Angelusläuten zu Mittag an dieses geschichtliche Ereignis.
Als am 12. September 1683 das christliche Heer von den Höhen des Wienerwaldes die türkische Übermacht angriff und in die Flucht schlug unter dem tausendstimmigen Ruf: „Maria, reine Jungfrau“, gab Abraham a Sancta Clara der Volksüberzeugung in den Worten Ausdruck, dass „nächst Gott Maria Wien von des Erbfeinds Tyranney erlöset“, da sie ja so oft schon den Türken „den Rest gegeben“. Das Fest Mariä Namen (12. September) erinnert uns an den Beistand Mariens bei der Befreiung Wiens.
Das kirchliche Leben der Banater Katholiken änderte sich grundsätzlich nach dem Sieg des österreichischen kaiserlichen Heeres unter Prinz Eugen von Savoyen gegen das türkische Heer unter Aga Achmed, welcher im Auftrag des Pascha Mustapha die Festung Temeswar am 13. Oktober 1716 dem Sieger übergab. Das von einem Priester in Verona in zweijähriger Arbeit anlässlich der kaiserlichen Türkensiege bei Temeswar und Belgrad hergestellte Pergamentbild zeigt die Rolle Mariens als „Generalissima“ der Habsburger und Patronin in den Türkenkriegen. In der lateinischen Inschrift am unteren Rand des Gemäldes wird sie als die Urheberin der Siege von Temeswar und Belgrad bezeichnet. Darin kommt auch zweimal der Alleluja-Ruf vor. Auch diese Siege Prinz Eugens von Savoyen und des Markgrafen Ludwig von Baden (Türkenlouis) haben ihren kultischen Niederschlag in marianischen Gebeten und Liedern gefunden.
Das Marienlied
Die ältesten Gebete und Gesänge zu Ehren der Mutter Gottes finden wir vor allem in den Katholischen Hauspostillen und in den ersten Gebet- und Gesangbücher die die Kolonisten in das Banat brachten. Die Franziskaner unterstützten eifrig die Volksfrömmigkeit in ihrer verschiedensten Formen, u.a. auch in der Pflege des Gesangs. Das Gebet- und Gesangbuch (kleiner, mittlerer und großer) Goldener Himmelsschlüssel des Kapuzinermönchs P. Martin von Cochems (1634-1712) kann man als das meistverbreitete Buch dieser Art im Banat bezeichnen. Es wurde in Ungarn noch Ende des 19. Jahrhunderts in aktualisierter Fassung vertrieben. Darin finden wir u.a. die Marienlieder Gnadenquelle sei gegrüßt, Geleite durch die Wellen, Maria sei gegrüßet.
Viele Kantoren sammelten im Laufe ihrer Tätigkeit die bekanntesten Marienlieder und schrieben sie in ihrem Orgelbuch auf. Ein einheitliches Gesangbuch gab es noch nicht. Auch Adam Niedermayer (1833-1906) war ein solcher Schulmeister. Als 1868 die Schule von der Kirche getrennt wurde, hat man weiterhin Kantorlehrer Adam Niedermayer für das Lehreramt verpflichtet. Er war Absolvent der Arader Lehrerbildungsanstalt und war bereits 1883 als Kantorlehrer in Elek tätig. 1883 erschien in Arad sein Gesangbuch, das in der ganzen Tschanader Diözese sehr beliebt und verbreitet war: Maria, Hilfe der Christen. Gebet- und Gesangbuch für fromme Verehrer der allerseligsten und unbefleckten Jungfrau Maria. Gesammelt und herausgegeben von Adam Niedermayer, Organist an der röm. kath. Kirche in Elek. Arad 1883. Er ist auch der Verfasser eines Büchleins über den Wallfahrtsort Maria Radna (Arad 1891, 1902). In diesem Gesangbuch kommen u.a. folgende Marienlieder vor: Wir ziehn zur Mutter der Gnade; Zuflucht zu Maria; Wunderschön prächtige; Gottesgebärerin; Hohe und Herrliche; Blick vom Himmelsthron; Sei gegrüßt, Gebendeite; Mutter Christi hocherhoben; O Maria, sei gegrüßt; O Maria voll der Gnaden; Maria, Maria; Jungfrau wir dich grüßen; Glorwürdge Königin; O hochgebenedeite; Geleite durch die Wellen.
