BuiltWithNOF
EDITION MUSIK SÜDOST

Musik und Politik entlang der Donau -

Die Musikgeschichten einer bunten europäischen Region

von Dr. Franz Metz

 

1. Einführung

 

Kulturpolitik, kulturelle Identität, multikulturell, Multiethnie, und nicht weniger Euroregio, sind Begriffe, welche immer mehr in fast allen Medien vieler Bereiche besprochen und debattiert werden. Es besteht die Gefahr, dass diese zu rhetorischen Floskeln, nicht nur durch Politiker, ausarten, wie es mit anderen gut meinenden zukunftsweisenden gesamteuropäischen Begriffen z. Z. der Fall ist. Insbesondere in den letzten Jahren, nicht nur durch die historische Wende des Jahres 1989, sondern auch durch die veränderten politischen Verhältnisse in Südosteuropa oder durch die Suche nach neuer Identität und kulturpolitischen Strukturen eines zukünftigen Europa, erhält das Wort Kulturpolitik  eine immer wichtigere politische Bedeutung. Soll dabei der Politik oder der Kultur der Vorrang zukommen?

Wenn in der Literatur oder in der bildenden Kunst ein politischer Hintergedanke meist leichter zu erkenn ist, so bedarf es im Bereich der Musikgeschichte so mancher Nachforschungen und Kenntnissen um sich ein etwas allgemeineres Bild einer Musiklandschaft zu machen.

Betrachtet man die historischen Musiklandschaften Europas, so kann man die meisten unterschiedlichen Entwicklungen und Eigenheiten entlang der unteren Donau bis in den Südosten Europas erkennen. Diese so bunte und interessante Kulturregion erhielt diese Eigenschaften bereits viele Jahrhunderte vor der Instauration der Habsburger oder gar der türkischen Herrschaft. Die Porta Orientalis war schon gegen Ende des ersten Millenniums zu einer Grenzregion der beiden politischen Interessensphären, sowohl des Ostens wie auch Mitteleuropas, geworden. Hier sehen viele Historiker die Grenze des Abendlandes und der Beginn der östlichen Kultur, hier ist das Große Schisma mit seinen Folgen bereits viele Jahre vor dem Urteil gespürt worden, hier haben die europäischen Herrscher im 18. Jh. eine lebendige Mauer gegen die Bedrohungen durch die Osmanen errichtet, hier scheideten sich die Geister durch viele Schlachten, Friedensverträge oder Militärblöcke bis in die jüngste Zeit.

Teile des Gebietes zwischen dem Ofener Bergland und dem Eisernen Tor, die Pannonische Tiefebene wie auch der Karpatenbecken wurden im Laufe der Geschichte von vielen Völkern und Imperien in Anspruch genommen. Durch die nationale Geschichtsschreibung sowohl des 19. wie auch des 20. Jh. wurde die Musikgeschichte dementsprechend geschrieben und interpretiert. Dieser Zustand ist noch (mancherorts meist) in den Jahren 1945-1989 durch die kommunistische Ideologie der damaligen Machthabern zugespitzt worden.

Aus heutiger Sicht kann eine regionale Geschichtsschreibung, ohne das Verletzen der kulturellen Hoheit eines bestimmten Nationalstaates, für den Südosten Europas, eine unermessliche Bereicherung sein und dadurch ihren Stellenwert in der europäischen Kulturgeschichte erweitern. Auf keinem Gebiet Europas leben seit Jahrhunderten so viele Nationalitäten, Religionen und Konfessionen nebeneinander. Und trotzdem kann man bezüglich der südosteuropäischen Region nicht von einem Schmelztiegel der Nationen sprechen, wie es allzu oft betont wird. Trotz der Vielfalt der Sprachen, Konfessionen, eigenen historischen Voraussetzungen und deren politischen Interpretationen, ist nach näherer Untersuchung eine strenge innere Ordnung zu beobachten.

 

2. Von dem Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert

 

Der im Jahre 1083 heilig gesprochene erste Bischof des Banats (der damaligen Csanader Diözese), Gerhard von Sagredo (ung. Szent Gellért), belehrt in seinen regierungsweiseneden Admonitiones (Ein Teil des Corpus Juris Hungarici ), den Prinzen Emmerich, die "Gäste liebreich zu empfangen, denn ein einsprachiges Land mit ein und denselben Sitten ist schwach und gebrechlich" .Die Legena major über das Leben des Heiligen Gerhard berichtet über das Lied, das eine Magd während der Arbeit gesungen hat, worauf Magister Walther sagt, es sei nur eine "Symphonia hungagorum".  Dieser Satz wurde schon allen möglichen Interpretationen ausgesetzt und daraus wurden viele gegensätzliche Schlussfolgerungen gezogen, wie z. B., dass der Text des Liedes vermutlich lateinischen Ursprungs war, also handele es sich nicht um eine ungarische Magd. Diese Anschauungen wurzeln in der osteuropäischen Kirchengeschichte, wonach Bischof Gerhard angeblich die griechischen Mönche aus ihrem Kloster in Morisena vertrieben haben soll. Sowohl die ungarische als auch die rumänische Geschichtsschreibung wäre anders ausgefallen, wenn man diese historischen Tatsachen mehr regional und nicht nur national untersucht hätte.

Die Ansiedlung von deutschen Kolonisten im 12. Jahrhundert in den damals ungarischen Karpatenbogen, brachte tiefgreifende Veränderungen auch für die spätere Kulturlandschaft Siebenbürgens mit sich. Zum ersten Mal wurde damit ein Teil deutscher Kulturtradition in diese Region verpflanzt, die auch heute noch, nach fast 800 Jahren fortgeführt wird.

Über wahre politische Ereignisse berichten die ungarischen Historiengesänge, so die Cronica des Tinódi Sebestyén (+ 1556), jene von Heltai Gáspár oder die von Christoph Demantius veröffentlichten Ungarische Heerdrummeln und Feldgeschrey, neben andern auch Ungarischen Schlachten und Victorien-Lieder.

