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EDITION MUSIK SÜDOST

Die Musik der Ungarndeutschen -

Ein wichtiger Bestandteil der Kulturgeschichte Ungarns

von Dr. Franz Metz

 

Das nationale Element spielte in der Geschichte der Musik nicht immer eine solche vorherrschende Rolle wie es im 19. Jahrhundert der Fall war und teilweise auch heute noch ist. Wenn die ethnisch verschiedenen Elemente der französischen, englischen oder deutschen Geschichtsschreibung bis vor kurzem noch ein Tabu waren, so sind an der unteren Donau die geistigen nationalen Grenzen nur schwer zu erkennen. Und gerade dieses "besondere" Element südosteuropäischer Kulturregion macht diese europäische Musiklandschaft so interessant, bunt und wertvoll. Die Gründe dafür sind in der abwechslungsreichen Geschichte dieser Länder zu finden, wobei sich das Wort "Land" nicht unbedingt auf eine Kulturregion beziehen muss. Durch das wandernde Musikantentum des Mittelalters, durch die Ansiedlung von Kolonisten aus dem damaligen Heiligen Römische Reich Deutscher Nation im 12. und 18. Jahrhundert wie auch aus vielen anderen Gründen, kamen nicht nur Bauern, Handwerker, Beamte und Soldaten nach Ungarn.

Bereits im frühen Mittelalter waren am königlichen Hof oder an bischöflichen Kathedralen deutsche Musiker tätig, einige nur für eine gewisse Zeit, andere ließen sich in Ungarn nieder. So wissen wir, dass Magister Walther zur Zeit des Märtyrerbischofs Gerhard von Sagredo an der damaligen Domschule zu Tschanad (Morisena, Csanád) im 11. Jahrhundert als Musiklehrer tätig war. Auch in den drauffolgenden Jahrhunderten kamen deutsche Sänger, Instrumentalisten und Komponisten an den ungarischen Königshof, musizierten in mittelalterlichen Domkirchen oder sorgten für die Unterhaltung Adeliger. Ob Johannes Tedescus, Heinrich Finck, Robert Stolzer, Johannes Lang oder Liebhard Eghenvelder, wir finden auf allen ungarischen Gutshöfen bis zur türkischen Besetzung viele Namen deutscher Musiker.

Selbst in den verschiedenen Klöstern Ungarns finden wir zahlreiche Namen von Mönchen welche als begabte Komponisten oder selbst als Instrumentenbauer in die Musikgeschichte eingegangen sind. Deren Nationalität heute festzustellen wäre nicht nur ein kompliziertes Vorhaben sondern auch irrelevant, da man in den damaligen Abteien und Klöstern kein großes Gewicht auf die Muttersprache der Geistlichen legte - das allgemein Christliche und Katholische spielte dabei eine größere Rolle.

Obzwar man heute aus dieser Wanderung von Musikern viel zu oft eine Kulturpolitik daraus zu machen vermag, muss man feststellen, dass es bei den meisten Musikern ganz einfach bloß um eine bessere Anstellung, um eine bessere Verdienstmöglichkeit oder eine bessere Verwirklichung ihrer künstlerischen Ziele ging. Ausnahmen finden wir lediglich in der jüngere Geschichte während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese deutschen Musiker trugen gemeinsam mit den ungarischen, rumänischen, slawischen, jüdischen oder anderssprachigen Künstlern zu einem Aufblühen dieser Kulturlandschaft bei.

Einen besonderen Stellenwert in der Musikgeschichte Ungarns nehmen die Domkapellmeister des 18. und 19. Jahrhunderts ein, die Zeit, in der viele bischöfliche Residenzen zu bedeutenden Musikzentren wurden. Einer von diesen war Bischof Patachich, der in Großwardein ein eigenes Orchester besaß mit dem nicht nur geistliche Musikwerke sondern auch Singspiele und Opern aufgeführt wurden und zu deren Pflichten auch die Besorgung der Tafelmusik zählte. Dessen Zeitgenosse in Belgrad und später Temeswar war Bischof Franz Engl Graf von Wagrein, der ebenfalls eine eigene Domkapelle beschäftigt hat. Oft nahm man sich die Domkapellmeister aus österreichischen Diözesen und so kam es zu einer Verlagerung mitteleuropäischer Elemente der damaligen Musikpraxis an die untere Donau. Die Ursachen dieser musikalischen Migration sind vielseitig.