Viele Jahre hindurch war in Perjamosch Kantorlehrer Johann Nepomuk Grünn (1822-1893) tätig. Er war Absolvent der Szegediner Lehrerbildungsanstalt. Grünn schrieb mehrere Präludien für Orgel, die er in Temeswar veröffentlichen ließ: Melodien für die Orgel. Temesvar 1887. Im Jahre 1868 veröffentlichte er das Gesangbuch Kirchengesänge für katholische Christen nebst einem Anhange von Morgen-, Mess-, Beicht-, Communion-, Abendgebeten und mehreren Litaneien. Temesvar 1868. In der Vorrede weist er auf die Notwendigkeit einer solchen Veröffentlichung hin. Darin kommen über 30 Marienlieder vor wie z.B.: Jungfrau, Mutter himmlisch Schöne; Maria sieh, wir weihen Dir; Es blüht der Blume eine; O Mutter der Barmherzigkeit; Maria voll Gnaden; Lenker unserer Seelen; Sammelt euch alle; O Palme sonnenklare; Nein ich kann, ich will nicht weichen; Maria, Maria; Herz Maria voll der Liebe; Gnadenquelle sei gegrüßt; Mit jungen Rosen ausgemschmücket; Erhabne Himmelskönigin; Maria, wir fallen dir zu Füßen; O Himmelskönigin; O senkt euch hernieder, ihr himmlischen Weisen; Geleite durch die Wellen; Maria Maienkönigin; Höre Süße, unsre Grüße; O Maria, du mein Leben; Sei gegrüßt, o Jungfrau rein; Jungfrau, wir dich grüßen; O Du heiligste; Wunderschön prächtige; O Maria, Mutter Jesu.
Um die Bedeutung der Marienlieder für die im Banat in Druck erschienenen Gesangbücher zu belegen, hier weitere Beispiele. Georg Scherka gab 1866 in Hatzfeld das Gesangbuch mit dem Titel Kirchengesänge für katholische Christen heraus, es enthält über 40 Marienlieder. In Arad erschien im Jahre 1900 das von Franz Hartmann und Nikolaus Schmidt zusammengestellte Gesangbuch mit dem Titel Christkatholisches Gesang- und Gebetbuch, es enthält über 50 Marienlieder. Zu den am meisten verbreiteten Gesangbüchern des gesamten Banats zählt jenes von Johann Weber, Kantorlehrer in Schöndorf, herausgegeben 1910 in Arad unter dem Titel Christkatholisches Erbauungsbuch in Gebete und Gesängen. Dieses Gesangbuch enthält über 90 Marienlieder, darunter befinden sich folgende: Die Glocken verkünden, Blick vom Himmelsthron, Dein gedenk ich, Dich Maria loben wir, Dich Maria will ich lieben, Die Schönste von Allen, Es blüht der Blume eine, Gegrüßet seist du Königin, Geleite durch die Wellen, Glorwürdge Königin, Gnadenquelle sei gegrüßt, Hohe und Herrliche, Jungfrau wir dich grüßen, Lenke unsrer Seelen (von Limmer), Maria Jungfrau rein, Mit frohem Herzen will ich singen, O himmlische Rose, O Maria du mein Leben, O Palme sonnenklare, O Zuflucht aller Sünder, Wunderschön, prächtige. Dieses Gesangbuch galt auch als Vorlage für das von Bischof Dr. Augustin Pacha verordnete erste einheitliche Kirchenliederbuch der Temeswarer Diözese.
Im Jahre 1905 veröffentlichte Josef Schober (1841-1917) im Verlag von Johann Dvorzsák, Budapest, eine Sammlung von Marienliedern mit dem Titel: Zwölf Lieder zu Ehren der seligsten Jungfrau Maria für eine Singstimme mit Orgelbegleitung. Der Verfasser von Text und Melodie war „Josef Schober, Lehrer und Sänger an der Pfarrschule in Gödre, der Diözese Fünfkirchen in Ungarn.“ Sein beliebtestes Lied wurde Mit frohem Herzen will ich singen, das die Herzen der Gläubigen erobert hat. Dieses Lied wird heute noch, Ende des 20. Jahrhunderts, im Banat gerne gesungen.