Wie selbst wertvolle Kirchenmusik des 17. Jahrhunderts wahre politische Turbulenzen noch im 20. Jh. hervorrufen kann, das beweist die Geschichte des Franziskanerpaters aus Siebenbürgen, Joannes Caioni. So konnte nur mit schwerer Mühe vor einigen Jahren im Rahmen eines gemeinsamen Projektes zwischen der Musikabteilung der Ungarischen Akademie und dem Rumänischen Komponistenverband der Codex Caioni veröffentlicht werden. Von dem Jahre 1944 an, war der Codex Caioni 50 Jahre lang verschollen, in einer Zeit in der viele kirchliche Bibliotheken und Kirchenarchive dieses Landes von den Kommunisten geplündert oder vernichtet wurden, man denke z.B. an die wertvollen bischöflichen Bibliotheken oder Musikarchive. Ganz zu schweigen von den irreführenden Interpretationen solcher historischen Schätze in der Zeit der kommunistischen Diktatur. Wie ein Wunder konnte die wertvolle Sammlung des Csiksomlyóer Franziskanerklosters mit kirchlichen und weltlichen Werken der gesamten europäischen Musikliteratur gerettet werden, eingemauert in einer Doppelwand. Manche Historiker überwerten die Nationalität dieses Mönches, der rumänischer Abstammung ist (Ioan Cãianu), ohne zu wissen, dass dies für einen damaligen Mönch von keiner größeren Bedeutung war.

Die Musikgeschichtsschreibung Siebenbürgens würde eine viel größere Bedeutung gewinnen, wenn die verschiedensten Kapitel der siebenbürgisch-ungarischen, siebenbürgisch-sächsischen und siebenbürgisch-rumänischen Musikgeschichte auch simultan untersucht würden. In diesem Bereich müsste aber nicht nur eine interethnische sondern auch eine interkonfessionelle Forschung betrieben werden, also sowohl der evangelischen als auch der nach der Reformation weiterbestehenden katholischen, griechisch-katholischen und griechisch-orthodoxen Kirche.

Die im Südosten bestehende Musiklandschaft hatte durch die aus den damaligen süddeutschen Reichsgebieten nach 1718 eingewanderten Schwaben wieder neue Strukturen erhalten. Die Zeit von 1526, der Schlacht von Mohács bis zur Wiedereroberung des von den Türken besetzten Temeswars durch die österreichischen Heere im Jahre 1716, gilt auch heute noch als ein weißer Fleck auf der Karte der europäischen Musiklandschaften und wurde von Historikern bisher kaum berücksichtigt. Die theresianischen Schulgesetze führten zu einer Aufwertung der Musik in all ihren Zweigen und ein großer Teil der Wiener Musikpraxis wurde in das Banater oder in donauschwäbische Kirchen verpflanzt. Es kamen in diese Gegend Komponisten, Domkapellmeister, Instrumentenbauer und Pädagogen aus Österreich und aus dem Kronland Böhmen, was auch eine Fluktuation an Musikalien und neue musikorganisatorischen Kriterien mit sich brachte. So konnten hier bereits im 18. Jahrhundert Liedblätter, Gesangbücher und andere Noten veröffentlicht werden.

Bereits Ende des 18. Jahrhunderts gab es im historischen Banat rumänische, deutsche, ungarische, bulgarische, tschechische und serbische Dorfgemeinschaften und Städte. Es wurden die ersten Synagogen errichtet und Temeswar wurde, wie auch Fünfkirchen / Pécs zur königlichen Freistadt erhoben.

 

19. Jahrhundert

 

Nur knapp zwei Jahre vor dem Ausbruch der 1848er Revolution unternahm Franz Liszt seine letzte Konzertreise, diese führte ihn von Pécs über Temeswar, Arad, Lugosch, Klausenburg, Hermannstadt, Kronstadt, Bukarest und Jassy bis nach Russland. Bekanntlich war Liszt kein Freund der Habsburger und ließ dies auch in seinem Repertoire verspüren. Auf dieser seiner letzten Konzertreise wurde er von Baron Guido Karácsonyi, Teleki Sándor und Bethlen Gábor begleitet. Nach dem erfolgreichen Konzert in Hermannstadt wollte das Publikum noch eine weitere Zugabe hören und die Zuhörerschaft schrie entweder nach dem Rákoczy-Marsch oder dem Erlkönig. Liszt spielte den Rákoczy-Marsch und jene die das zweite Stück verlangten, protestierten mit Pfeifen und Lärm. Daraus ist ersichtlich, daß auch hier bereits das Lager in die Seite der Befürworter und anderseits, in das der Gegner der Revolution geteilt war.

Ein in Vergessenheit geratenes Musikarchiv konnte 1980 unverhofft wiederentdeckt werden: es ist das Archiv des Temeswarer Philharmonischen Vereins, gegründet 1871. Der älteste Teil dieser Dokumentation und Bibliothek stammt noch aus dem Inventar der 1845 in Temeswar gegründeten Liedertafel. 1948 musste dieser Verein seine Aktivität laut Verordnung der rumänischen Behörden einstellen, wurde rechtlich aber nicht aufgelöst. Dies geschah im Zuge der Nationalisierung und Verstaatlichung sämtlicher Institutionen der damals gegründeten Republik, so mussten auch die konfessionellen Schulen ihre Tätigkeit einstellen. Der fast gänzlich erhaltene Bestand des Philharmonischen Vereinsarchivs musste aus einer solchen Schule, in der das ganze Material untergebracht war, binnen einiger Stunden an einen sicheren Ort gebracht werden. Und so beschloss der damalige Vorsitzende des Philharmonischen Vereins, Abtpfarrer Karl Géza Rech die ganze Bibliothek in seiner Fabrikstädter Millenniumskirche unterzubringen. Durch die politischen Geschehnisse in jenen Jahren - Deportation in rumänische und sowjetische Arbeitslager, staatliche Restriktionen gegen die Kirche - ist dieses bedeutende Archiv in Vergessenheit geraten. Zum Glück! Denn so wurde das aus deutschen und ungarischen Dokumenten bestehende Musikarchiv bis 1981 nicht beschlagnahmt oder vernichtet.

