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EDITION MUSIK SÜDOST

Carmen Sylva und die Musik

Die Beziehungen der deutschen Prinzessin und rumänischen Königin

zur rumänischen Musikkultur

von Dr. Franz Metz

CARMEN SYLVA – ein Name, der nicht nur das Lied der Wälder und Berge widerspiegelt, sondern der gleichzeitig Musik in sich enthält. Ihre Gedichte, ob Meergesang, Die Musik der Farben, Die Musik der See oder die bekannten Handwerkerlieder, ja ihre gesamte Poesie war nicht nur ein Aneinanderreihen von rhythmischen Silben, sondern vielmehr die Übersetzung des musikalischen Empfindens in verständliche Wörter. Nicht von ungefähr kam deshalb ihre besondere Wertschätzung gegenüber eines Heinrich Heine oder Nikolaus Lenau: auch deren Gedichte waren stets gedichtete Musik und musikalische Poesie.

Prinzessin Elisabeth von Wied wollte eigentlich Künstlerin werden, bekam Klavier- und Orgelunterricht und hatte Gelegenheit Clara Schumann näher kennen zu lernen. So kam es in den Jugendjahren anlässlich eines Aufenthaltes in Sankt Petersburg zu einer Begegnung mit der bedeutenden Pianistin. „Wenn sie spielte, war ich bei ihr…“ und die zusammen verbrachten Stunden „wurden von tiefer Bedeutung in meinem Leben“, schrieb Elisabeth Jahre später in ihren Memoiren. Hier in Sankt Petersburg bekam sie Klavierunterricht von keinem minderen als dem damals viel bejubelten Klaviervirtuosen Arthur Rubinstein. Und im Jahre 1869 wollte sie wieder einem Konzert von Clara Schumann in Köln beiwohnen, doch das Schicksal wollte es anders: bei dieser Reise lernte sie den jungen rumänischen Fürsten Karl von Hohenzollern kennen, dessen Zuneigung sie bald verspürte. Und noch am selben Nachmittag bat dieser um die Hand der jungen hübschen Prinzessin. In unserem heutigen Konzert musste deshalb Clara Schumann wenigstens mit einem Lied vertreten sein.

Bald wurde die Verlobung gefeiert und ihre einstigen Gespielinnen aus Neuwied sangen ihr den Chor Du bist wie eine Blume – nach Heinrich Heine. Wir wissen heute nicht, von welchem Komponisten diese Vertonung war, aber aus der selben Zeit stammt ein gleicher Chor von dem damals in Temeswar tätigen Musiker Franz Seraphin Vilhar, der den gleichen Text vertont und dem Temeswarer Philharmonischen Verein gewidmet hat. Sie hören heute Abend diesen Chor in einer Bearbeitung für ein Solistenquartett.

Wenn wir an Carmen Sylva als Königin Elisabeth von Rumänien denken, so schwebt unser Gedanke in erster Linie an die kulturellen Umstände jener Zeit. Sie kam 1869 in ein Land, das kulturpolitisch noch zum Orient gehörte – so jedenfalls wurden die rumänischen Fürstentümer in der deutschen Presse dargestellt. Erst 1877 gelang es dem rumänischen Heer durch die Schlacht bei Plevna die osmanische Besetzung endgültig außer Landes zu vertreiben. Erinnern wir uns z.B. an die Episoden eines Johann Strauss in Bukarest, über dessen walachische Eskapaden 1848 in Wiener Zeitungen spannende und pikante Berichte erschienen. Und trotzdem: er fühlte sich wohl in Bukarest – in dem Klein-Paris des Ostens. Und Titu Maiorescu schrieb in der Gazeta de Transilvania, dass man die deutschen Walzer mit Sehnsucht erwartet hat: „… ca sa goneasca muzica turceasca din tara“ – also um die türkische Musik aus dem Land zu drängen.

Die Musikkultur der Walachei und der Moldau war bereits damals bestrebt, dem mitteleuropäischen Standard nachzueifern. Und es kam noch ein neues Element dazu: die Entdeckung der rumänischen Folklore durch reisende Virtuosen und Kapellmeister. Eduard Wachmann, ein Gründer der Bukarester Philharmonie, veröffentlichte in Wien eine Sammlung rumänischer Volkslieder, Hofkapellmeister Louis Wiest komponierte rumänische Rhapsodien, Alexander Flechtenmacher in Jassy komponierte die Hora Unirii, Franz Liszt sammelte durch seine Begegnung mit Barbu Lautaru rumänische Volksmusik und nicht zu letzt, Johann Strauss komponierte seinen Rumänischen Nationalmarsch, der 1848 unter dem Titel Revolutionsmarsch in Wien veröffentlicht wurde.