Charakteristiken des donauschwäbischen Marienliedes
Der größte Teil des Kirchenliederschatzes der Donauschwaben und Banater Katholiken besteht aus Marienliedern. Obzwar bis heute das Kirchenlied der Donauschwaben noch nicht komplett in seiner Gesamtheit systematisch erforscht wurde, kann man behaupten, dass darin eine Vielzahl von geistigen, sozialen, historischen und auch persönlichen Begebenheiten ihren Niederschlag gefunden haben. Wenn der Gesang im Gottesdienst, also in der Messe, eine von der Kirche streng geordnete Angelegenheit war, so waren die Marienlieder von Sentimentalität geprägt. Darin widerspiegelt sich wie in keinem anderen Kulturgut der Banater Deutschen ihr ganze Seele.
Die verschiedenen Varianten ein und desselben Marienliedes entstanden meist durch die mündliche Verbreitung dieser Gesänge. Viele der Banater Schulmeister und Kantoren schrieben die Noten dieser Lieder aus dem Gedächtnis mehr schlecht als recht auf und sangen sie mit dem Kirchenchor. Da das erste einheitliche Gesangbuch der Temeswarer Diözese erst in der Zwischenkriegszeit entstanden ist, sang man die Kirchenlieder aus handgeschriebenen Kantorenbüchern. Die Sängerinnen hatten jeweils ein eigenes Textheft und kannten die Melodie auswendig. Bereits im Kindesalter wusste man ob man die erste oder zweite Stimme singen soll. Unter dem Volk galt das ungeschriebene Gesetz: ein Lied ist erst dann schön, wenn man es zweistimmig singen kann. Und diese zweite Stimme - in der Musik auch als schwäbische Terz, böhmische Terz oder Küchenterz bezeichnet - brachte erst die Melodie richtig zum Tragen. Dazu gehört natürlich ein entsprechendes langsames Tempo und das nötige Gefühl für diese Musik. Diese Art des Singens hat viele Gründe. Gleichzeitig stellt diese Eigenart des Gesangs ein für die Hymnologie äußerst interessantes Forschungsfeld dar.
Die Maiandacht ist eigentlich barocken Ursprungs. Die ersten Spuren der Maiandacht lassen sich aus Berichten um die Wende des 18. Jahrhunderts zunächst in Italien nachweisen. Erst nachdem sich diese Art der Andacht auch in Frankreich und Spanien verbreitet hat, wurden auch in deutschen Kirchen Maiandachten eingeführt. In Deutschland hat man bereits aus der Zeit des Mittelalters den so genannten Frauendreißiger gepflegt, dies ist die Zeit von Maria Himmelfahrt bis Maria Geburt, in der täglich Marienandachten abgehalten wurden. Erst zum Beginn des 19. Jahrhunderts wurden Maiandachten z.B. in München heimisch. Das Volk schloss diese Art der Verehrung Mariens schnell in sein Herz. Die hier in der bayerischen Hauptstadt von Guido Görres gedichteten und Kaspar Aiblinger komponierten Marienlieder Es blüht der Blume eine und Maria Maienkönigin verbreiteten sich bis in den Südosten Europas, wo sie heute noch gesungen werden. Erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist die Maiandacht im Zuge der katholischen Bewegung so recht zur deutschen Volksandacht geworden. „Deutsche Volksandacht“ deshalb, da bis dahin bei diesen Andachten gewöhnlich lateinische Lieder gesungen wurden.
Die Maiandacht fand regelmäßig - in vielen Kirchen auch täglich - statt. Ihre Stimmung ist heute noch von der österlichen Zeit geprägt: "Freu dich du Himmelskönigin, freu dich Maria..." singen wir in der Antiphon dieser Zeit, "...freu dich, das Leid ist all dahin. Halleluja.", und mit einer Bitte endet jede Strophe dieses Liedes "Bitt Gott für uns, Maria!". Wie die meisten Banater Kirchenlieder finden wir auch dieses in den verschiedensten Varianten. Die Melodie stammt aus Konstanz um 1600 und der Text wurde aus dem lateinischen Regina coeli aus dem 12. Jahrhundert übernommen.