Wenn die mitteleuropäische Chorbewegung bereits am Anfang des 19. Jahrhunderts durch die Gründung von Liedertafeln initiiert wurde, konnte im südosteuropäischen Raum dies erst nach den revolutionären Ereignissen der Jahre 1848-49 geschehen. Erst die neuen politischen Voraussetzungen nach dem Jahre 1849 ließen die Gründung von Gesangvereinen nach mitteleuropäischem Muster zu. Eine Vorreiterrolle in diesem Sinne spielte die Chorbewegung in Deutschland und später Österreich, von wo die organisatorische Struktur übernommen wurde. Nach 1849 wuchsen Gesangvereine wie Pilze aus dem Boden, in jedem Banater Dorf, in Siebenbürgen sowie im damaligen restlichen Ungarn wurde ein Gesangverein ins Leben gerufen, in den Städten wie Temeswar, Szeged, Fünfkirchen, Klausenburg, Hermannstadt, Kronstadt oder Bukarest gab es gleich mehrere. Auch durch die Presse wurde zur Gründung von Gesangvereinen aufgerufen und es wurden Beiträge namhafter Musiker zu diesem Thema gebracht. In einem Feuilleton brachte die Temesvarer Zeitung 1858 einen Artikel aus der Urania über die Bildung von Gesangvereinen, geschrieben von J. G. Lehmann:

Während man sich in gegenwärtiger Zeit bei der Instrumental- und Claviermusik in vielen Beziehungen zu manchen Übertreibungen hinreißen läßt, erblicken wir bei dem Gesange, im Ganzen genommen, erfreulichere Erscheinungen. Wir sehen, wie sich Jünglinge und Männer zusammenscharen, um der heiligen Cäcilia zu dienen; wie sie ihre Opfer bald in dem gottgeweihten Hause, bald im Tempel der Natur darbringen, und hier nicht Zeit, Geld und Mühe scheuen, um in vereinter Kraft das alltägliche Leben zu verschönern und das Religiöse fördern zu helfen. Diesen Ereignissen muß man, so lange sie auf festem Boden stehen, alle Gerechtigkeit widerfahren lassen, und ich würde meine innerste Überzeugung verleugnen, wollte ich nicht diese, bei unserem Volke so recht eigentlich aus eigenem Antriebe hervorgegangenen Verbindungen und die daraus entstandenen großartigen Gesang- und Volksfeste auf das freudigste begrüßen; denn ich erblicke hierin einen mächtigen Hebel, das Volk zu bilden, dessen Geschmack zu verfeinern, das Gefühl zu veredeln und so die unreinen Volkslieder zu verdrängen; die Liebe zu Gott, Kaiser und Vaterland zu erwecken und zu befestigen und wohlthuende, unschuldige, gesellige Freude zu erzielen:

„Es singt das fernste, tiefe Thal,

Das Singen will nicht enden!“ (Uhland)

 

Die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts war die Zeit der politischen Lockerung und das kaiserliche Ministerium konnte gegen diese Entwicklung nichts mehr unternehmen. So kam es bereits einige Wochen nach der Revolution von 1848-49 zur Gründung von ungarischen, rumänischen, serbischen und natürlich auch deutschen Vereinen in Siebenbürgen, Banat und im restlichen Ungarn. Nach dem Ausgleich (1864) musste aber die königliche ungarische Regierung feststellen, dass die Idee eines einheitlichen Ungarntums durch die verschiedenen nationalen Männergesangvereine Südungarns ins Schwanken geraten könnte. Auslöser dafür war der Temeswarer Philharmonische Verein. Diesem wurde vorgeworfen in nicht genügendem Maße das ungarische Volkslied zu pflegen, was durch die multikulturelle Struktur dieser Stadt bedingt war.

Zu großen Protesten kam es in Temeswar 1886, als man durch einen tendenziösen Zeitungsartikel dem Philharmonischen Verein Untreue zum ungarischen Vaterland vorwerfen wollte:

 

Zur Abwehr und Richtigstellung

„Délmagyarország Lapok“ bringen in der Nr. 61 vom 16. d. M., anlässlich der Beendigung der ungarischen Theater-Saison, einen Artikel, in welchem über das langsame Fortschreiten der Magyarisirung Temesvar´s Klage geführt, und neben verschiedenen Factoren, welche hieran Schuld tragen sollen, direct und indirect auch der „Philharmonische Verein“ genannt wird.

Es wird in dem Artikel unter Anderem vorwurfsweise erwähnt, daß die amtliche und die Umgangssprache der geselligen Vereine in Temesvar die deutsche sei. Es wird weiter behauptet, daß der Philharmonische Verein“ mit seinen veranstalteten Vereinsunterhaltungen, daß das Officierscasino mit seinen glänzenden Soiréen zur Aufrechterhaltung und Verbreitung des deutschen Wortes, der deutschen Sprache in Temesvar in einem einzigen Jahre mehr beitragen, als die ganzen ungarischen Staatsschulen und die kaum (?) ungarischen (alig-alig-magyar) Communalschulen in zehn Jahren im Interesse der Magyarisirung zu wirken im Stande sind.

Auch wird erwähnt, daß neben den fremdländischen Künstlern und Werken (und hier ist für den Begriff „Künstler“ nicht das entsprechende ungarische Wort „müvész“, sondern ein höhnender oder geringschätzender Ausdruck „künstlererk“ gebraucht), dasjenige, was Temesvar an ungarischer Literatur und Kunst consumirt, zwerghaft gering erscheint. [...]

Sowohl der Ton, als der Inhalt der vorstehenden Belegstellen veranlassen die Vereinsleitung des Philharmonischen Vereins zur Wahrung der Reputation desselben und im Interesse der Wahrheit nachstehendes zu veröffentlichen:

Die amtliche Sprache des Philharmonischen Vereins, die Sprache, in welcher die Protocolle und Correspondenz mit ungarländischen Corporationen und Behörden geführt werden, ist die ungarische. Auf die Umgangssprache der Mitglieder untereinander, zu denen Angehörige aller in Temesvar wohnenden Nationalitäten zählen, kann der Verein als solcher, selbstverständlich keinen bestimmenden Einfluß nehmen, sowie es auch in Ungarn keinen nüchtern und besonnen denkenden Patrioten geben wird, welcher aus dem geselligen Verkehr der polyglotten Bewohner dieses Landes, jede andere, als die ungarische Sprache wird verpönen wollen.

