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EDITION MUSIK SÜDOST

Kirchenmusik und geistliche Musik nach 1945 in Rumänien

von Dr. Franz Metz

 

Kommunismus und Kirchenmusik

 

Stürzt man sich in wissenschaftliche Recherchen bezüglich der Kirchenmusik Rumäniens nach 1945, so stellt man sich bereits nach den ersten Schritten die Frage, ob man nicht einer Fata Morgana nachläuft, einer Sparte der Musikkultur, die es in dieser Zeit - wenigstens aus offizieller Sicht - nichtmal gab. Dokumente zur Kirchenmusik dieser Epoche sind kaum vorzufinden, Sekundärquellen sind schwer zu belegen, offizielle Statistiken sind unglaubhaft oder gefälscht. In der Kultur und Religionsgeschichte des zu Ende gehenden Jahrtausends finden wir selten solche dunkle Zeiten und Orte der Kirchenmusik, wie in der Zeit des letzten halben Jahrhunderts in Rumänien. Und trotzdem: es gab diese Kirchenmusik nach 1945 - selbst in den verschiedensten Formen - auch in diesem Land.

In keinem der ost- oder südosteuropäischen Ländern, ausgenommen die ehemalige Sowjetunion, wurde die Kirchenmusik einer solchen Demütigung unterzogen, wie dies in Rumänien der Fall war. Bedenkt man nur die Tatsache, dass in der Zeit, in der man in Ungarn ganze Kompendien zur Musica Sacra an verschiedensten Kathedralkirchen verfasst hat, in Rumänien das Wort „Kirche“ einer strengen Zensur unterzogen wurde. In der Zeit, in der in der ehemaligen Tschechoslowakei ganze Reihen von Schallplatten mit Orgelmusik eingespielt wurden, in Polen die Kirchenmusik an Hochschulen unterrichtet wurde, in Jugoslawien Kirchenkonzerte stattfanden, in der DDR das Werk eines Silbermann oder Bach gepflegt wurde, sprach man in Rumänien von der Kirchenmusik als ein Überbleibsel der bürgerlichen kapitalistischen Gesellschaft.

Vom Ende dieser schwarzen Ära europäischer Kulturgeschichte sind erst zehn Jahre vergangen, eine Zeit, die für eine wissenschaftliche Untersuchung vielleicht noch zu jung wäre. Aber gerade wegen der Sonderstellung dieser Musikgattung in der damaligen kommunistischen Gesellschaft, sollte dieser Epoche aus wissenschaftlicher Sicht eine größere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Berichte von Zeitzeugen, handgeschriebene Aufzeichnungen von Kirchenmusikern in den kommunistischen Konzentrationslagern wie auch eigene Erlebnisse spielen dabei eine wichtige Rolle. Ohne diese Quellen wären spätere Nachforschungen in Bibliotheken oder Archiven zwecklos.

 

Die Kirchenmusik des westlichen Rumäniens nach 1945, dokumentiert in den Hirtenbriefen des Temeswarer Bischofs Dr. Augustin Pacha

 

Noch zum Beginn des Jahres 1944 stellt Bischof Dr. Augustin Pacha in einem Rundschreiben die dritte Auflage des Katholischen Gebet- und Gesangbuches der Temeswarer Diözese vor. Obzwar der Krieg sämtliche Institutionen fast lahm gelegt hat, darunter auch die Kirche, versucht man das religiöse wie auch kulturelle Leben je weniger zu beeinträchtigen. Obzwar in seinen Hirtenbriefen Bischof Pacha sich selten in das politische Geschehen des Landes einmischte, versuchte er in seinem Rundschreiben vom 23. Februar 1944 seinen Gläubigen Hoffnung auf friedliche Zeiten zu geben:

 

„Auch in diesen Kriegsjahren ertönt bei drohender Gefahr der ernste Ruf - es ist nicht gesagt: der Schreckruf - Alles zur Wehr, alles an die Front! (...) Hier daheim ist auch eine Kriegsfront. An dieser Front stehen die Weiber, die älteren Männer und die Kinder. (...) Fast in der ganzen Welt sind die Männer ihren Familien entrissen. Sie stehen in Waffen, und als höchstes Ziel ist ihnen vorgeschrieben, wie es im Kriege immer zugeht, zu kämpfen, Hab und Gut zu vernichten, Mitmenschen arbeits- und kriegsunfähig zu machen, zu Krüppeln zu schlagen, in Gefangenschaft zu treiben, zu töten, Weiber zu Wittwen, Kinder zu Kriegswaisen zu machen. Das alles genügt noch nicht. Weit hinter der Kriegsfront sollen die Städte und Dörfer in Brand gesteckt, zerschlagen, zerstört, vom Erdboden weggefegt; die Alten, Kinder und Weiber getötet, die Schulen und Kirchen, die Spitäler vernichtet werden.“

 

Der Kantorlehrer einer Schule des Kreises Severin wurde im Frühjahr des Jahres 1944 vor Gericht gestellt und aus dem Lehramt entlassen, weil er während dem Schulunterricht antireligiöse Lieder gesungen hat. Keiner konnte sich damals vorstellen, dass man in nur kurzer Zeit die antikirchliche Propaganda von staatlicher Seite aus öffentlich fördern und propagieren wird. Dass sich die Zeiten bald grundlegend ändern werden, war aber vorauszusehen.

Am 23. August 1944 wechselte Rumänien die Fronten und trat in den Krieg gegen Hitlerdeutschland ein. Für die deutsche Minderheit hieß dies doppelte Gefahr: einerseits durch den Feind von Außen, anderseits durch die politische Verfolgung von Innen. Ganze Siedlungen und einzelne deutsche Familien flohen mit den letzten sich zurückziehenden deutschen Soldaten vor der herannahenden Sowjetarmee. Besonders war dies in der Bukowina, in Nordsiebenbürgen und im serbischen Banat zu beobachten. Trotzdem sahen die meisten Bewohner keinen Grund, ihre Heimat zu verlassen. Im Januar des Jahres 1945 mussten tausende junge Frauen und Männer, die meist aus den Reihen der deutschen Bevölkerung stammten, zum Arbeitsdienst nach Russland, ein großer Teil starb in diesen menschenunwürdigen Arbeitslagern. In seinem Fastenhirtenbrief des Jahres 1945 schrieb Bischof Pacha:

 

„Vor einigen Wochen wurden unsere Männer und Buben, die Weiber und die Mädchen in großer Zahl zum Arbeitsdienst in die weite Ferne geführt. Wo man hinschaut, sieht man tränenfeuchte Augen, und wo man hinhorcht, hört man Stöhnen, Klagen und Weinen (...)“

 

An allen Sonntagen sang man am Schluss des Gottesdienstes die so genannten „Russlandlieder“, Gesänge die vom jeweiligen Kantorlehrer mit eigenem Text unterlegt wurden. Ein solches Lied ist auch jenes verfasst von Geza Neidenbach im Jahre 1945 in Lugosch:

 

Trauerlied für die in Russland Gestorbenen

 

Schlaft wohl in stillem Frieden, im fernen Ostens Grund,

Wo Ihr verlassen lieget, mit kaltem Herz und Mund.

 

In euren besten Jahren, verliesset Ihr euer Heim,

Im fernen Land erstarret, musst Ihr ein Opfer sein.

 

Was habt Ihr denn verschuldet für so ein grausam Los?

Habt schrecklich viel erduldet, an Plagen hart und groß.

 

Verlassne schlichte Gräber, decken Euch friedlich zu,

Doch Gottes Gnad und Güte, geb Euch die ew´ge Ruh.

 

O Gott, sieh diese Tränen, die hier rinnen herab,

O streue diese Tränen, auf unsren Lieben´s Grab.

 

Schlaf wohl, ruht wohl Ihr Lieben, in stiller einsam Ruh,

Ein Gruß der treuen Heimat, komm Euch heut allen zu.