Das katholische Kirchenlied und speziell das Marienlied haben alle Gruppierungen der Donauschwaben gemeinsam. Der Grund ist nicht nur in der Konfession zu finden, sondern auch in der Geschichte. Als ein wichtiger Teil der Bevölkerung Ungarns waren die Nachfahren der deutschen Kolonisten stets bestrebt, sich dem Gesamtbild der Nation unterzuordnen und einzugliedern. Und wir wissen, dass die Mutter Gottes als Maria Patrona Hungarica, als Beschützerin des ungarischen Volkes, in der Geschichte dieses Landes eine wichtige Rolle spielt. Die Ungarn nennen sie: Nagyasszony (die große Frau), Boldogasszony anyánk und ihr Name wird selbst in patriotischen Gesängen als Beschützerin der Ungarn genannt. Durch das Nebeneinander der Deutschen und Ungarn im städtischen Bereich - oft im gleichen Kirchenraum und im selben Gottesdienst - wurden einige Charakteristiken übernommen. In erster Linie ist dies in der Marienverehrung zu erkennen. Die Melodieführung und die Aufführungspraxis der jeweiligen Marienlieder blieben aber unangetastet. Somit blieb im Banat wie im restlichen damaligen Ungarn - selbst nach der Magyarisierungspolitik zwischen 1880-1914 - das deutsche Kirchenlied und der Mariengesang so erhalten, wie davor: das einstimmige meist modale ungarische Lied wurde parallel zum zweistimmigen tonalen deutschen Lied gepflegt. Trotz einiger Versuche um 1900 ungarische Kirchenlieder ins deutsche zu übertragen, wurden diese Gesänge bei den deutschen Katholiken nicht angenommen.
In all den Marienliedern der Donauschwaben fällt einem gleich auf den ersten Blick ein gemeinsames Merkmal auf: es ist nicht nur die sentimentale Einstellung und liebevolle Hinwendung zu der Person der Mutter Christi, sondern auch der kindliche Umgang mit diesem Bezug zur eigenen leiblichen Mutter. Ein Kind Mariens will ich werden, heißt es in einem Lied, O Mutter, o verlass mich nicht, Ein Mutterherz hab ich gefunden, usw. Es sind jene Anrufungen, die wir bereits in der Lauretanischen Litanei erfahren: Mutter, du viel Geliebte; Mutter, so wunderbar; Mutter des guten Rates; Mutter des Erlösers.
Die Wallfahrt
Die Marienverehrung spielte bei den Franziskanern immer eine große Rolle, und so wurde Maria-Radna ein wichtiger Wallfahrtsort. Pater Marian Jaic beschreibt den Ort 1857 wie folgt: "(...) Radna in Ungarn in der Arader Gespannschaft, im Csanáder Bisthum am Fluße Marosch, auf einem waldigen Berge, unter Obhuth der WW. EE. PP. Franziskaner von der regularischen Observanz, vorhin Bosnischer, jetzt Kapistraner Provinz(...)". Eines der vielen Wunder um Maria-Radna hat auch etwas mit der Kirchenmusik zu tun: „Solch außerordentlichen Lichtglanz beobachtete man oft an Festtägen des Herrn, der seligsten Jungfrau und Apostel, auch ungemein liebliche Stimme und wahrhaft himmlische Musik hörte man oft zu verschiedenen Zeiten nicht nur in der Nacht, sondern auch Früh und Abends, so daß Vorüberziehende meinten, es wäre der Chorgesang der Geistlichen, da sie aber hinzutraten, fanden sie die Thüren verschlossen.“ Dieses Büchlein von P. Marian Jaic enthält auch alte Marienlieder, welche schon Ende des 17. Jahrhunderts in Radna gesungen wurden.
Die Wallfahrten - mancherorts auch Urlaubsfahrten genannt - waren meist die einzige Möglichkeit für das schwer arbeitende Bauernvolk des Banats ihr Dorf für einige Tage zu verlassen. Jeder Ort hatte seinen eigenen Wallfahrtstag, der vorwiegend in die Sommermonate gelegt wurde. Die Kirchenglocken begleiteten die Wallfahrer sowohl nach dem durch den Priester erteilten Segen aus dem Dorf und erklangen beim Empfang der Wallfahrer bei ihrer Heimkehr. Die Gebete und Gesänge einer solchen Wallfahrt nach Maria Radna wurden zum Beginn des 20. Jahrhunderts auf einer Schallplatte eingespielt. Man hört darauf nicht nur den ungarischen Akzent des Priesters sondern auch einige Gesänge die in einem äußerst getragenen Tempo gesungen wurden. Die Aussagekraft der damaligen Gesänge war viel stärker, das Singen beherzter und vom Gemüt getragen. Glaube, Demut, Frömmigkeit waren jene Tugenden die damals auch im Gesang ihren Ausdruck fanden.