Der Philharmonische Verein cultivirt die ungarische Sprache, soviel in seinen Kräften steht, auch im Lied, und bringt bei jeder seiner öffentlichen Productionen und auch im internen Kreise des Vereinslebens ungarische Originalchöre zum Vortrag.

In seinem Archiv besitzt der Verein alle Producte ungarischer Musikliteratur, welche den Männergesang oder gemischten Chor zum Gegenstand haben und verabsäumt keine Gelegenheit und scheut keine Kosten, um sein Archiv in dieser Richtung stets zu ergänzen und mit Neuem zu bereichern.

Leider ist die Production der ungarischen Musikliteratur in diesem Fache eine kaum genügende und fehlt namentlich das erheiternde Genre so zu sagen gänzlich. Es ist dahr nur natürlich, daß die Productionen dieses Genres zu dem Literaturschatz anderer Nationen Zuflucht genommen werden muß. [...]

Und doch wären eben diese Herren berufen gewesen, wie es auch der Zweck ihres Eintrittes war, zur Verallgemeinderung der Kenntnis der ungarischen Sprache unter den Vereinsmitgliedern sehr erheblich beizutragen und kann den Verein deshalb, daß die ungarische Sprache im Verein heute noch nicht die ausschließlich herrschende oder allein gebräuchliche ist, sicher kein Vorwurf treffen. Ultra posse, nemo tenetur.

Der Philharmonische Verein trachtet nicht nur mit seinen Productionen im Rahmen des eigenen Vereinslebens der ungarischen Sprache den schuldigen Tribut zu zollen, sondern ist auch stets bereit gewesen, wie er es auch oft und oft bewiesen hat, durch corporative Mitwirkung die Interessen solcher hiesigen Vereine zu unterstützen, welche sich die Förderung speziell ungarisch cultureller Zwecke zur Aufgabe gestellt haben, wie dies die Programme der Productionen des „magyar nyelv terjesztö egylet“, des „magyar szinügygyámolitó egylet“, u.s.w. unzweideutig dartun.

Abgesehen aber hievon, war der Philharmonische Verein seit seinem Bestande und stets mit in erster Reihe dabei, wo es sich in Temesvar um Förderung irgend eines patriotischen Zweckes gehandelt hat.

Daß man aber trotz alle und alledem dem Philharmonischen Verein germanisirende Tendenzen und Mangel an Liebe zur ungarischen Sprache vorwirft, daß man dem Verein den Vorwurf macht, er sei mit Schuld daran, daß die Verbreitung und Verallgemeinerung der ungarischen Sprache in Temesvar keinen rascheren (rohamosan) Fortschritt nimmt, ist ungerecht und unwürdig und weist der Verein diese Anschuldigung hiemit ein für allemal und mit Indignation zurück.

Mögen doch jene Herren, welche die Verbreitung der ungarischen Sprache in Temesvar das Wort zu führen sich berufen glauben, endlich einmal zur Einsicht gelangen, daß durch solche Artikel wie der, welcher der Gegenstand dieser Abwehr bildet, der von ihnen in bester Absicht, aber sicher möglichst schlecht vertretenen Sache ein übler Dienst erwiesen wird. Durch freundliche Anerkennung redlichen, wenn auch nicht alle Wünsche erfüllenden Bestrebens, durch wohlwollende Aufmunterung, ehrlichen Wollens bei Denjenigen, welche sich die ungarische Sprache anzueignen bemüht sind, wird der Verbreitung der ungarischen Sprache unter den anderssprachigen Bewohnern dieser Stadt mehr Vorschub geleistet werden, als durch unaufhörliche Verdächtigungen und Denunciationen, welche, weil unverdient, nur Entrüstung, sowie Abneigung gegen eine mit so bösen Mitteln befürwortete, an und für sich aber gute und edle Sache, zu erzeugen im Stande sind. (...)

Die vorstehende Veröffentlichung ist länger ausgefallen als wir gedacht. Aber es möge das Lesepublicum dies entschuldigen. Endlich ist auch uns der Geduldsfaden gerissen und endlich einmal mußten wir doch auch unsere Meinung sagen, was wir über die unaufhörlichen Angriffe und speciell über den Eingangs citirten Artikel der „Délmagy. Lapok“ denken und empfinden. Möge das Publikum unparteiischer Richter sein zwischen uns, die se seit Jahren kennt und em uns unbekannten Artikelschreiber der „Délmagy. Lapok“, der wie es scheint, weder die hiesigen Verhältnisse, noch die hochernste und patriotische Mission kennt, welche ein ungarisches Blatt in Temesvar zu erfüllen hat.

Möge aber auch das edel und billig denkende ungarische Publicum Temesvars solchen unverdindten Verunglimpfungen eines Vereins entgegentreten, der, einen wichtigen Factor unserer Stadt bildend, redlich und vom besten Willen beseelt, auch seine patriotischen Pflichten gegenüber der ungarischen Staatsidee und der ungarischen Staatssprache zu erfüllen niemals unterlassen hat.

Temesvar, am 17. März 1886

Die Vereinsleitung des Philharmonischen Vereins

 

Bei den Ungarischen Landessängerfesten 1898 in Arad und 1903 in Temeswar konnte man das Ergebnis der kulturpolitischen Interventionen bereits Beobachten: auf dem Programm standen ausschließlich Werke ungarischer Komponisten.