 

Das Plündern der sowjetischen Truppen ließ kein Dorf Rumäniens unverschont. Selbst Kirchenorgeln und Altarkreuze wurden als Zielscheibe benützt. Was nicht nagelfest war wurde beschlagnahmt und mitgenommen. Auch die wertvollen kirchlichen Bibliotheken samt dem Musikalieninventar waren in Gefahr als Kriegsbeute zu verschwinden. In der gleichen Zeit der Russlandverschleppung, im Monat Januar 1945, machte die rumänische Regierung sämtliche kirchlichen Behörden aufmerksam, den Sowjets keinerlei Materialien auszuhändigen ohne die spezielle Bewilligung der Alliertenkommission. Natürlich konnte man die Einhaltung dieser Verordnung kaum überprüfen, die Raubzüge gingen weiter.

Bereits wenige Wochen nach dem Beginn der Russlandverschleppung kamen die ersten Todesmeldungen. In einem Rundschreiben des Temeswarer Bischofs vom 3. Januar 1946 hieß es:

„Immer häufiger ergeben sich solche Todesfälle, welche mit einem amtlichen Todeszeugnis nicht zu beweisen sind, da die Betreffenden entweder infolge des Krieges vermisst wurden, oder auf dem Wege zur Pflichtarbeit oder aber während dieser Arbeit gestorben sind (...)“

 

Es musste aber noch ein ganzes Jahr vergehen, bis Bischof Pacha in einem weiteren Rundschreiben den nahenden Frieden ankündigt:

„Nach einem sechsjährigen Kriege soll in diesen Tagen der Friede abgeschlossen werden. Gott gebe, dass dieser Friede ein guter und gerechter und ein lang andauernder Friede sei (...)“

 

Die Erneuerungen kamen Schlag auf Schlag. Am 30. Dezember 1947 wurde König Michael I. von Rumänien gezwungen abzudanken und es wurde die Rumänische Volksrepublik ausgerufen. Die Spannungen in der rumänischen Politik haben bereits mit dem Tag des Frontenwechsels, dem 23. August 1944, zugenommen.

Am 17. Juli 1948 hat das Präsidium der Großen Nationalversammlung Rumäniens das Konkordat mit dem Heiligen Stuhl, abgeschlossen am 10. Mai 1927, gekündigt. Das Gesetz wurde u.a. von Parhon, Emil Popa und Anna Pauker unterzeichnet. Von diesem Datum an wurde das alte rumänische Kultusgesetz für ungültig erklärt, die römisch-katholische Kirche war bis 1990 nur als eine religiöse Gemeinschaft geduldet, die griechisch-katholische Kirche wurde ab sofort untersagt.

Nur einige Tage später billigte die Große Nationalversammlung das neue „Kultusgesetzt“, nach welchem der Staat die Religionsfreiheit auf dem gesamten Territorium Rumäniens garantierte. Dies geschah natürlich in Verbindung mit den neuen Gesetzen der Rumänischen Volksrepublik. Theoretisch hieß dies: jeder Bürger darf jedwelche Religion frei ausüben, wenn diese vom Staat anerkannt und erlaubt war. Praktisch aber hieß dies: Beschlagnahmung von kirchlichem Eigentum, Verstaatlichung von kirchlichen Gebäuden, Bibliotheken und Sammlungen, Kontrolle über das gesamte religiöse Leben wie auch der gesamten kirchlichen Institution, Auflösung der griechisch-katholischen Kirche, Festnahmen von unschuldigen Priestern, Bischöfen und Kantoren, Kerker und politischer Terror. Das ganze Hab und Gut sämtlicher Kirchen und Religionsgemeinschaften Rumäniens mußte Inventarisiert werden, die griechisch-katholischen Kirchen kamen in den Besitz der rumänisch-orthodoxen Kirche, die Priester und Gläubigen wurden zum Übertritt zur orthodoxen Konfession überredet oder forciert. Man dachte in diesem Gesetz auch an die Kirchenmusik, wobei man für die Ausbildung zukünftiger Kirchenmusiker ein Gymnasium auf Landesebene erlaubt hat. Der orthodoxen Kirche wurden zwei theologische Hochschulen genehmigt, der katholischen und protestantischen jeweils eine.

Die Situation der Kirchen Rumäniens wurde immer unerträglicher. Generalvikar Josef Plesz (Temeswar) schrieb in seinem Rundbrief vom 25. September 1948:

„Die Zeiten, die wir heute nach zwei Weltkriegen erleben, sind außergewöhnliche Zeiten. Kummer und Sorgen drücken alle Welt und das ganze christkatholische Volk.“

 

Im nächsten Rundschreiben verlangt Josef Plesz von den Priestern der gesamten Diözese die Unterstützung der griechisch-katholischen Priesterkollegen, damit diese ihren Gottesdienst in den römisch-katholischen Kirchen abhalten können. Diese Hilfe wurde aber durch das rumänische Kultusministerium in Kürze untersagt. Derselbe Generalvikar nahm Stellung in einem Rundschreiben gegen die Unterdrückung seiner griechisch-katholischen Mitbrüder und bat um das Gebet für den Bischof wie auch für die verfolgten und leidenden Christen.

Um die kirchlichen Institutionen noch mehr unter Druck zu setzen, mussten sämtliche Gegenstände, Räumlichkeiten und Besitztümer der Kirchen inventarisiert werden. Dieser Beschluss kam vom Kultusministerium (Nr. 41917/1948) im Sinne der Verfügung Nr. 27.400/1948 des Finanzministeriums. In der Zeitspanne 31. Dezember 1948 bis 31. Januar 1949 mussten sämtliche Inventarlisten zusammengestellt und an das Ordinariat abgegeben werden. Vom Altarbild bis zum Tintenfass, von den Haustieren bis zum letzten Dachziegel mussten sämtliche Besitztümer jeder Kirchengemeinde aufgelistet und beschrieben werden. Dazu gehörten auch die Orgel, das Harmonium, verschiedene Musikinstrumente, Notenständer, Bücher, Partituren, Notenschränke und jedwelches Notenblatt.

Noch mehr verschlimmerte sich die Situation der Kirchenmusik durch die so genannte „Epurierung der Pfarr- und Klosterbibliotheken“. Das Kultusministerium verordnete durch das Dekret Nr. 38414 vom 27. Dezember 1948 die Säuberung sämtlicher kirchlicher Bibliotheken und Sammlungen von jenen von der kommunistischen Ideologie auf dem Index stehenden Schriften. In dem Rundschreiben Nr. 537 vom Beginn des Jahres 1949 teilt das Temeswarer Bischöfliche Ordinariat sämtlichen Pfarreien diese neue Verordnung mit. Diese Epurierung musste bis zum 31. März 1949 durchgeführt werden. Dafür gab das Ministerium für Kunst und Information eine Broschüre heraus mit dem Titel Publicatiile interzise (Verbotene Publikationen) mit dem Index sämtlicher durch die neue Regierung zensurierten Schriften. Unter Artikel 2 des Rundbriefes des Temeswarer Ordinariates hieß es:

„Im allgemeinen sind folgende Bücher verboten: a. Sämtliche Bücher, Zeitschriften, Broschüren die von der hitleristischen oder faschistischen Regierung herausgegeben wurden; die in Druck erschienenen Reden oder sonstige Schriften dieser Staatsmänner. b. Werke über das Königreich in Rumänien, sowie sämtliche literarische oder sonstige in Druck erschienenen Werke von Mitgliedern der königlichen Familie. c. Wissenschaftliche oder literarische Werke, die den Rassenhass propagieren. d. Schriften der rumänischen und ungarischen leitenden Staatsmänner, die in den Jahren 1938-1945 eine Rolle gespielt haben. (...) f. Bücher, Schriften, Artikel der Schriftsteller, die verachtend über die Sowjetunion schreiben.“

 

Darüber hinaus waren sämtliche Kalender und Almanache der Jahre 1938-1944 verboten, sämtliche Lehrbücher dieser Zeit, einschließlich der Musikbücher, sowie sämtliche Landkarten mit den ehemaligen Grenzziehungen und den Insignien des rumänischen Königreichs.

Sämtliche Gegenstände der Kirchen Rumäniens, welche ein Alter von mehr als 50 Jahre aufweisen, wurden dem staatlichen Patrimonium unterstellt. Noch um 1980 musste eine Museographengruppe im Auftrag des Patrimoniums diese Listen überprüfen. Dadurch entstand Angst in den Reihen der Pfarrer und Kantoren. Durch die Willkür des Staates konnten die staatlichen Museen jedwelche ältere Partitur, jedwelches ältere Instrument oder Kirchenbuch beschlagnahmen und „zur Überprüfung“ ins Museum überführen.