Ein altes handgeschriebenes Marienliederheft aus Neuarad aus dem Jahre 1846 enthält jene Lieder und Litaneien, die man bei der Wallfahrt nach Radna gesungen hat, u.a.: Dich Maria loben wir (in der 10. Strophe heißt es: „...und empfehlen dir zugleich, / Unsern Kaiser und sein Reich“), Ein Kind Mariens sein und werden, Dich Maria zu verehren, Sei uns o Königin gegrüßet. Die Lauretanische Litanei wurde meist zweistimmig gesungen. Die Reihenfolge der Lieder und Gesänge während des Pilgerweges nach Radna wurde von Generation zu Generation weitergegeben, man wusste schon als Jugendlicher an welchem Flurkreuz und in welchem Ort wann welches Marienlied gesungen wird.
Die Wallfahrer aus Traunau pilgerten jedes Jahr mit Gebet und Gesang nach Maria-Radna und sangen dabei folgendes Marienlied:
Wir ziehen zur Mutter der Gnaden, zu ihrem hochheiligen Bild.
O lenke der Wanderer Pfade, und segne Maria sie mild:
Damit wir das Herz dir erfreuen, im Geist uns selber erneuern.
Wir ziehen zur Mutter der Gnaden zu ihrem hochheiligen Bild!
Der Maria-Radnaer Wallfahrer-Verein. Lugosch vervielfältigte 1943 eine Sammlung deutscher Gesänge für die vorgesehene Wallfahrt nach Maria-Radna. Darin kommen folgende Gesänge vor: Marienmesse, von Max Welcker, O Maria, gnadenvolle (Bundeslied, Wiener Melodie), Schön glänzt in der Nacht, Mit frohem Herzen will ich singen, Wo hier in diesem Erdentale, Wir ziehen zur Mutter der Gnaden, Ein Kind Mariens sein und werden. Im Jahre 1915 erschien in Lugosch ein Gesangsbüchlein mit deutschen Marienliedern für die Wallfahrt nach Maria-Radna: Maria-Radnaer Wallfahrts-Lieder mit Anhang gesammelter kirchlicher Gesänge und Gebete. Zusammengestellt von: Heinrich Anwender. Lugos 1915. Gedruckt und zu haben in der Gutenberg-Druckerei. Bei Husvéth & Hoffer erschien später ein Wallfahrtslied für Maria-Radna: Heilige Maria von Radna.
In dem Bruderschafts- und Wallfahrtsbüchlein von Maria-Kéménd (Ungarn) sind zahlreiche Marienlieder enthalten, so u.a.: Dich, o Meerstern, grüßt von fern, Sey gegrüßt o Königin, Maria ging geschwind, Christi Mutter stand in Schmerzen. Eines der festlichsten und schönsten Marienlieder, das Hohe und herrliche, eine Umdichtung des Sonnenschein prächtige des Vorarlberger Kapuziners P. Laurentius von Schnüffis (1636-1702), bekannt unter dem Namen Johannes Martin, war das meist gesungene Marienlied der Donauschwaben, aber auch der Völker der Doppelmonarchie in ungarischer und slawischer Übersetzung.