Viele Bischöfe der ungarischen Diözesen hatten ihren Sitz während der türkischen Herrschaft, der höheren Sicherheit wegen, in österreichische Städte verlegt. Von hier brachten sie bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die ersten Domkapellmeister mit, die mit einer hohen musikalischen Kultur ausgerüstet waren, wie z. B. Johann Michael Haydn und Karl Ditters von Dittersdorf in Großwardein. Als Beispiel für die Ordnung einer solchen Dommusik galten die Traditionen an bedeutenden Kathedralkirchen zu Wien, Salzburg, Passau oder Konstanz. Von den wichtigsten deutschen Kapellmeistern an ungarischen Kathedralkirchen des 18. und 19 Jahrhunderts seien folgende erwähnt: Heinrich Abraham Piringer, Martin Demohl, Christophorus Lettel, Joseph Kratochwill, Franz Limmer, Moritz Pfeiffer, Franz Wilhelm Speer (am Dom zu Temeswar, Diözese Tschanad); Johann Michael Haydn, Karl Ditters von Dittersdorf, David Kirr, Franz Kersch (Großwardein); Giuseppe a Coupertino Schispiel, Gottfried Josef Schnabel, Josef Nitsch (Sathmar); Franz Anton Paumon, Nikolaus Strobach, Kaspar Hemmerich, Philipp Kurtz, Josef Peck, Johann Georg Lickl, Franz Seraph Hölzl (Pécs/Fünfkirchen); Wenzel Frank, Hanner, Nikolaus Vogel, Heinrich Emmert (Székesfehérvár/Stuhlweißenburg); Adalbert Lang (Kalocsa); außerdem an den Kathedralen von Veszprém/Wesprim, Eger/Erlau, Györ/Raab und Esztergom/Gran.

Die vielen wertvollen Dombibliotheken Ungarns besitzen unzählige Kompositionen dieser Domkapellmeister die leider noch auf ihre Wiederentdeckung warten müssen. Es handelt sich meist um eine gute, gediegene und handwerklich gekonnt geschriebene Musik welche leider in Vergessenheit geraten ist. Ihre Aufführung würde das alltägliche Bach-Mozart-Beethoven-Repertoire vieler Kirchenchöre auffrischen und diese Musik in ein rechtes Licht rücken.

Durch die Reformation bekam die neue protestantische Kirchenmusik in Ungarn einen nationalen Charakter, deutsche Kirchengesänge sind z. B. in Siebenbürgen in Druck erschienen und wurden in den Schulen gelehrt. In der katholischen Kirche geschah dies erst durch die Gegenreformation und in der Josephinischen Zeit durch die Einführung des deutschen Kirchenliedes und der Singmesse.

Die revolutionären Ereignisse der Jahre 1848-49 brachten, wie in vielen europäischen Ländern, das nationale Element auch in der Musik zum Ausdruck. Dies ging so weit, dass viele deutsche Musiker, der ungarischen Befreiungsidee zu Liebe, ihren Namen magyarisierten: Michael Brandt (Mocsonyi Mihály), Peter König (Király Péter), Karl Huber (Hubay Károly), Ernst Längsfeld (Lányi Ernö), Andreas Ackermann (Arató Andor), Desiderius Jahraus (Járosy Dezsö) u.v.a. Ein anderer Grund, insbesondere in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, war auch die Möglichkeit, dadurch einen höheren beruflichen Aufstieg zu erreichen. Dieser Fall ist sehr oft bei Kantorlehrer deutscher Gemeinden zu beobachten, die besonders unter dem Druck der Magyarisierung in der Zeitspanne 1880-1914 zu leiden hatten. Es ist bekannt, dass manche Lehrer oder Kantoren frühzeitig in Pension versetzt wurden, da sie sich nicht diesen politischen Forderungen beugen wollten.

 Noch bekannter ist die Tatsache, dass zahlreiche ungarndeutsche Komponisten eine Vorliebe für das ungarische Volkslied hatten. Konrad Paul Wusching, Regenschori und erster Dirigent des Gesangvereins in Lugosch, stammte aus der schwäbischen Gemeinde Nagy-Mányok (Großmanok) und komponierte meist ungarische Männerchöre, welche in jener Zeit eine große Verbreitung erlangten. Auch der siebenbürgisch-sächsische Komponist Hermann Kirchner schrieb ungarische Lieder, Emmerich Bartzer aus Lowrin, Leopold Herrmann aus Neuarad, Hans Weisz und Paul Wittmann aus Temeswar, Anton Gockler, Guido von Pogatschnigg, Josef Willer aus Lugosch, Josef Linster aus Hatzfeld u.s.w.

Durch die Chorbewegung nach 1848 und die Gründung von Gesangvereinen konnte sich einige Jahre sowohl das deutsche wie auch das ungarische Chorlied gleichmäßig entwickeln. Eine besondere Rolle spielten dabei die Männerchöre. Noch viele Jahre nach dem Ausgleich (1864) war ein Gleichgewicht an ungarischem und deutschem Liedgut im Repertoire dieser Chöre zu beobachten. Bereits mit dem Jahre 1880 beginnend wurden auf den ungarischen Landessängerfesten kaum mehr deutsche Chöre gesungen. Diese Verdrängung der Musikkultur der deutschen Minderheit hatte auch zu späteren politischen Folgen für die gesamte ungarische Kulturpolitik geführt.