Durch dieses Gesetz des Epurierung gelangten zahlreiche Kirchenmusikarchive in die staatlichen Landesarchive (Staatsarchive und Museen, heute Rumänische Nationalarchive), wo die meisten Bibliotheken aus ehemaligem kirchlichem Besitz sich auch heute noch befinden. Zeitgenossen berichteten über die Beschlagnahmung riesiger Bestände mit Pferdewagen, Heugabeln und Schaufeln. Vom oberen Stockwerk des Temeswarer Bischöflichen Palles wurden die Bücher durch das Fenster auf den darunter bereitstehenden Pferdewagen geworfen. Jene Sammlungen und Bibliotheken wurden in geschlossene Räume der rumänischen Staatsarchive überführt, wo diese mit der Zeit durch Schimmel, Nagetiere und Feuchtigkeit teilweise zerstört wurden. Das gesamte Kirchen- und Musikarchiv der Arader Minoritenkirche (etwa 40 m Regale), befindet sich heute noch in staatlichem Besitz, ohne inventarisiert oder erforscht zu sein. In verschiedenen temporären Ausstellungen, wie jene mit alten Drucken des späten Mittelalters in Temeswar im Jahre 1997, werden einige dieser Prachtexemplare aus dem Besitz dieser staatlichen Bibliotheken präsentiert. Deren Herkunft wird verschwiegen. Das gleiche gilt für frühe Musikdrucke und wertvolle Notenhandschriften. Unachtsamkeit, fehlendes Fachpersonal und geringes Interesse für diese Dokumente tragen außerdem dazu bei, dass dieses Erbe unberücksichtigt bleibt und mit der Zeit für die Forschung verloren geht. Was bereits durch das Epurierungsgesetz vom 24. November 1944 in den Reihen des Personals vorgenommen wurde, als man Chöre, Orchester, die Oper und andere Musikinstitutionen von so genannten „reaktionären Elementen“ gereinigt hat, geschah nun mit dem kulturellen Erbe.

Der Rundbrief Nr. 1250 vom 27. Mai 1949 war eines der letzten von Bischof Dr. Augustin Pacha unterschriebenen Dokumente vor seiner Verhaftung. Mit ihm zusammen wurden auch zahlreiche andere deutsche, rumänische und ungarische Geistliche eingekerkert, darunter viele römisch- und griechisch-katholische und evangelische Priester.

Viele Kantoren und Kirchenmusiker mussten im Zuge der „Inventarisierungsaktion“ einen Teil des Instrumentariums der Kathedral- und Pfarrkirchen an den Staat abgeben. Diese Beschlagnahmungen sind für Großwardein (rum. Oradea), Temeswar (rum. Timisoara), Hermannstadt (rum. Sibiu), Arad und Lugosch (rum. Lugoj) belegt. Damit füllten die städtischen Museen und Nationalmuseen ihre Bestände auf.

 

Die Kirchenmusik in einem rumänischen Konzentrationslagern

 

Josef Brandeisz (1896-1978) erlebte als Violinist, Pädagoge, Kapellmeister des Domorchesters und Heimatforscher einen Teil der neueren Banater Musikgeschichte. Er war sowohl bis 1945 als auch danach Konzertmeister des Temeswarer Opern- und Domorchesters und wirkte nach 1945 in vielen Gottesdiensten als Konzertmeister. Gemeinsam  mit dem Organisten Josef Gerstenengst gaben sie regelmäßig Kirchenkonzerte in vielen Kirchen Rumäniens. Als Chronist und leidenschaftlicher Sammler hat er jedwelches wichtigere musikalische Ereignis dokumentarisch festgehalten und durch zahlreiche Zeitungsartikel einem breiten Leserkreis mitgeteilt. Domkapellmeister und Musikkritiker Desiderius Braun behauptete: „Wenn die Waffen sprechen, muß die Muse schweigen“. Bei Brandeisz war dies nicht der Fall: gerade in der Kriegszeit oder im rumänischen Arbeitslager 1945 half er mit seiner Violine und der Kirchenmusik vielen Leidensgenossen diese schwere Zeit zu überstehen.

Brandeisz wurde 1939 Konzertmeister des neu gegründeten Temeswarer Deutschen Symphonieorchesters, weshalb man ihn nach dem zweiten Weltkrieg in ein rumänisches Arbeitslager verschleppt hat. Es war das Schicksal vieler Musiker seines Alters, die, um Musik zu machen, von dem Wohlwollen der jeweiligen Kulturpolitik abhängig waren: bis 1918 spielte man unter dem Wappen des österreichischen Doppeladlers, Ende der dreißiger Jahren wurde die Orchesterkulisse mit dem Hakenkreuz „geschmückt“ und nach 1945 prunkte das Bildnis Stalins in allen rumänischen Konzertsälen.

Nach all dem Leid durch den zweiten Weltkrieg begann man in Rumänien wie auch in anderen osteuropäischen Staaten gleich danach mit der „Abrechnung“. Damit wurden meist unschuldige Menschen betroffen, die im kriegerischen Geschehen zwischen den Konfliktparteien in keiner Weise beteiligt waren. Im Herbst des Jahres 1944 wurden deutsche Intellektuelle aus dem Banat und Siebenbürgen in rumänische Arbeitslager interniert, andere wurden 1945 zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt, nur ein kleiner Teil derer blieb am Leben. Unter dem 1. Dezember 1944 vermerkt Josef Brandeisz in seinem Tagebuch:

„In der Früh von Polizisten zum Arbeitsdienst aufgefordert. Abends ½ 9 von Polizisten verhaftet und in die Prefektur geführt. Ganze Nacht nicht geschlafen. Auf der Erde gelegen mit 70 Anderen.“

 

Fast täglich nimmt er sich die Mühe für die detaillierten Eintragungen in sein Notizbuch. Die Reise in den Güterwaggons geht über Turnu-Severin und Bukarest bis Slobozia, Targu-Jiu und Turnu-Magurele. Josef Brandeisz schrieb an die Pianistin, Pädagogin und Kirchenmusikerin Prof. Gabriele Dobrozemski in Temeswar 1945 einen ausführlichen Brief über das Leben eines Musikers in einem Arbeitslager:

 

„Liebe Gnädige Frau!

(...) Ich erlebe jetzt den 3. Akt meiner Tragödie. Der erste Akt war Slobozia, der zweite Targul-Jiu, der dritte Turnu-Magurele. Der dritte Akt ist entschieden der Schwerste. Das Lager Turnu-Magurele ist unbeschreiblich primitiv und unhygenisch. Das Klima ist heiß und ständig windig-staubig. Wir leben in einer ständigen Staubwolke. Die Baracken sind klein und voll Wanzen. Viele wohnen in Scheunen und liegen auf dem Erdboden. Ich schlafe schon Monate lang im Freien, zwischen den Baracken. Die W.C. sind unerhört primitiv und schmutzig. Die Verpflegung ist äußerst schwach. In der Früh bekommen wir Kaffee aus gebranntem Kukurutz, ohne Zucker. Zu Mittag und abends bekommen wir Kartoffel oder Bohnensuppe ohne Fett oder Einbrenn, dazu täglich ein viertel Brot. In den ersten Tagen konnten wir uns beim Drahtzaun Milch, Eier, Tomaten, Paprika, Melonen kaufen, doch wurde das auch eingestellt. Es gibt viele die keine Packete bekommen und auch kein Geld haben, sie werden täglich magerer und schwächer. Die Krankenzimmer sind voll. Die Kranken liegen auf dem Fußboden, mangel jedwelcher ärztlichen oder hygenischen Einrichtung. Es sind viel Typhus, Scharlach, Difterie, Malaria-Kranke. Gestern ist eine 25jährige Frau gestorben, die zwei Kinder hier im Lager hinterlassen hat. Vorige Woche sind vier kleine Kinder gestorben.