Das donauschwäbische Marienlied zur Zeit der Verschleppung 1945
In der trostlosen Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sammelte der donauschwäbische Lehrer Konrad Scheierling in den deutschen Flüchtlingslagern unzählige Kirchengesänge, die ihm seine Landsleute und Schicksalsgenossen, meist aus der Batschka stammend, vorgesungen haben. Diese Aufzeichnungen enthalten über 300 Marienlieder, darunter auch mehrere Varianten desselben Liedes. Der Reichtum an dichterischer und musikalischer Vielfalt findet darin keine Grenzen. Man muss bedenken, dass die meisten Sängerinnen und Sänger diese Lieder dem Sammler auswendig gesungen haben, wobei viele dieser Lieder aus mehreren Strophen bestehen. Wie beliebt auch die alten Marienlieder waren, erzählt Konrad Scheierling in einer spannenden Geschichte, die ihm eine Donauschwäbin in einem solchen Flüchtlingslager mitgeteilt hat:
(...) Beim Lied Sei gegrüßt vieltausendmal, o Maria, Jungfrau rein! wurde Frau Kaiser sehr ernst und ich bemerkte, daß ihr dieses Lied in ihrer dunkelsten Stunde des Lebens viel Trost und Kraft spendete. Als sie nämlich Jahre zuvor von Partisanen Titos mit anderen zusammen auf einen Bauernkarren geworfen und durchs Dorf gefahren wurde, begann sie vor der Heimatkirche spontan den Kehrvers „Mit Vertrau´n ruf ich zu dir, Mutter Gottes, helfe mir!“ zu singen. Sie dachte, wenn nun schon alles aus sein soll, so singe ich doch noch ein letztes Mal den Gruß an die Gottesmutter! Und, man staune, der betrunkene Wagenführer ließ plötzlich ab von seinen Peitschenhieben auf Mensch und Pferd.
Der Kreis hat sich damit geschlossen. Bischof Sebastian Kräuter, Temeswar, schrieb 1995 im Vorwort eines Buches: "Die Donauschwaben hatten und haben ein reiches kirchliches Musikleben. Es ist deutsches Erbe aus bestem Schrot und Korn, ein Stück Tradition, aus der Urheimat mitgebracht, treu bewahrt und vermehrt, das nun mehr und mehr in sein ursprüngliches Bett zurückfließt."
Für viele Russlandverschleppte und Deportierte aus dem rumänischen Banat in den Baragan nach dem zweiten Weltkrieg brachten die Marienlieder wenigstens für einige Augenblicke Trost und seelischen Frieden. Einige Texte wurden den gegebenen Verhältnissen angepasst, so auch jener des Liedes Geleite durch die Wellen, in dessen zweiten Strophe heißt es:
O gnadenvolle Mutter,
Führ uns an deiner Hand!
Im Flüchtlingsstrom wir wandern
Ins unbekannte Land.
Und die voll Hunger darben
Und in den Lagern starben,
Maria, Maria, o Maria hilf!
In einem anderen Lied sang man:
Maria, schreite du voraus,
Führ uns zurück ins Vaterhaus,
O Maria.
Auch der Wunsch nach einer baldigen Heimkehr kam in vielen Liedern zum Ausdruck. So sang man in einem anderen Russlandlied:
Unsre himmlische Mutter, sie wird sich wohl erbarmen,
Uns verlassne Menschen alle bald umarmen.
Sie wird uns wieder führen in unsre Heimat zurück,
Das wär´ das allerschönste, allergrößte Glück.
Das Lied Mensch hast du ein Leid zu tragen, das man im Banat meist in Seelenämtern oder bei Beerdigungen sang, wurde oft von den Russlandverschleppten gesungen. In der zweiten Strophe heißt es:
Blick hinauf, blick hinauf zur Mutter Gottes,
Sieh ihr Leid, sieh ihr Leid und ihre Qual!
Bete, bete still ergeben: O Maria, mild und rein,
Mutter aller Leid und Pein, lass mich nicht verloren sein!
In einem Lied der Heimatlosen aus Ungarn wurde gesungen:
Das wunderschöne Ungarland,
War unser teures Vaterland,
Wo Sankt Stefan, der Königsmann,
Empfahl Mariä Volk und Land.
Aber nicht nur die Verschleppten sangen diese Lieder, auch die Daheimgebliebenen haben in entsprechenden Gesängen ihrer gedacht. In der Darowaer Kirche sang man 1947 das Lied Notschrei zur Mutter, in Musik gesetzt von Martin Metz:
Du Mutter der Heimatlosen, erbarme dich ihrer Not.
Beschütz sie in Sturmestosen, gib ihnen Obdach und Brot.
O Mutter du wollest entzünden, der Sterne leuchtende Pracht,
Auf dass sie die Heimat finden, aus Elend, Kälte und Nacht.