Nicht nur für die spätere Poetin Carmen Sylva, sondern auch für die meisten Reisenden und Künstler, die in diesen „Winkel Europas“ – ein deutscher Ausdruck – um 1870 nach Bukarest kamen, war diese Gegend mit einem besonderen Charme umgeben. Nicolae Iorga berichtet, dass  kein Reisender, der Bukarest je besucht hat, von dessen Bann nicht unberührt blieb – obzwar man den Staub der Stadt, den man im Winter zertreten, im Sommer eingeatmet hat. In dieser Stadt sei außer der schönen Mogosoaia-Brücke alles andere „ein wahres ländliches Durcheinander“. Und Moltke, der als preußischer Offizier vom Fürsten Alexander Ghica empfangen wurde, hielt seine Eindrücke bezüglich der rumänischen Hauptstadt jener Zeit fest, indem er schreibt: „Die bitterste Armut erblickt man neben dem triumphalen Reichtum, als würde sich Asien und Europa in dieser Stadt berühren“. Obzwar sich bis zur Ankunft Elisabeths in Rumänien viel verändert hat, sind die Ursachen ihrer zahlreichen caritativen und sozialen Leistungen in diesen Zuständen zu finden.

Es waltete aber trotzallem eine sonderbare Gesinnung in dieser aus mehreren Dörfern zusammengewürfelten Stadt: es gab jeweils eine französische, eine schweizerische, eine deutsche und auch eine österreichische Kolonie. Es gab einen deutschen und einen österreichischen Gesangverein, die erst unter dem Regenschori und Domkapellmeister Josef Paschill zu einem Bukarester Deutschen Gesangverein vereinigt wurde. Und dieser war der Komponist der „rumänischen Nationaloper in 2 Akten MARIOARA, nach dem Libretto von Carmen Sylva. In einer Annonce aus dem Jahr 1904 heißt es: “In urma audientei, ce tanarul compozitor a avut la M. S. Regina, ascultandu-i opera, i-a adresat Inalta Sa dorinta de a asista la representarea acestei opere. Rugam cu insistenta publicul amator de musica sa vie a asculta aceasta opera in care leitmotivul si motivul national se combina cu stilul si orchestratia moderna. Reputatia elementelor tinere si bine cunoscute ce dau concurs la aceasta representatie, este de ajuns de a asigura succesul acestei opere, mai cu seama ca cusca sufleurului va lipsi...” Josef Paschill wird später auch noch für seine zahlreichen Benefizkonzerte zu Gunsten der königlichen Einrichtung Vatra Luminoasa von der Monarchin mit Ehrungen überhäuft. Da die Noten dieser Oper verlorengingen, hören wir von diesem Komponisten ein Ave Maria, gewidmet viele Jahre später – 1941 – dem rumänischen Heer: „… Acuma cand pamantul furtuna-i de manie, indura-te, Stapana, Fecioara glorioasa, de lacrimile noastre. Ai mila de ostasii nostri, ce lupta pentru cruce…“ Josef Paschill war viele Jahre Leiter der Bukarester Liedertafel, die mit über 20 anderen deutschen Chören zum Rumänischen Deutschen Sängerbund gehörte. Die Sängerfeste fanden oft in Ploiesti und in Bukarest statt, deren Höhepunkt stets der Empfang durch die Königsfamilie bedeutete. Auch diese Traditionen waren Königin Elisabeth nicht fremd, hatte sie doch in ihrer Heimat stets gute Beziehungen zu Gesangvereinen und Chören.