Vor zwei Wochen haben wir Hauptmann Ludigar aus Temeswar begraben, er war 67 Jahre alt und war zu einem Skelett abgemagert. Er lag zwei Tage in einer Holzkammer, neben ihm ein totes Kind, bis man ihnen einen Sarg aus ungehobelten Bretter gemacht hat (In Slobozia wurden die Särge aus den Brettern eines Klosetts gemacht). Professor Strecker und Frau wohnen in einer unterirdischen Kabane, ein mit Stroh und Erde gedeckter Luftschutzkeller, 6x12 m groß. Es wohnen dort auch noch einige Nonnen und ein reichsdeutscher Priester. Sie sind beide sehr abgemagert, obzwar sie viel Geld ausgeben. Frau Strecker ist ständig krank. Es sind im Lager viele Kinder und alte Männer und Frauen. Der Vater einer meiner Sängerinnen ist 87 Jahre alt. Es sind auch 20 Nonnen, 3 katholische Geistliche und viele evangelische Pfarrer hier. Ich wohne mit dem evangelischen Bischof von Siebenbürgen in einer Kabane. Er liegt geradeso am Fußboden wie ich.

Wenn man all dieses Elend sieht, verliert man Glauben an Gott, Mensch und Gerechtigkeit. Alles ist Zufall und Glück. Der unglückliche Zufall hat uns hierher gebracht und nur ein glücklicher Zufall kann uns aus dieser Hölle retten. Ende Juni wurde ich zum erstenmal verhört. Seither warten wir täglich auf unsere Freilassung. Jetzt habe ich jede Hoffnung verloren. Wenn wir über Winter hierbleiben müssen, gehen wir alle drauf; in diesen dünnwändigen Baracken, in denen es in allen Ecken hineinregnet, können wir nicht aushalten.

Ich bedauere sehr, daß Sie das Packet aus Targul-Jiu verdorben zurückbekommen haben, aber unsere Umsiedlung ist plötzlich gekommen. Ich habe aus Craiova eine Karte geschrieben, die anscheinend nicht angekommen ist; auch versprach man uns täglich unsere Freilassung. (...)

 

Josef Brandeisz hat mit bewundernswerter Genauigkeit selbst im Internierungslager ein Tagebuch geführt. Dies beginnt mit einem Inventar sämtlicher Sachen die er in seinem Koffer mitnehmen durfte, von der Nadelschachtel, Zahnbürste, Seife, den einzeln aufgezählten Kleidungsstücken bis zum Rosenkranz, den Noten und dem Gebet- und Gesangbuch. Aus Temeswar bekam er regelmäßig von seinen Musikerkollegen und Freunden Pakete, Brot und Briefe zugeschickt, zu diesen gehörten der Dirigent Fritz Pauck, der Komponist und Musikschuldirektor Guido von Pogatschnigg, der Bratschist Ludwig Lang, die Pianistin Gabriele Dobrozemsky u.v.a.

In einer Baracke wohnten zwischen 100 und 200 Personen, darunter Bauern, Professoren, Bankbeamte, Kaufleute, Priester und ein Bischof. Trotz der großen Armut und der schrecklichen hygienischen Zustände, trachteten die Internierten ihre Freizeit mit kulturellen Aktivitäten zu verbringen. So fanden regelmäßig Vorträge statt, wie jene über musikgeschichtliche Themen von Prof. Viktor Bickerich, dem Kantor der Schwarzen Kirche zu Kronstadt. Josef Brandeisz gelang es, sich eine Geige zu beschaffen und hat damit in den Gottesdiensten die Rolle der Kirchenorgel übernommen. Mit einem vierstimmigen Chor bestehend aus Gefangenen übte er die Schubert-Messe Wohin soll ich mich wenden und Michael Haydns Majestätsmesse ein. Da keine Noten vorhanden waren, hat Brandeisz die bekannten Melodien harmonisiert und auf verschiedenste improvisierte Papiersorten niedergeschrieben. In seinem Tagebuch finden wir oft die Eintragungen wie „Chorprobe geleitet“, „Gottesdienst“, „Schubert-Messe gesungen“, „Lieder für Männerchor gesetzt“, „In der Kirche gegeigt“, „Auf der Geige begleitet“. Zu Ostern wird selbst eine Auferstehung gefeiert und dabei das Te Deum gesungen. am 24. Dezember vermerkt Brandeisz in seinem Tagebuch: „Traurigste Weihnacht meines Lebens!“ Regelmäßig fanden „Konzerte“ statt, bei denen seine treuesten Zuhörer zugegen waren und seinem Violinspiel bei Kerzenlicht lauschten.

Vor einem solchen Konzert wurde ihm einmal die Geige weggenommen. Erst nach einigen Tagen erbarmte sich der Offizier seiner und gab ihm das Instrument zurück. Das Repertoire des Gefangenenchores erweiterte sich immer mehr, bis man selbst lateinische Messen einübte, wie die Barbara-Messe, auch Gounods Ave Maria durfte in der Interpretation von Brandeisz nie fehlen. Am 5. Oktober 1945, in der Zeit seiner Internierung im Lager von Turnu-Magurele, schreibt ihm ein anderer Gefangener in sein Heft: „Mancher Stunde, die Sie uns geschenkt, dankbar und herzlichst gedanket.“

Durch seine Musik hat Josef Brandseiz ein wenig Licht in das alltägliche harte Lagerleben gebracht. Selbst rumänische und russische Offiziere lauschten seinem Spiel zu und waren von der Musik ergriffen. Ein aus Siebenbürgen stammender Zimmerkollege - sie nannten dieses Zimmer „Lausoleum“ - dankte in einer originellen Art Brandeisz für seine „Lagerkonzerte“ und widmete ihm ein Gedicht:

„Die vorstehenden Zeilen, die sich auf eine Begebenheit am 26. August l. J. gründen, widme ich Ihnen, verehrter Meister. Sie haben mit Ihrer hohen Kunst uns Schicksalsgenossen in schwerster Zeit in mancher Stunde all das Schwere, das auf uns gelastet, vergessen lassen. Dafür gebührt Ihnen stiller Dank! Dr. Kornfeld, Mediasch.“

 

Serenade

Herrn Josef Brandeisz als Dank,

gewidmet von Dr. A. Kornfeld, Mediasch

 

´s ist dunkel in der breiten Lagergasse

und selbst der Mond, der Bleiche, Blasse,

ist hinter einem Wolkenvorhang scheu versteckt,

als fürchte er, daß er die Ruhe weckt,

die zwischen den Kabanen feierlich besteht,

wo nur ein zartes Geigenschluchzen kommt, vergeht.

 

Im Dunkel ihrer öden Lagergasse lauschen

noch dunklern Gestalten und kein Flüstern, Plauschen

dringt aus der Menschenmasse hier empor;

´s ist feierlich so wie in einem Kirchenchor.

Da flammt ein Streichholz flüchtig, huschend auf,

beleuchtet funkelnd einer Geige Knauf,

und ein blonder Schopf, ein rosiges Gesicht,

das ist der Schwabenkünstler, der die Herzen bricht. (...)

 

Der Verband der Komponisten und Musikwissenschaftler Rumäniens und die Kirchenmusik

 

In der Nachkriegszeit fand aber nicht nur im westlichen Teil des Landes sondern auf dem ganzen Gebiet eine Säuberungswelle (Epurierung) statt. Musikalische Persönlichkeiten wie Mihail Jora wurde in einer Sitzung des rumänischen Komponistenverbandes als „Dekadent und Reaktionär“ bezeichnet, Matei Socor plädierte 1950 für einen neuen „...Parteigeist in der Musik“ nach sowjetischem Vorbild, im Jahre 1952 wollte man die „Fuge“ als verbotene musikalische Gattung einstufen und 1953 wurde die Musik als eine „riesige ideologische Tribüne“ des Arbeiter- und Bauernstaates bezeichnet. Musik hieß vor allem das Massenlied, das patriotische Lied, das Lied welches die „glorreiche Entwicklung unserer Vaterlandes unter der weisen Führung der Partei“ propagierte. Über Kirchenmusik oder Kirchenmusikgeschichte sprach man kein Wort mehr. Diese Musikgattung gehörte der ehemaligen veralterten und reaktionären bürgerlichen Gesellschaft an, in der „die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen“ vorherrschte. Mit der einsetzenden Kulturrevolution zum Beginn der siebziger Jahre wurde nur mehr von einer neuen, zeitgenössischen, sozialistischen also „fortschrittlichen“ Musik gesprochen. Damit verstand man einen Teil der Volksmusik, das patriotische Lied, dem Diktator Ceausescu gewidmete Kantaten, Symphonien und Opern, Leichtmusik und Auftragswerke für das mit riesigem Aufwand betriebene Landesfestival „Cantarea Romaniei“ („Preis Dir, Rumänien“).