Aber auch diese Zeit, 1880-1900, hatte auf musikalischem Gebiet einen Gewinn erzielt: durch die vielen Auftragkompositionen, Gründungen von Musikschulen, städtischen Sinfonieorchestern und Chören, wurde die ungarische Musikliteratur um einen wesentlichen Bestand bereichert. Es war die Zeit der Millenniumsfeier der ungarischen Landnahme (1896) und selbst die Investitionen für die Entwicklung der ungarischen Musik waren sehenswert. In kürzester Zeit entstand ein breites ungarisches Chormusikrepertoire, entsprungen meist aus der national-patriotische Gesinnung der damaligen Zeit. Dies war aber nicht nur ein ungarisches Merkmal: wir können dies auch bei rumänischen, serbischen, slowakischen und mitteleuropäischen Kulturen beobachten. In der Zeit in der man in Deutschland Hymnen an den "deutschen Rhein" und für Kaiser, Volk und Vaterland sang, entstanden in Ungarn die Werke von Erkel Ferenc, Karl Huber, Palotásy, Ernö Lányi, Karl Thern, Franz Rieger, Zichy Géza, Bogisich, Kárrász, Peter König-Király, Révfy Géza, Aggházy und nicht zu letzt jene Franz Liszts auf Texte ungarischer Heldenepen und Legenden. Die rumänischen Gesangvereine in Lugosch, Karansebesch, Hermannstadt, Turnu Severin, Craiova, Bukarest und Iassy, um nur einige zu nennen, bereicherten ihr Repertoire mit den neuen Schöpfungen von Iacob Muresianu, Ioan Vidu, Hampel, Alexander Flechtenmacher, Eduard Wachmann, Ciprian Porumbescu oder Gheorghe Dima. Der Temeswarer Philharmonische Verein hatte Beziehungen zu über 100 Chören Österreich-Ungarns, Deutschlands, Frankreichs, Finnlands und den Vereinigten Staaten von Amerika. Dem Verein gehörten Sängerinnen und Sänger sämtlicher in Temeswar lebenden Nationalitäten an: Deutsche, Ungarn, Rumänen, Serben, Juden, Böhmen u.a. Dementsprechend sah auch das Repertoire aus: 3.064 Opuse deutscher, ungarischer, rumänischer, serbischer und jüdischer Komponisten. Selbst in den manchen Liedertafeln folgenden Tanzabenden versuchte man es jedem Recht zu machen und deshalb enthielten die Tanzkärtchen außer den modischen Tänzen auch Walzer, Csárdás, Ardeleana und Kolo.

Wir finden in der Zeit 1850-1900 in der ungarischen Musikgeschichte viele Beispiele von Komponisten die ihren deutschen Namen magyarisierten, so z.B. Karl Huber in Hubay Károly, Michael Brandt in Mosonyi Mihály, Peter König in Király Péter, Ernst Längsfeld in Lányi Ernö, Ackermann in Arató, u.v.a. Es gab dafür zwei Gründe: entweder taten sei dies freiwillig um ihr nationales Gefühl kundzutun, oder sie konnten mit einem ungarischen Namen schneller in der Gesellschaft Anerkennung finden. Betrachtet man selbst das Repertoire bedeutender deutscher Komponisten jener Zeit, wie z.B. Konrad Paul Wusching in Lugosch oder Hermann Kirchner in Siebenbürgen, so kann man feststellen, daß viele deren Werke für ungarische Männerchöre geschrieben wurden und auch von dem ungarischen Volkslied inspiriert sind.

Von den im Banat im 19. Jh. gedruckten Liederbücher ist das Banater Liederbuch von Treufest Peregrin aus heutiger Sicht das interessanteste. Die erste Auflage erschien um 1858, das uns vorliegende Exemplar stammt aus dem Jahre 1863. Es enthält Lieder in 7 Sprachen, also in fast all jenen die im Banat gesprochen wurden: deutsch, ungarisch, serbisch, rumänisch, kroatisch, slavonisch und böhmisch. Im Vorwort dieser Sammlung, das an Aktualität auch nach 150 Jahren nichts eingebüßt hat, schreibt der Herausgeber wie folgt:

 

"(...) Vielleicht giebt es keinen zweiten Punkt in der Welt, wo auf einem gleichen Raume so viele Sprachen und Mundarten neben und unter einander gleichberechtigt Geltung haben, als dies im Banate der Fall, und wollte man dagegen das gleiche Vorkommen, ja die vielleicht noch größere Mannichfaltigkeit in namhaften See- und Handelsstädten aufstellen, so würde eine solche Annahme schon dadurch viel von ihrer Beweiskraft verlieren, daß im Banate alle diese Sprachen als eingeborene, seit Jahrhunderten bestehende zu betrachten sind, während in den gedachten See- und Handelsstädten das Schiff oder Gefährt, das den Fremdling gebracht, ihn und seine Sprache nach kurzer Zeit auch wieder fortführt um anderen Fremdlingen Platz machen. Und wenn somit bei ihnen die Furche des Meeres ihre Spuren begräbt, verkünden im gesegneten Banate die Furchen des urbar gemachten Landes die Thaten der Vorfahren und lebt ihr Gedächtniss fort in den Sprachen und Sitten der Enkel und Urenkel, unbeirrt und unbehelligt durch den Nachbar oder Hausgenossen.

Dies ungehemmte, bunte Sprach- und Völkergewimmel hat für den denkenden, strebsamen Menschen einen eigenen Reiz und veranlaßt so Manchen, der Heimath zu entsagen, um inmitten dieses Getriebes seinen eigenen Herd zu gründen. Wäre die Gleichberechtigung der Sprachen und Nationalitäten weniger thatsächlich, so würde dies sicher seltener geschehen, da ein gedeihliches Fortkommen etwas mehr, als blosses Essen und Trinken bedingt, und nicht immer das sogenannte "gute Leben" ein wahrhaft angenehmes Leben ist. Denn das Menschenkind lebt nicht von Brot allein: der Geist, und was damit zusammenhängt, will auch seinen Antheil haben.

Den Beleg hiezu giebt den Einblick in gesellige Kreise aller Schichten der hiesigen Gesellschaft. Es waltet ein singlustiger Geist in ihr, und wo sich auch immer Mehrere bei Wein oder Bier zusammenfinden, Gesang in allerlei Mundarten fehlt sicher nicht. Magyar und Romane, Szerb und Deutscher, Kroat und Czeche, Slavonier und Slovak, jeder hört im traulichen Kreise gern und mit gleichem Vergnügen die Weisen seines Nachbars, singt sie, als längstbekannte, mit und bedauert höchstens, daß ihm der Text der Lieder nur mangelhaft bekannt ist. Herzlichkeit und fröhlich gehobene Stimmung findet in diesem gegenseitigen Austausche der Lieder und Melodien reiche Nahrung und bringt die Herzen zusammen, wie verschieden auch die Lebensstellung sei und welchem Volksstamme der Sänger angehöre.