Wie die vielen deutschen, österreichischen oder böhmischen Komponisten, Kapellmeister und Musiker, die sich in Bukarest niederließen, wird auch die deutsche Prinzessin sich mit dem rumänischen Kulturraum befreunden und sich selbst mit diesem identifizieren. Wie die genannten deutschen Komponisten walachische Folklorelemente in ihre Werke integrierten, so wird Carmen Sylva sich häufig mit der Volkspoesie ihres Landes befassen: und wenn ein solches Interesse so hoch in einer Gesellschaft angesiedelt ist, so konnten auch ausländische Künstler leicht von diesem fasziniert werden. Zu diesen gehörten auch die beiden Komponisten August Bungert und Ivar Hallström, mit denen sie eine besondere Freundschaft verband. In ihrem so wertvollen Buch zu Carmen Sylvas Beziehungen zur Musik, zitiert Hildegard Emilie Schmidt einen Zeitgenossen so: „Carmen Sylva dichtet schnell, wie Bungert schnell komponiert. Beide sind unterthan der Augenblicksstimmung. Bei Bungert bildet sich die Melodie bereits beim Lesen eines Gedichtes, am Rande des Manuskripts oder Buches entsteht die Notenskizze.“ Und über Hallström schreibt sie: „Wenn sich die Gelegenheit ergab, sandte Carmen Salva Grüße an Hallström, wie ein Brief an die Gattin des deutschen Gesandten Busch in Stockholm, der von 1885-1888 Gesandter in Bukarest war, zeigt und dessen Familie sie gut kannte. Sie schreibt über Hallström: Lassen Sie sich von ihm meine Lieder vorsingen!“

In ihrem Schloss Pelesch in Sinaia, in Bukarest oder im Schloss Segenhaus bei Neuwied, ihrem „Musenhof“ empfing sie zahlreiche Musiker, viele dieser Namen sind heute bereits in Vergessenheit geraten. Doch einer soll wegen seinem Talent und seiner Genialität besonders erwähnt werden: George Enescu. Im März 1898 lernte Carmen Sylva den jungen Enescu kennen und es begann damit eine fruchtbare literarisch-musikalische Zusammenarbeit. Sie nannte ihren Zögling „mein Seelenkind“ – „copil de suflet“ – und Enescu verbrachte bis 1914 jeden Sommer am königlichen Hofe in Bukarest und in Sinaia. Diese Beziehungen zwischen dem rumänischen Nationalkomponisten und der damaligen Königin wurden in der sozialistischen Geschichtsschreibung fast gänzlich ignoriert, sie passten nicht in das Konzept der damaligen Kulturpolitik Rumäniens und deshalb wäre hier noch viel nachzuholen. Clemansa Firca, die sich besonders mit diesem heiklen Teil rumänischer Musikgeschichte beschäftigt, schreibt: „Considerata multa vreme (si considerata inca) de importanta minora in definirea profilului si evolutiei de compozitor ale lui George Enescu, zona de contact a muzicii sale cu creatia literara a poetei Carmen Sylva isi reclama astazi locul cuvenit in cadrele unei exegeze active si inca datoare cu clarificari cum este cea a operei enesciene. Totalul celor peste 20 de lucrari compuse de Enescu pe texte de Carmen Sylva vorbeste de la sine despre staruinta cu care muzicianul a apelat in anii sai tineri la aceasta sursa literara, staruinta, pe care doar asa-zisele „obligatii de curte“ale muzicianului nu ar putea-o nicidecum explica“.

Die meisten dieser Kompositionen sind Lieder. Aber auch ein besonderes kleines Werk ist unter dem Einfluss Carmen Sylvas entstanden: ein „Andante religioso“ für Orgel und 2 Violoncelli, das zum ersten Mal in der evangelischen Kirche zu Bukarest gespielt wurde. Für diese Kirche sorgte Königin Elisabeth auch für eine neue Orgel, es war das dritte große Instrument dieser Stadt. Die Königin selbst war eine gute Orgelspielerin und ihr sind auch die ersten Schritte der Bachtradition in Bukarest zuzuschreiben. Enescu bekam von ihr zu seinem 17. Geburtstag Bachs Gesamtwerk geschenkt, das er als ein „wahres Lebensgeschenk“ bezeichnet hat. Auch die beiden Orgeln im Schloss Pelesch sind ihrem Interesse der Musik Bachs gegenüber zu verdanken. Vielleicht war es kein Zufall, dass Enescu einem Journalisten im Jahre 1931 anlässlich seinem 50. Geburtstag in die Feder diktierte: “… Bach insa ramane, la fel ca Mozart, Beethoven, Schumann si Brahms, care vor trai in veci. Acestia sunt de altminteri maestrii mei preferati; ei se afla mai aproape de sufletul meu, caci – de ce sa n-o recunoastem? – in mine rasuna staruitor ecourile stravechii muzici germane.” Und der Reporter schrieb dazu “Enescu spune toate acestea in limba germana…” [Enescu sagte dies Alles in deutscher Sprache]