 

Die Kirchenmusikpraxis

 

Die Kirchenmusik der Nachkriegszeit in Rumänien konnte nur durch die äußerst tief verwurzelte Tradition der Vorkriegszeit überleben. Hauptamtliche Kirchenmusiker gab es nur in wenigen Kirchen des Landes. Diese Stellen wurden stillschweigend geduldet. Die meisten kirchenmusikalischen Dienste wurden von Pensionären ausgeführt, Erneuerungen waren in vielen Fällen selbst von kirchlichen Behörden unerwünscht und in der Ausübung dieses Berufes wurden dem Betreffenden viele Stolpersteine in den Weg gelegt.

Schon durch die Missachtung sämtlicher kirchlichen Hauptfeste wie Ostern oder Weihnachten von staatlicher Seite aus, konnte man nur schwer die Kirchenmusik pflegen. Meist an diesen Festtagen und sonst auch an vielen Sonntagen, um die Menschen von der Kirche fern zu halten, musste man dem Beruf nachgehen, veranstalteten die lokalen Behörden Versammlungen, musste man zum patriotischen Arbeitsdienst oder mussten die Schüler an Pionierversammlungen teilnehmen. Intellektuellen war der Kirchenbesuch strengstens verboten. Die Kirche stand unter strengster Überwachung der berüchtigten rumänischen Staatssicherheit, der Securitate.

Die Veröffentlichung von neuen Gesangbüchern oder kirchenmusikalischen Werken war schon der Zensur wegen untersagt. Nur mit schwerer Mühe konnte man zum Beginn der siebziger Jahre ein evangelisches Gesangbuch in Hermannstadt drucken (selbst das Papier dafür wurde von Deutschland gespendet) und 1978 wurde das katholische Gesangbuch Gotteslob mit einem Anhang für Rumänien vom Kultusministerium zugelassen. Trotzdem sang man in den Kirchen auch weiterhin aus den alten Gesangbüchern und geschriebenen Liederheften die traditionell überlieferten Kirchengesänge.

Systematisch, gut ausgedacht und mit einer zynischen Phantesie versehen ist es den Machthabern nach 1947 gelungen die Kirchenmusiker wie auch Mitglieder der Chöre durch verschiedene Aktionen einzuschüchtern. Dazu zählen die vielen Schauprozesse gegen Priester, Bischöfe und Ordensleute. Viele Kantoren wurden im Januar 1945 in russische Arbeitslager verschleppt und fanden dort ihren Tod. Viktor Bickerich, Kantor der Schwarzen Kirche in Kronstadt wurde in das Arbeitslager von Targul-Jiu gebracht, Kantor Franz Xaver Dressler von der Hermannstädter evangelischen Kirche, musste am Donau-Schwarzmeer-Kanal als Arbeiter einige Zeit verbringen. Schwester Hildegardis Wulff, von den Temeswarer Lyoba-Schwestern, veröffentlichte noch in den letzten Monaten des Krieges eine Kantorenschule in deutscher Sprache. Auch sie gehörte zu jenen, die als „Spione für den Vatikan“ nach 1948 solche Schauprozesse und schwere Gefängnisjahre über sich ergehen lassen mussten.

Kirchenmusikalien, Chorfahnen und Instrumente wurden 1945 auf Dachböden versteckt um nicht in die Hände der sowjetischen Truppen zu gelangen. Kantor Paul Wittmann (1900-1985) versteckte 1945 das ganze Instrumentarium der Blasmusikkapelle der Temeswarer Millenniumskirche unter dem doppelten Fußboden der Orgelempore, von wo dieses erste 1981 geborgen werden konnte. Man hatte ganz einfach auf diese Instrumente in der Zwischenzeit vergessen. Viele Kirchenmusiker, die die Noten und Fahnen auf den Dachböden verstauten, kamen aus der Gefangenschaft nicht mehr zurück. Erst in der Zeit nach 1990 konnten viele dieser wichtigen Musikalien und Gegenstände teilweise geborgen werden.

Der Staat verlangte von allen Chorleitern 1948 eine genaue Liste der Sängerinnen und Sänger, die mit ihrem Namenszug ihre Bereitschaft zur Mitwirkung im Rahmen der Kirchenmusik erklären sollten. Diese wurden als „reaktionäre Elemente“ bezeichnet. Die Angst um Familie und die eigene Person ging um und viele Chöre mussten deshalb aufgelöst werden. Man hatte ganz einfach die Chortätigkeit eingestellt, bis dieser Terror vorübergeht. Dieser Terror dauerte aber 40 Jahre.

Mit der Zeit wurde die Kirche und der Kirchenchor ein Hort des stillen politischen Widerstandes. In den siebziger Jahren begannen selbst Jugendliche in diese Chöre einzutreten, dies durfte man aber in der Schule nicht wissen, ansonsten bestand die Gefahr aus der Pionierorganisation oder aus dem Verband der Jungkommunisten, mit den damit folgenden Konsequenzen, ausgestoßen zu werden. Die städtischen Kirchenchöre versuchten, trotz Unterdrückung, ihre Tätigkeit fortzuführen. So auch der Chor der Lugoscher Minoritenkirche. Man begann in der Weihnachtszeit und Passionszeit größere Werke aufzuführen, die an die überlieferten Traditionen der Vorkriegszeit anknüpften. Man organisierte ab 1972 mit den Chören wieder Wallfahrten nach Maria Radna, die offiziell als „touristische Reisen“ in das benachbarte Bad Lipova bezeichnet waren. Man trat in Gottesdiensten ländlicher Kirchen auf und feierte in den schützenden Mauern der Kirchen und Pfarrhäuser wieder die alten Feste. Dies alles mußte aber still und geheim stattfinden.

 

Kirchenkonzerte

 

Jedwelche Kirche auf dem Gebiet Rumäniens durfte nach 1948 ihre Tätigkeit nur im strengen Rahmen der Gottesdienste und Liturgien entfalten. Kirchenkonzerte waren praktisch verboten. Aus diesen Gründen hat man die Kirchenkonzerte im Rahmen von Gottesdiensten gehalten oder gleich anschließend nach diesen anberaumt. Ein würdiger Vertreter dieser Kirchenkonzerte war der in Bukarest tätige Banater Organist Josef Gerstenengst und der Violinist Josef Brandeisz. In der Zeitspanne 1975-1979 fanden in regelmäßigen Abständen in der Temeswarer Elisabethstädter Kirche Konzerte in der Reihe „Cantantibus organis“ statt. Das einzige von Hand gezeichnete Plakat durfte nur an die Kirchenpforte angebracht werden und die Programme wurden auf der Schreibmaschine vervielfältigt. Ankündigungen wie auch Konzertkritiken in Zeitungen waren selbstverständlich untersagt. Trotzdem: die Kirchen waren bis auf den letzten Stehplatz überfüllt.

Aus bestimmten Gründen wurden in nur wenigen Kirchen Rumäniens offiziell Kirchenkonzerte genehmigt. Dazu gehörte auch die Bukarester St. Josefskathedrale. Da hier regelmäßig Gottesdienste für die Familien der dort lebenden ausländischen westlichen Diplomaten stattfanden, wurde selbst von staatlicher Seite aus empfohlen, hier Kirchenkonzerte zu veranstalten. Ähnlich auch in der evangelischen Kirche Bukarests.