(...) Wir haben, um keinerlei Anstoß zu erregen, die Lieder in bunter Reihe folgen lassen und zur leichteren Übersicht ein alphabetisches Inhaltsverzeichnis angehängt, welches zugleich dazu dienen soll, das Auffinden der den einzelnen Sprachen angehörigen Text zu erleichtern. Dieses Inhaltsverzeichnis zerfällt somit in einen deutschen, ungarischen, serbischen, romanischen und slavischen Theil, in welchem letzteren die kroatischen, slavonischen und böhmischen, also die nicht speciell serbischen Texte begriffen sind.

Was die Lieder betrifft, so fanden nur solche eine Aufnahme, welche hierlands gesungen werden und somit bekannt sind. Die Auswahl wurde mit möglichstem Fleiße getroffen und die verschiedenen Lesarten thunlichst verglichen und theilweise ergänzt, was mitunter seine großen Schwierigkeiten hatte. Denn es fehlt bis jetzt leider! noch jede sichere Quelle und die mündliche Überlieferung erlaubt sich viele Willkürlichkeiten und Abweichungen. Daß wir dabei mehr den volksthümlichen, als den eigentlichen Kunstgesang berücksichtigen, dürfte seine Entschuldigung darin finden, daß eben nur ein Liederbuch für fröhliche Kreise geschaffen werden sollte und die Gemüthlichkeit, wie bekannt, nicht gern nach Noten singt.

Sollte es uns gelungen sein, etwas dem Bedarfe möglichst Entsprechendes geliefert zu haben, so gebührt der aufopfernden Freundlichkeit mehrerer Herren ein gut Theil dieses Erfolges und statten wir ihnen herzlich unseren Dank dafür öffentlich ab.

Vielleicht lassen wir später eine zweite Sammlung solcher Gesänge hinausgehen und hoffen alsdann über reichere Mittel verfügen zu können.

Temesvar, im Monat Mai 1863.

 

Der Auslöser für die Entstehung der so genannten nationalen Schulen des 19. Jahrhunderts ist ebenfalls im politischen Umfeld zu finden. Dieser neue Trend in der damaligen Musikkultur wurde nicht nur von dem aufstrebenden Bürgertum begrüßt, sondern auch von den Adeligen für die Umsetzung ihrer politischen Ideen benützt. Viele ungarische Adelige besaßen im Banat kleine Schlösser und Gutsbesitze, welche oft für Musikveranstaltungen benützt wurden. Wir wissen, dass im Schloss von Baron Ambrózy in Remetea Mare (Nagy Remete, bei Temeswar) Franz Liszt ein Konzert gegeben hat und im Schloss der Grafenfamilie Nakó in Großsanktnikolaus fanden regelmäßig Kammermusikabende statt. Durch den Entzug der Güter von diesen ungarischen Herrschaften seitens der rumänischen Regierung nach 1920, verlor auch ein Teil der Musikszene einen wichtigen Anteil an Unterstützung und Förderung.

 

20. Jahrhundert

 

Durch die neuen politischen Verhältnisse nach 1848 konnte der Temeswarer Philharmonische Verein gegründet werden und durch die tristen politischen Verhältnisse der Jahre 1914-1918 wurde die Aktivität dieses Chores, wieder durch politische Faktoren, fast erlahmt. Das historische Banat wurde laut dem Friedensvertrag von Trianon unter Rumänien, Serbien und Ungarn aufgeteilt. Damit konnten so manche Beziehungen zu anderen Banater Chören, welche ab nun zum Ausland gehörten, nicht mehr gepflegt werden. Wenn bisher die Kulturpolitik von Wien, später von Budapest aus, bestimmt wurde, so kamen ab sofort die Verordnungen aus Bukarest.

Für viele Künstler war es sehr schwer sich den neuen politisch-ideologischen Bedürfnissen anzupassen. So mancher wusste nicht mehr welche Nationalität er angeben solle: geboren als Banater Deutscher, gefühlt als Ungar und nun als Staatsbürger Rumäne. Eben so schwer ist es für einen Musikhistoriker die Nationalität eines solchen Musikers anzugeben. Oft handelt es sich um österreichische Musiker die nach Ungarn kamen um dort als Domkapellmeister tätig zu sein, wie z.B. Johann Georg Lickl oder Franz Seraphin Hözl in Pécs / Fünfkirchen. Noch schwieriger war es für den berühmten Orgelbauer Carl Leopold Wegenstein der sich, aus Wien kommend, im damals ungarischen Temeswar niederließ und nur mit Müh und Not die ungarische Sprache erlernen konnte. Als er diese beherrschte, war es zu spät, denn ab 1918 gehörte Temeswar schon zu Rumänien und deshalb mußte er nun die rumänische Sprache erlernen.

Die politischen Wirren nach dem ersten Weltkrieg hatten für so manche Musiker auch schlimmere Folgen. Der rumänische Dirigent Radu Urlateanu nahm sich in den dreißiger Jahren das Leben, weil man ihm vorwarf, er halte mehr zur ungarischen als zur rumänischen Musik und sei deshalb ein Verräter. Dies geschah nach einem Konzert mit Zoltán Kodálys Psalmus Hungaricus der damals in Temeswar mit einem riesigen Erfolg aufgeführt wurde. Auch hier war das Publikum in zwei Lager gespalten.

Zum Beginn der 40er Jahre musste Rumänien den nördlichen Teil Siebenbürgens an Horthy-Ungarn abtreten. Sämtliche Leitungsstellen wurden mit treuen Regimeanhänger aus Budapest besetzt, so auch die Direktion der Musikhochschule, an der Spitze mit dem damals bekannten Organisten Zsizsmann Rezsö. Nachdem dieser, obzwar selbst Ungar aus Siebenbürgen, diesen Sturz seelisch nicht verkraften konnte, began er Selbsmord.