Von den Gedichten Carmen Sylvas ließ sich auch ein Komponist mit Banater Wurzeln inspirieren, der zum Beginn des 20. Jahrhunderts diese unter dem Titel Fünf Lieder nach Gedichten Carmen Sylvas veröffentlicht hat: Jenö Hubay / Eugen Huber / der aus dem Dorf Warjasch stammte, wo sein Großvater Michael Huber als Kantorlehrer tätig war. Hubay war als Zeitgenosse Enescus einer der bedeutendsten Geigenvirtuosen und Pädagogen jener Zeit und wirkte in Budapest.

Prinzessin Elisabeth kam aus einem deutschen Kulturraum und war selbst von jenem menschlichen Dasein, beheimatet irgendwo an der unteren Donau, fasziniert. Aber nicht naiv und blind gegenüber sozialer Missständen oder seelischem Schmerz. Nicht von ungefähr gründete sie später soziale und caritative Einrichtungen, um die Not der Menschen zu lindern. Und besonders das Schicksal der Künstler und Musiker, lag ihr am Herzen.

Ihr besonderes Verhältnis zur Musik war für jene Zeit nichts Neues. Man versuchte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch in der Musik neue Wege zu beschreiten, Interpretationen zu wagen, die selbst die verträumtesten Romantiker nichtmal ahnen konnten. Für sie war die Musik eine metaphysische Realität – ergo: eine kosmische Einheit. 1874 schrieb Carmen Sylva in einem Brief: „Der Jubel hält alle Seelen zusammen und lässt sie nie entfremden, denn sie brauchen die große Symphonie und den vereinten Wohlklang, um das rechte Lied singen zu können, das Lied, von dem alle Himmel jauchzen und widerhallen! Das Lied, das als ewiger Beweis unserer himmlischen Herkunft im Einklang steht, mit der ewigen Harmonie der Sphären.“

„Poeta si muziciana“ wurde sie liebevoll genannt, „M. S. Regina Elisabeta a Romaniei, marea Carmen Sylva” nannte sie ihr “Seelenkind” Enescu, „Buna regina era raza de soare care mi-a iluminat calea multa vreme“ schrieb die Konzertpianistin Aurelia Cionca über ihre königliche Förderin und für ihr Volk ist sie bis heute eine wahre Königin geblieben. Ihre besondere Rolle in den beiden Funktionen – ob als Königin Elisabeth oder als Carmen Sylva – wurde bisher – aus welchen Gründen auch immer – selbst in ihrem rumänischen Königreich noch nicht genügend gewürdigt, das beweisen die vielen Fragezeichen in den bisher erschienenen musikwissenschaftlichen Arbeiten und die fehlenden praktischen Aufführungsmöglichkeiten der Vertonungen ihrer poetischen Schöpfungen. Über die Musik zu Carmen Sylvas Texten hat sich im letzten Jahrhundert eine dicke Staubschicht gelegt, die von der zukünftigen Generation – besonders in Rumänien – schichtweise und vorsichtig entfernt werden müsse, um die wahre Größe dieser deutschen Prinzessin und rumänischen Königin zu erfahren, die durch ihr Wirken dem rumänischen Volk mehr Gutes getan hat, als durch Politik imstande gewesen wäre. Und wie wahr schrieb doch Peter Rosegger: „Wohl auf hoher Warte muss man stehen, um Welt und Leben so ernst und tief zu fassen, als es Carmen Sylva kann!“

 

Das Musikzimmer der Königin im Kastell Pelesch in Sinaia, um 1884-1885.

Carmen Sylva an der Orgel im Kastell Pelesch, Sinaia, um 1900-1902. Neben ihr Ehrendame Lucia Ghica.

 

Aus dem Vortrag, gehalten im Oktober 2006 in der Temeswarer Oper, anlässlich des Besuches von König Michael von Rumänien

Copyright © Dr. Franz Metz, München 2007

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