In Siebenbürgen durften allein in der Schwarzen Kirche fast täglich Orgelkonzerte veranstaltet werden. Da in dieser Region in den siebziger Jahren viele westliche Touristen verkehrten, die in den Karpaten Urlaub machten, wollte man damit die Freizügigkeit der sozialistischen Ideologie unter Beweis stellen. Außerdem erbrachten diese Konzerte dem Staat viele Valuten ein. In Kronstadt und Hermannstadt wurden von den dortigen Bachchören regelmäßig Passionen, Messen und Oratorien aufgeführt. Diese wurden von den Behörden stillschweigend geduldet. Um so härter war aber die Unterdrückung im westlichen Teil des Landes und in den katholischen Kirchen.

In Temeswar durfte erst im Jahre 1980 das erste offizielle Orgelkonzert veranstaltet werden, natürlich nicht von der Kirche sondern von der Staatsphilharmonie. Auf den Plakaten durfte das Wort „Kirche“ nicht gedruckt werden. Als Ort des Konzertes (Kirche) wurde angegeben: „Das Orgelkonzert findet statt im historischen Gebäude der Straße... Nr....“. Ein schwieriges Problem verbarg sich in der Gestaltung des Konzertprogramms. Die Titel der Choralvorspiele Bachs durften natürlich nicht gedruckt werden, somit musste man diese Orgelwerke als „Choral in E“ oder „Choralpartita in g“ bezeichnen. Noch schwieriger wurde es mit den Titeln der Orgelwerke von Olivier Messiaen. Anstatt „Dieu parmi nous“ wurde das Stück ganz einfach „Postludium für die Orgel“ bezeichnet. Das Wort „Meditation“ war auch nicht angebracht auf dem Plakat zu erscheinen, da die Parteiaktivisten und Ideologen dieses gerne mit „Transzendentalen Meditationen“ verwechselten. Als 1980 das erste offizielle Orgelkonzert in der Temeswarer Millenniumskirche stattfand besuchten über 2.000 Zuhörer dieses Konzert. Über 500 Zuhörer mussten das Konzert vor den Kirchenpforten verfolgen. Solche Konzerte durften aber nur jeweils ein einziges Mal im Jahr stattfinden und immer mit einer speziellen Genehmigung der Propagandasektion der lokalen Parteibehörden. Das große Interesse des meist jugendlichen Publikums war deshalb ein Dorn in den Augen der Parteiideologen.

Ein kleiner Teil der religiösen Musik wurde in die staatlichen Konzertsäle verlagert. Hier konnten die Staatsphilharmonien wenigstens die wichtigsten Werke religiöser Musik aufführen, wie die Missa solemnis Beethovens, das Mozart- und Verdi-Requiem, Bachs Weihnachtsoratorium u.s.w. Die Bach-Kantaten passten nicht all zu gut in das zensurierte Repertoire der Philharmonien. Wenn man von einer Bach-Kantate sprach, handelte es sich meist um die „Bauernkantate“. Aus den Lehrbüchern der damaligen Zeit konnte auch entnommen werden, dass Bach nur deshalb Kirchenmusik schrieb, weil er durch die Zahl seiner Kinder dazu genötigt war, dies zu tun. Man trachtete auch die jeweiligen Kirchenmusikwerke nicht in der Nähe eines kirchlichen Festes aufzuführen, dies wäre nicht genehmigt worden.

Die Uraufführungen der beiden großen Oratorien Paul Constantinescus, das Osteroratorium am 3. März 1946 und das Weihnachtsoratorium am 21. Dezember 1947, durch die Bukarester Philharmonie, waren die letzten Konzerte dieser Art in Rumänien, in welchen die religiöse Musik als eine solche betrachtet wurde. Aber in der Zeitspanne 1970-1989 gab es auch einen Sonderfall in dieser Musikszene Rumäniens: der Bukarester Madrigalchor unter der Leitung von Marin Constantin. Wegen der internationalen Präsenz dieses Klangkörpers, darunter auch im westlichen Ausland, war es diesem Chor gestattet selbst religiöse Musik zu singen. Durch das hohe künstlerische Niveau dieses Chores konnte somit ein Teil der rumänischen und ausländischen Kirchenmusik durch Tonträger verbreitet werden. Die gut besuchten Konzerte dieses Chores, der unvergleichliche Vortrag der rumänischen Colinde (Weihnachtslieder), wirkten wie Oasen in der Wüste der damaligen Kirchenmusik Rumäniens.

Zu einem wahrhaftigen Pilgerort wurde das Rumänische Athenäum in den Jahren 1975-1980, als der rumänische Musikwissenschaftler George Balan seine Konferenzen zu verschiedenen musikalische Themen hielt. Unter dem Deckmantel der „Musikosophie“ konnte ein wichtiger Teil religiöser Musik versteckt werden. Das Publikum dürstete nach geistlicher Musik und der große Saal war mit Jugendlichen überfüllt. Oft wurden als Klangbeispiele Orgelwerke von Bach vorgetragen, man hörte Teile aus den Oratorien Händels oder Bachs. Hunderte von Zuhörer lauschten im Halbdunkel dieses großen Saales den ästhetischen und philosophischen Auslegungen von George Balan zu, die Atmosphäre glich einem kirchlichen Gottesdienst. Diese Vorträge wurden aus diesen Gründen auch bald untersagt und George Balan flüchtete ins Ausland.

 

Die Musik in den Synagogen

 

Wie die christliche Kirchenmusik konnte auch die jüdische Synagogenmusik die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg nur schwer überstehen. Oberrabbi Dr. Ernst Neumann erklärte bei einer Stellungnahme während des internationalen musikwissenschaftlichen Kongresses in Temeswar (Mai 1998), dass der Antisemitismus im Banat wie auch in anderen Landesteilen Rumäniens bei einem Großteil der dortigen Bevölkerung keine große Unterstützung fand. Ganz anders war es in Nordsiebenbürgen, von wo während des Krieges tausende Juden verschleppt wurden.

Im Jahre 1949 konnten laut Verordnung nur solche Sängerinnen und Sänger in einem weltlichen Laienchor aufgenommen werden, die bestimmten Parteien angehörten, wie der Rumänischen Arbeiterpartei, der Ungarischen Volksgruppe oder der Jüdischen Gemeinschaft. Die deutsche Minderheit Rumäniens wurde in diesen Verordnungen überhaupt nicht berücksichtigt, die Wunden des Krieges und dessen Folgen waren noch offen.

Wenn noch Ende der dreißiger Jahre viele der jüdischen Chöre auf rumänischem Territorium eine reiche Aktivität aufweisen konnten, so verstummten diese in der Zeit nach dem Krieg. Durch die Auswanderung nach Israel oder nach Deutschland wurde die Chorarbeit der jüdischen Gemeinden gelähmt. Der Lugoscher Chor „Hazamir“ musste genau so seine Tätigkeit einstellen, wie die beiden Synagogenchöre in Temeswar, der Synagogenchor aus Karansebesch und Arad. Anstelle der geschulten jüdischen Kantoren wirkten nun zeitweise Organisten und Kantoren katholischer Pfarrkirchen, so Martin Metz in Lugosch und Franz Titz in Neuarad. Das religiöse Musikleben der jüdischen Gemeinde konnte sich genauso wenig erholen, wie auch die Musiktradition an den christlichen Kirchen.

Viele Archive jüdischer Chöre und Vereine sind heute in Rumänien noch vorhanden, diese blieben von der Beschlagnahmung verschont. Diese Musikdokumente wurden aber bisher nicht ausgewertet und auch nicht gesichert. Ein Großteil der Handschriften wurde als Altpapier verkauft oder verbrannt. Dies gilt für sämtliche Synagogen in allen Landesteilen Rumäniens. Heute gibt es nur noch in Jassy einen Synagogenchor und gelegentlich auch in Bukarest. Von den 12.000 jüdischen Gemeindemitglieder Temeswars des Jahres 1946 leben heute noch etwa 300 in dieser Stadt, von den etwa 20.000 Arads noch um die 200.

Mit dem Zerfall der Synagogen gingen auch viele historische Orgeln zugrunde. Trotzdem ist heute noch ein relativ großer Teil dieser Instrumente vorhanden. Die Orgel der Arader Synagoge gehört zu den wertvollsten historischen Instrumenten des Landes und wurde von Anton Dangl (Arad) im Jahre 1864 errichtet. Die Orgeln der Temeswarer Innenstädtischen Synagoge wie auch jene der Temeswarer Fabrikstadt stammen von Carl Leopold Wegenstein. Die Instrumente sind heute fast nicht mehr spielbar und bedürfen einer gründlichen Restaurierung.