Die ständigen politischen Umstellungen zwischen 1918-1945 haben zahlreiche Musiker miterlebt. Viele der Musiker der Temeswarer Philharmoniker spielten früher im Orchester des Philharmonischen Vereins, ab 1920 im Orchester der Gesellschaft der Musikfreunde unter Gido Neubauer, 1939-1945 im Deutschen Symphonieorchester unter Richard Oschanitzky und nach 1947 in der neu gegründeten Philharmonie. Es waren meist die gleichen Musiker welche unter dem Bildnis des entsprechenden Landesherrschers ihren Dienst ausüben mussten: bis 1918 unter Kaiser Franz Josef I, danach unter König Ferdinand von Rumänien, dann unter der Hakenkreuzfahne und unter dem Bild von Stalin.

1939 wurde in Temeswar, laut Verordnung der Leitung der Deutschen Volksgruppe für Rumänien mit dem Sitz in Hermannstadt, das Deutsche Symphonieorchester gegründet. Im Rahmen des Kraft-durch-Freude-Werkes sollte auch ein Kraft-durch-Freude-Orchester gegründet werden. Gleich beim ersten Konzert hat die "Gau- und Stadthannschaft" wie auch die Reihe der Zehntfrauen und Zehntmänner ganze Arbeit geleistet und mit ihrer Propagandaarbeit den ganzen Banatia-Saal gefüllt. Man wollte damit dieser multikulturellen Banater Metropole, mit Gewalt, eine aus dem siebenbürgisch-sächsischen Dorfleben entlehnte deutsche Nachbarschaftstradition aufbürgen, was natürlich nicht gelang. Mit der Leitung des Deutschen Symphonieorchesters wurde Richard Oschanitzky beauftragt. Die Programme durften mit wenigen Ausnahmen nur Schöpfungen deutscher Komponisten enthalten. Diese Konzertreihe wurde bis zum 8. August 1944 fortgeführt, am 23. August wendete die rumänische Armee ihre Waffen gegen Hitlerdeutschland und damit ging auch die Zeit dieses Kraft-durch-Freude-Werkes zu Ende.

Und trotzdem, die Berichte der Tageszeitungen trügen. Obzwar die Hakenkreuzfahne oberhalb des Orchesters zu sehen war, spielten in dem Ensemble die gleichen Musiker wie vorher, darunter außer Deutsche auch Rumänen, Serben, Ungarn und viele Juden. Die Zeitungsberichte wurden oft von dem später berühmten rumänischen Komponisten Zeno Vancea geschrieben, der diese Konzertreihe lobt und befürwortet. In diese Zeit fallen in Temeswar die Aufführungen zeitgenössischer rumänischer Opern, wie 1943 Napasta von Sabin Dragoi und Fat Frumos von Hermann Klee.

Selbst in der rumänischen Hauptstadt Bukarest fanden martialische Konzerte mit Werken deutscher Komponisten statt, so das Konzert vom 5. Nov. 1941 im Rumänischen Athenäum, organisiert vom Kulturamt der Auslands-Organisation der N.S.D.A.P., Landesgruppe in Rumänien, Ortsgruppe Bukarest. Diese Großveranstaltung mit dem Namen Stunde Deutschlands wurde direkt vom rumänischen Rundfunkt übertragen und war die erste Großveranstaltung dieser Art. Ausübende waren: Vereinigte Musikkorps und Spielmannszug der deutschen Standortkommandantur Bukarest, die berühmte rumänische Sängerin Arta Florescu, ein großer Chor, die Dirigenten Nicolae Lungu, Max Russy, Heinz Fritze. Das Programm begann und endete mit der Nürnberg-Fanfare, es folgte das Vorspiel zur Oper Rienzi von Richard Wagner, dann rumänische Lieder, eine Reihe historischer deutscher Märsche, ein siebenbürgisches und ein Banater Lied und zum Schluss der Marsch Vorwärts gegen Osten. Wenn wir heute eine solche Propagandavorstellung bemitleiden, so muss man wissen, dass ein solches Konzert damals einen riesigen Erfolg erbrachte, heute noch erzählen ältere Bukarester Zeitgenossen von diesen "einmaligen" Ereignissen.

In der Zeit 1940-1944 konzertierten in Rumänien, Jugoslawien und Ungarn überdurchschnittlich viele deutsche Künstler, einige der Vorstellungen wurden als Benefizkonzerte zu Gunsten von Soldaten des Russlandfeldzuges angegeben. Solche Konzerte wurden damals gerne als Matineevorstellungen Sonntagvormittags anberaumt, da man dafür die Schüler und Volksgenossen verpflichten konnte, dabei zu sein. Außerdem konnte man dadurch die Jugend der Kirche fernhalten, was in die damalige Weltanschauung des Hitlerregimes passte. Solche Matineekonzerte für Jugendliche wurden später aus dem gleichen Grunde auch von den kommunistischen Regierungen befürwortet .

 

Mit dem Ende des zweiten Weltkrieges begann für die deutsche Bevölkerung dieser Region auch ihr Ende. Durch die Vertreibung der Deutschen aus dem serbischen Banat und durch die Auswanderung der Deutschen aus Rumänien und Ungarn ab 1945, hat sich die ethnische und damit auch die kulturelle Struktur wieder verändert. In Deutschland, Österreich und später auch in Ungarn, wurden Ortsmonographien ehemals deutscher Gemeinden dieser Region veröffentlicht. Es sind meist gut gemeinte, aber leider die wenigsten von ihnen wissenschaftlich fundierte Abhandlungen eines bestimmten Dorfes oder einer bestimmten Stadt. Der damaligen politischen Umstände wegen, konnte diese Forschung nur im Westen des Eisernen Vorhangs betrieben werden, die Staatsarchive und andere Dokumentensammlungen in den Herkunftsstaaten waren für ausländische Forscher meist nicht zugänglich. Gleichzeitig wurde sowohl in Ungarn als auch in Rumänien und Jugoslawien die Musikgeschichte, nach dem Diktat der Kommunistischen Partei umgeschrieben. Hier sind wieder in diesen Ländern auch verschiedene Kriterien in der Geschichtsschreibung zu beobachten:

1. In Jugoslawien wurde die Musikkultur der dort bis 1945 lebenden Deutschen fast gänzlich ignoriert, als würde eine solche nicht existiert haben.