Im Gegensatz zu anderen osteuropäischen Ländern, wurde die historische Musikwissenschaft in Ungarn auch in der Zeit des Kommunismus gepflegt und gefördert. Wenn in anderen Ländern kurz nach dem zweiten Weltkrieg viele Dommusikarchive und wertvolle Musiksammlungen beschlagnahmt oder vernichtet wurden, hat man in Ungarn die Kirchenmusikarchive meist wissenschaftlich bearbeitet und erforscht. Zu den bedeutendsten Pionieren dieser Forschungstätigkeit gehören die beiden Geistlichen Dr. Szigeti Killián O.S.B. und Dr. Kornél Bardos. Trotz ihrer wertvollen Forschungen im Rahmen der Musikgeschichte und des Instrumentenbaus, wird auf die Bedeutung der ungarndeutschen Musiker heute kaum mehr hingewiesen. Es lag an den politischen Gegebenheiten der damaligen Zeit (1960-1989), durch die die Richtlinien für eine wissenschaftliche Veröffentlichung vorgeschrieben wurden. Selbst in den ungarischen Musiklexika dieser Periode kann man zur Musik der Ungarndeutschen keinen einzigen Artikel finden.

Viele deutsche Instrumentenbauer die sich in Ungarn niederließen, brachten dieses Gewerbe zu einem aufblühenden Industriezweig. Zu den wichtigsten Orgelbauern sind zu erwähnen Josef Angster (Pécs), Anton Dangl (Arad), Franz Anton Wälter, Carl Leopold Wegenstein (Temeswar), Otto Rieger (Budapest) u.v.a.

Eine wahre Bereicherung für die Musikkultur Ungarns bildeten die zahlreichen schwäbischen Blaskapellen, von welchen die so genannten Knabenkapellen bekanntlich Konzerte in ganz Europa, Amerika und Afrika gaben und hier meist unter dem Namen Ungarische Knabenkapelle in ungarischer Husarenuniform aufgetreten sind.

Nach 1989 wurden mehrere deutsche Chöre, insbesondere in der Baranya/Branau wieder gegründet, man versucht je mehr von der verlorenen Zeit der letzten fünfzig Jahre nachzuholen. In deutschen und ungarischen Publikationen sind auch schon einige Berichte zur Musiktradition der Ungarndeutschen erschienen, unterschrieben von Dr. Franz Galambos-Göller, Dr. Karl Vargha oder Péter Szkladányi. Das Pécser/Fünfkirchener Symphonieorchester hat eine CD eingespielt mit Werken des Domkapellmeisters Johann Georg Lickl. Selbst ein neues donauschwäbisches Kirchengesangbuch mit 426 Liedern wurde 1995 in Pécs von Pfarrer Dr. Franz Galambos-Göller mit einem großen finanziellen Aufwand veröffentlicht.

Wenn wir von einer zukünftigen regionalen Musikgeschichte oder einer Musiklandschaft Ungarns sprechen, die in Jahrhunderten gewachsen ist, so können wir nicht nur die Musik der Magyaren oder der Schwaben behandeln, sondern die Musik Ungarns in all ihrer Vielfalt und historischen Bedeutung, inbegriffen der Musikkultur der ethnischen Minderheiten dieses Landes. Daß ein solches Unternehmen keine einfache Sache ist, beweisen schon die Schwierigkeiten des Umgangs mit diesem kulturellen Erbe mancher größerer mitteleuropäischer Staaten.

Nicht nur Franz Liszt war von Ungarn begeistert, auch Johannes Brahms konzertierte 1879 in vielen Städten dieses Landes und berichtet voll Begeisterung Clara Schumann darüber: "Unsere Reise war recht hübsch und lustig. Bei herrlichstem Wetter durch ein fremdes, interessantes und oft sehr schönes Land fahren, nebenbei etwas musizieren und sich ansingen und antrinken lassen ... Für solche Konzertreisen hätte ich öfter Lust! ... und die Leute wissen nicht, was die einem Gutes und Liebes tun sollen - nur nicht gar zu eilig müssen wir es haben." Und so ähnlich sind auch heute noch die meisten Fremden von den vielfältigen Schönheiten dieses Landes begeistert. Die Einflechtung von Schöpfungen ungarndeutscher Komponisten in das pulsierende ungarische Konzertleben würde den hohen Anspruch an Qualität der Programme nicht beeinträchtigen und eine musikwissenschaftliche Synthese der ungarndeutschen Musikgeschichte würde den imposanten Rahmen der Musikkultur dieses Landes mehrfach erweitern und mit bisher unbekannten, hochinteressanten Fakten füllen.

 

Copyright © Dr. Franz Metz, München 2007

 

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