 

Die orthodoxe Kirchenmusik der Nachkriegszeit

 

Wenn auch die Musik an den orthodoxen Kirchen Rumäniens durch die Ideologie der kommunistischen Machthaber nicht in dem hohen Maße beeinträchtigt wurde wie jene der katholischen oder evangelischen Gemeinden, so ging es auch hier rapide abwärts. Die zahlreichen Kirchenchöre konnten durch die große Zahl ihrer Mitglieder noch einige Zeit bestehen, nach einigen Jahren konnte aber eine Veralterung festgestellt werden, der Nachwuchs an neuen Sängerinnen, Sängern und Chorleiter fehlte. Die liturgische Musik beschränkte sich fast ausschließlich auf den Gesang älterer Männer an der „Strana“, dem Platz der Kantoren in der Nähe des Ikonostas und des Altars.

Obzwar die rumänische Volksmusik wie auch die Kunstmusik tief im christlichen Glauben verwurzelt ist, wurden viele der nach 1945 aufgeführten Werke einer strengen Zensur unterzogen. So manche Texte wurden verweltlicht. Selbst ehemalige Kirchenchöre konnten als weltliche Laienchöre weiterexistieren, wenn man von dem religiösen und kirchlichen Leben Abstand nahm.

Aus den Biographien namhafter rumänischer Komponisten wurden kirchliche Elemente herausgenommen, so auch bei Filaret Barbu, Ioan Vidu, Iacob Muresianu oder Emil Montia. Die Rolle der Kirche in der Musikkultur Rumäniens musste verschwiegen werden. Selbst in den Musiklyzeen und an den Hochschulen durfte über die Kirchenmusikgeschichte des Landes nicht unterrichtet werden. Diese Situation verschlimmerte sich besonders in der Zeit des totalitären Regimes der Ceausescu-Zeit.

 

Die Kirchenmusik in der rumänischen Musikwissenschaft

 

Die wissenschaftlichen Abhandlungen der Nachkriegszeit waren durchwegs von der sowjetischen Schule geprägt. In den ersten Veröffentlichen zur Musikgeschichte Rumäniens finden wir fast keine Beziehungen zur Kirchenmusik. Im Vordergrund standen die Volksmusik, weltliche Chormusik, die Instrumentalmusik (außer Orgel), die Oper und das Massenlied. Die Kirchenmusik wurde als ein Rest der ehemaligen bürgerlichen Gesellschaft betrachtet und wurde als reaktionär und veraltert angesehen. Sie gehörte praktisch zum kulturellen Freiwild der damaligen rumänischen Kulturlandschaft. Zu diesen Büchern zählt auch die Veröffentlichung Die Musik Rumäniens nach dem 23. August 1944 von Petre Brancus und Nicolae Calinoiu (Editura Muzicala, Bukarest 1964).

In den Veröffentlichungen dieser Art mussten Begriffe wie Kirchenmusik vermieden werden, man sprach über „Wintermusik“ statt über „Weihnachtsmusik“. Selbst in den Studien alter Sammlungen und Handschriften legte man Wert auf das weltliche Element und nicht auf das kirchliche. Zu diesen Veröffentlichungen zählt auch das Buch Beiträge zur Musikgeschichte Rumäniens (Editura Muzicala, Bukarest 1963) von Romeo Ghircoiasiu.

Das umfangreichste Werk rumänischer Musikgeschichte der Nachkriegszeit schuf Octavian Lazar Cosma durch seine mehrbändige Veröffentlichung Chronik der rumänischen Musikgeschichte (Editura Muzicala, Bukarest ab 1972). Obzwar man in jener Zeit Abhandlungen zur Kirchenmusik zensurierte, ist es Cosma gelungen wichtige kirchenmusikalische Ereignisse der rumänischen Musikgeschichte wenigstens zwischendurch festzuhalten. Auch über das kirchenmusikalische Erbe der nationalen Minderheiten des Landes kann der Leser bei einer Vertiefung des Textes viele Einzelheiten erfahren.

Trotz strengster Zensur konnte der Verband der Komponisten und Musikologen Rumäniens ab den achtziger Jahren einige wissenschaftliche Werke zur byzantinischen Kirchenmusik, wenn auch nur in einer limitierter Aufgabe, veröffentlichen. Zu diesen zählen folgende Publikationen: Studien zur byzantinischen Paleographie von Ioan D. Petrescu (1984), Das Evangelienbuch aus Jassy von Grigore Pantiru (1982), Das Anastasimatarion von Adriana Sirli (1986), Prolegomene Bizantine; die byzantinische Musik in alten Handschriften und rumänischen Drucke von einem der bedeutendsten rumänischen Byzantinologen Titus Moisescu (1985), Schriften und Notizen über die frühe rumänische Musik von Corneliu Buescu (1985) und Die byzantinische Musikkultur auf dem Gebiet Rumäniens im 18. und 19. Jahrhundert und ihr originaler Beitrag zur autochtonen Kultur von Sebastian Barbu-Bucur (1989). Sämtliche Bücher wurden vom Verlag „Editura Muzicala“ des rumänischen Komponistenverbandes veröffentlicht, der einzige zugelassene staatliche Musikverlag des Landes.

Der Sinn der Veröffentlichung dieser wissenschaftlichen Arbeiten war weniger zugunsten der Kirchenmusik gedacht, sondern mehr zur Förderung der aufgezwungenen Ideologie. Damit wollte man in erster Linie das Alter und die Vielfalt der Kulturen des „sozialistischen Vaterlandes“ beweisen. Ob diese wissenschaftlichen Abhandlungen der Kirchenmusik dienten bleibt dahingestellt.

Wenn Forschungen im Bereiche der byzantinischen Musik noch erlaubt und gefördert wurden, konnten wissenschaftliche Arbeiten zur Gregorianik nicht erscheinen. Die wertvollen und umfangreichen Bestände Banater und siebenbürgischer Kirchen- und Kathedralarchive wurden im Dunklen gehalten. Im Jahre 1986 konnte Elena Maria Sorban beim selben staatlichen Musikverlag eine Studie zum Kodex Vigiliale 1507 zweisprachig (rumänisch, deutsch) veröffentlichen.

Im Jahre 1987 veröffentlichte die Metropolie der rumänische-orthodoxen Diözese Temeswar das Buch von Vasile Varadean Wo das Lied zuhause ist. Beitrag zur Geschichte der rumänischen Musik im Banat. Darin wird vordergründig die Geschichte wichtiger rumänischer Chöre des Banats dargestellt, die ihren Ursprung in der Kirchenmusik hatten. In seinem Vorwort unterstreicht Mitropolit Nicolae Corneanu auch die Bedeutung der Kirchenmusik in der Entwicklung der rumänischen Kultur dieses Landes.

Der im Jahre 1979 von Mihai Popescu veröffentlichte erste Band der Reihe Das Repertoire der rumänischen Musikschöpfungen (Editura Muzicala, Bukarest) stellt ein wichtiges Kapitel in der Aufarbeitung des rumänischen Musikerbes dar. Der zweite Band erschien 1982, ein Supliment 1987. Diesem umfangreichen Katalog nach, der mit größter Sorgfalt zusammengestellt wurde, kann man in der Zeit nach 1945 fast kein einziges Kirchenmusikwerk entdecken. Man könnte fast behaupten, dass nach den beiden Oratorien Paul Constantinescus aus den Jahren 1946 und 1947 keine Kirchenmusik mehr geschrieben werden durfte.

Der größte Teil des kirchenmusikalischen Erbes Rumäniens ist noch unerforscht. Dazu gehören auch wichtige Musikdokumente mit direkten Beziehungen zu Mittel- und Westeuropa. Diese Dokumente konnten nur durch phantesievolle Rettungsaktionen seitens verschiedener Ordensleute von dem Zugriff durch die Hand des Staates gerettet werden. Noch vor dem Einmarsch der sowjetischen Truppen im August 1944 haben die Franziskaner der Klöster in Sumuleu Ciuc (ung. Csíksomlyó) in Siebenbürgen und Sathmar (rum. Satul Mare) ihre wertvollen Bibliotheken eingemauert um nicht beschlagnahmt zu werden. Die Wiegendrucke und Musikbücher der Franziskaner in Sathmar wurden erst vor kurzer Zeit wieder entdeckt. Auf diese Weise gelang u.a. die Rettung der handschriftlichen Musikdokumente des Franziskaners Ioannes Caioni.