Und sind sie irregegangen so denke wie arm sie sind,
Und sieh, wie sie heimwärts verlangen, wie ein verlorenes Kind.
Der Banater Pädagoge, Kirchenmusiker und Komponist Peter Kleckner (1916-1998) vertonte um 1947, in der Zeit der Verschleppung, das Gedicht Rugaciune (Gebet) des größten rumänischen Poeten Mihail Eminescu. Die wechselnden auf- und absteigenden Harmonien dieses Chorwerkes folgen den litaneiartigen Bitten dieses Gebetes von Takt zu Takt und finden erst mit dem letzten Wort - Maria - eine tröstende Auflösung.
Das Marienlied heute
Die Pflege des Marienliedes hat im Laufe des 20. Jahrhunderts mehrere Veränderungen erlitten. Es waren nicht nur tiefgreifende kirchliche und theologische Veränderungen, erfolgt durch die zukunftsweisenden Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils, sondern auch jene durch die Folgen der beiden Weltkriege. Ohne im Einzelnen darauf näher einzugehen kann man heute behaupten, dass das Marienlied weiterhin mit größter Begeisterung gesungen wird: ob bei Wallfahrten, in Andachten oder einfachen Marienliedersingen. Selbst zum Beginn des 21. Jahrhunderts hören wir bei Wallfahrten in Maria Radna ungarische, rumänische, kroatische, tschechische, bulgarische, slowakische und auch deutsche Marienlieder – wenn auch oft keine deutschen Wallfahrer mehr dabei sind. Ob im österreichischen Maria Zell, im bosnischen Medjugore, im bayerischen Altötting, im Banater Berglandort Maria Ciclova oder an vielen anderen Orten der Welt – wenn wir wollen, können wir das erfahren, was im Lied Maria breit dein Mantel ausgesagt wird:
Dein Mantel ist sehr weit und breit,
er deckt die ganze Christenheit,
er deckt die weite, weite Welt,
ist aller Zuflucht und Gezelt.
BILDDOKUMENTATION
Orgelspieltisch mit Noten in Alexanderhausen nach der Auswanderungswelle von 1990
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Wallfahrt nach Maria Radna 1889
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Zwei schöne Marienlieder, Banat, 19. Jh.
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Marienlied, Banat, 19. Jh.
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Gesangbuch von Adam Niedermayer: Maria, die Hilfe der Christen (Elek, Maria Radna)
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Kirchengesangbuch der Brüder Turnowsky, Filipova 1889
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Marienlieder zur Prozession nach Maria Radna, zusammengestellt von Kantor Anton Leopold Herrmann, Neuarad 1846
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Andachtsbüchlein zum Gebrauche der frommen Wallfahrer auf dem Kalvarienberge in Maria Radna (um 1910)
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Wallfahrt der deutschen Jugend des Banates nach Maria Radna (Temeswar, um 1930)
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„Zum letzten Andenken deines Mannes vor der Abreise nach Russland. Denke stets an mich“ (Banat, Januar 1945)
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Orgelempore der katholischen Kirche von Neupetsch
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Quellenverzeichnis
Franz Metz: Die Kirchenmusik der Donauschwaben, Sankt Augustin 1996
Franz Metz: Te Deum laudamus, Bukarest, München 1995
Ludwig Andreas Veit, Ludwig Lenhart: Kirche und Volksfrömmigkeit im Zeitalter des Barock, Freiburg 1956
Desiderius Járosy: Singet dem Herrn, Temeswar 1919
Konrad Scheierling: Geistliche Lieder der Deutschen aus Südosteuropa, 6 Bände, Kludenbach 1987
Gottfried Habenicht: Leid im Lied. Südost- und ostdeutsche Lagerlieder und Lieder von Flucht, Vertreibung und Verschleppung, Freiburg 1996
Banater Chorbuch, hrsg. von Dr. Franz Metz, München 1999
Franz Metz: Das Kirchenlied der Donauschwaben. Eine Dokumentation des Kirchenliedes der deutschen Katholiken Südosteuropas, München 2008
Katholisches Gesangbuch der Donauschwaben, München 2011, hrsg. von Dr. Franz Metz
COPYRIGHT © Dr. Franz Metz, München 2015
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