Zur Orgellandschaft Rumäniens wurden in der Zeitspanne 1945-1989 nur wenige Arbeiten veröffentlicht wie z.B.: Viktor Bickerich Die Orgelmusik in unserem Land, erschienen in der Zeitschrift Muzica des rumänischen Komponistenverbandes (XII. Jg., Nr. 7, Juli 1962); Franz Xaver Dressler Siebenbürgische Barockorgeln, erschienen als mehrteilige Folge in der Zeischrift Karpatenrundschau Mitte der siebziger Jahre; Franz Metz Temeswarer Orgeln, eine mehrteilige Folge erschienen im Dezember 1983 in der Neuen Banater Zeitung. Anfang der achtziger Jahre wurde durch die Initiative des Hermannstädter Orgelbauer Hermann Binder ein Film über historische Orgeln Siebenbürgens gedreht. Trotzdem fanden die Orgellandschaften Rumäniens ein großes Interesse auch bei ausländischen Forschern. Der ungarische Benediktiner und Orgelhistoriker Dr. Szigeti Kilián unternahm in den Jahren 1978-1980 private Forschungen auch im Banat und veröffentlichte seine Recherchen im Buch Régi magyar orgonák (Budapest 1982).

 

... und trotzdem entstand Kirchenmusik

 

Trotz Verbot wurde in der Nachkriegszeit in Rumänien viel Kirchenmusik und religiöse Musik komponiert. Der Pianist Valentin Gheorghiu schrieb in den sechziger Jahren einen Orgelchoral, Tudor Ciortea sein Orgelstück Cantec de seara (Abendlied), dabei handelt es sich um das Orgelwerk Gebet, das aber Ciortea unter diesem Titel nicht aufführen durfte. Andreas Porfetye komponierte mehrere Messen und Orgelwerke. Sein Konzert für Orgel und großes Orchester wurde vom Bukarester Musikverlag veröffentlicht, seine Orgelphantasie erschien bei Bärenreiter in Deutschland. Liviu Glodeanu komponierte 1977 das Konzert für Orgel und 13 Blechbläser, in dessen letzten Takten das gregorianische Thema des Dies irae integriert ist. Der Komponist starb nach der Beendigung dieses Werkes. Richard Waldemar Orschanitzky (1939-1979) hinterließ viele religiöse Werke die bisher noch nie aufgeführt werden konnten, so einige Messen, Choräle und religiöse Gesänge nach eigenem Text. Auch Sigismund Todutza schrieb Kirchenmusik und eine große Orgelsymphonie zum 300. Geburtstag von Johann Sebastina Bach. Zu den Komponisten, die sich der Kirchenmusik widmeten, zählten auch Franz Xaver Dressler, Hans Weisz, Sabin Dragoi, Hans Peter Türk, Gheorghe Firca und Serban Nechifor, um nur einige Namen zu nennen. All diese Werke blieben aber bis heute fast gänzlich unveröffentlicht und unbekannt. Fast sämtliche Orgelwerke rumänischer Komponisten werden nur aus Abschriften einstudiert und gespielt.

 

Die Kirchenmusik Rumäniens in der posttotalitären Zeit

 

Wie in den meisten Ländern des ehemaligen Ostblocks, tut man sich auch im Bereich der Kirchenmusik heute schwer. Es ist ein großer Nachholbedarf in der Erforschung der Kirchenmusiktraditionen und Kirchenmusikgeschichte dieses Landes festzustellen, dieses Vorhaben kann aber mangels finanzieller Not kaum durchgeführt werden. Die kirchlichen wie auch die staatlichen Institutionen, die sich diesem Bereich der Kultur Rumäniens annehmen sollten, kämpfen mit existenziellen Problemen, die Kirchenmusik wird noch als eine spezielle Gattung der Musik behandelt. Obzwar in den letzten Jahren nach der Wende einige kirchenmusikalische Einrichtungen ins Leben gerufen wurden, kann von einer kontinuierlichen kirchenmusikalischen Arbeit keine Rede sein. Besonders sei dies im Banat und in Siebenbürgen spürbar. Durch die Auswanderung des größten Teils der deutschen Bevölkerung entstand ein Vakuum, das nicht aufzufüllen ist. Es fehlt sowohl im materiellen wie auch im wissenschaftlichen Bereich und an nötiger Kompetenz. Wertvolle historische Orgeln zerfallen, werden ausgelagert, Musiksammlungen gehen zugrunde. Bisher konnten mit ausländischer finanzieller Hilfe einige wichtige Projekte durchgeführt werden, dies ist aber nur ein Tropfen auf einem heißen Stein.

Wenn bis 1989 im ganzen Land nur eine einzige Orgelklasse an der Bukarester Musikhochschule erlaubt war, so wurden danach in sämtlichen Musikakademien und Musikfakultäten solche Studienfächer eingerichtet. In einigen Musikakademien gibt es auch Studiengänge für byzantinische und gregorianische Musik. Sämtliche Mitropolien der rumänisch-orthodoxen Kirche haben eigene Ausbildungszentren für angehende Kirchenmusiker. Die Kantoren der evangelischen Kirche werden in Hermannstadt (Sibiu) und Klausenburg (Cluj) ausgebildet, die katholischen Kantorenschulen befinden sich in Alba Julia und Jassy, jene der griechisch-katholischen Kirche in Blaj, der reformierten Kirche in Targu-Mures (Neumarkt), Großwardein (Oradea) und Klausenburg.

Bereits in der Zeit des Sozialismus konnten sich in Rumänien viele neoprotestantische Glaubensgemeinschaften bilden, in deren Reihen die religiöse Musik intensiv gepflegt wird. Deren Chöre weisen ein hohes musikalisches Niveau auf und gehören bereits als fester Bestandteil zur Musikkultur des Landes. Jährlich findet im Monat Dezember in den meisten größeren Städten des Landes das Festival für geistliche Musik statt, das auf zentraler Ebene vom rumänischen Kulturministerium gefördert wird. Im Monat Mai 1998 fand in Temeswar der erste internationale musikwissenschaftliche Kongress zum Thema Die Kirchenmusik in Südosteuropa statt. In regelmäßigen Abständen wird in derselben Stadt auch die Internationale Temeswarer Orgelwoche veranstaltet.

 

 

Die fast fünfzigjährige ideologische Dunkelheit in der sich das Land befand, hat auch im Bereich der Kirchenmusik tiefe unheilbare Spuren hinterlassen. Trotzdem wird die Kirchenmusik heute, wie auch früher, von den Menschen dieses Landes geschätzt und geachtet, was man am großen Interesse an kirchenmusikalischen Ereignissen immer wieder erleben kann. Zur bunten Vielfalt der zahlreichen Kulturen dieses Landes, welche seit Jahrhunderten meist friedlich nebeneinander bestehen, zählt auch die Kirchenmusik und religiöse Musik. Auf dem Gebiet des Banats, im westlichen Landesteil, singt man das Lob Gottes in 12 Sprachen: rumänisch, ungarisch, deutsch, serbisch, bulgarisch, tschechisch, slowakisch, kroatisch, hebräisch, ukrainisch, rromanisch und schokatzisch. Die Kirchenmusik Rumäniens konnte auch nach einem halben Jahrhundert von Unterdrückung und Totalitarismus - fast wie ein Wunder - aus dieser Dunkelheit erstehen. Ein wichtiger Teil europäischer Musiktradition kann dadurch wieder gepflegt und erforscht werden.

 

 

Internationales musikwissenschaftliches Symposium

Chemnitz, 28.-30. Oktober 1999

Musikgeschichte zwischen Ost - und Westeuropa:

Kirchenmusik - geistliche Musik - religiöse Musik

 

 

Copyright © Dr. Franz Metz, München 2007

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