2. In Rumänien durfte über Kirchenmusik kein Wort gedruckt werden, ausgenommen es sei für ausländische Touristen oder für Täuschung des Auslands über den Zustand der Freiheit in diesem Land. So wurden selbst die Orgelkonzerte in der Schwarzen Kirche geduldet, da man damit den wenigen ausländischen Besuchern das Bild der Meinungs- und Religionsfreiheit vorgetäuscht hat. In Temeswar durfte mit aller Mühe erst 1981 das erste von den Behörden genehmigte öffentliche Orgelkonzert stattfinden. Selbst die Musik der orthodoxen Kirche wurde nur spärlich behandelt und erforscht.

3. In Ungarn war die Situation der musikwissenschaftlichen Tätigkeit noch am ertragbarsten. Es wurden ganze Kompendien zur ungarischen Musikgeschichte Veröffentlicht. Die Kirchenmusik wurde als ein wichtiger Bestandteil dieser nationalen Musiklandschaft betrachtet und konnte auch in einem gewissen Rahmen gepflegt werden. Zu den wichtigsten Musikwissenschaftlern zählten auch einige Geistliche wie Szigeti Kilián oder Bárdos Kornél, die wahre Pionierarbeit auf diesem Gebiet leisteten. Das spezifisch Ungarische in dieser Forschungsarbeit ist die Magyarisierung sämtlicher deutscher Namen von Musikern, Komponisten oder Domkapellmeistern; die Rede ist von solchen die nicht von selbst ihren Namen magyarisierten.

Für die Situation der Musikkultur in der Zeitspanne nach dem Zweiten Weltkrieg soll jene in Rumänien etwas näher erläutert werden. Die erste Periode ist jene der harten sowjetisch-stalinistischen Propaganda für eine neue kommunistische Kulturpolitik. So mussten fast sämtliche Musiker, die in irgendeiner Weise in der Hitlerzeit konzertant oder pädagogisch tätig waren und vielleicht in Benefizkonzerten für verwundete deutsche Soldaten spielten, in Konzentrationslager oder zum sowjetischen Arbeitsdienst verschleppt werden. Prof. Josef Brandeisz, Violinist, Konzertmeister und bedeutender Pädagoge aus Temeswar schrieb während dieser Zeit ein Tagebuch in welchem die schrecklichen Umstände und das traurige Schicksal der Gefangenen in diesen Lagern geschildert wird.

Es wurden Lobhymnen auf Stalin komponiert, eine Reihe von Opern, Oratorien und Kantaten der "arbeitenden Klasse" gewidmet und in der Zeit der Ceausescu-Diktatur wurden solche und noch viel mehr "dem ersten und liebsten Sohn des Vaterlandes" gewidmet. Teils waren es Auftragswerke, teils Schöpfungen aus eigener Initiative.

Die Musikforschung begann und endete mit der rumänischen Volksmusik, dazwischen Ion Vidu, Enescu, Lipatti und immer wieder die gleichen Namen kleinerer, auf lokaler Ebene bekannte Komponisten. Nicht nur, dass man selbst die eigene Musikgeschichte sträflich vernachlässigte, man brachte selbst die Universalgeschichte in ein falsches Licht: Bach hatte keine andere Aussicht als Kirchenmusik zu schreiben, damit er seine Familie erhalten kann; Beethoven war ein Revolutionär und ein Kämpfer gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung und ein großer Teil der Enescu-Biographie wurde geheim gehalten.

Für die Musikwissenschaft am schlimmsten aber, war die Beschlagnahmung oder Vernichtung von wichtigen Sammlungen und Dokumenten von wertvollen Kirchenarchiven und Privatbibliotheken. Im Zuge der Verstaatlichung ab 1948 wurden viele Kirchenmusikdokumente aus Domkirchen mit Heugabeln und Schaufeln auf Schubkarren und Pferdewagen verladen und ins Staatsarchiv gebracht. Hier sind diese Dokumente etweder zugrunde gegangen oder man hatte keinen Zutritt zu diesen. Noch heute ist die Spur von damals verschwundenen ganzen Bibliotheken nicht entdeckt worden oder wird geheim gehalten (z.B. das Musikarchiv der Arader Minoritenkirche, des Temeswarer Doms u.v.a.).

 

Zum Schluss

 

Um sich ein genaues Bild über die Musikgeschichte der Region Südost machen zu können, muss man auf regionaler Ebene deren Eigenheiten näher kennen lernen. Die nationale Geschichtsschreibung hat wohl ihre Bedeutung und ihren Wert, noch vollkommener und wertvoller aber ist die Historiographie einer europäischen Region.

Diese Problematik sehe ich sowohl aus südosteuropäischer, wie auch aus deutscher Sicht. Durch den § 96 des Bundesvertriebenengesetzes wird die Kultur der Vertriebenen, Aussiedlern und noch in den südosteuropäischen Ländern lebenden Deutschen unterstützt, gesichert und erforscht. Es ist ein kleiner Teil der gesamten deutschen und ein noch kleinerer Teil der ganzen europäischen Kultur. Gemeinsam aber mit den anderen Einwohnern dieser Region an der unteren Donau wurde eine eigenartige Kulturlandschaft geschaffen, die nur unter einem Gesamtaspekt an Bedeutung gewinnt.

Damit aber stoßen wir als Musikwissenschaftler an eine finanzielle und politische Barriere. Solche Forschungsprojekte haben noch immer eine kultur-politische Aufgabe und die Auftraggeber, oder noch besser, die Geldgeber, sagen, ob diese Forschung durchgeführt werden kann oder nicht. Wir wissen ganz genau, ob in Deutschland, Ungarn oder in Rumänien, dass man bisher von uns eine Musikgeschichte der Deutschen, der Ungarn oder der Rumänen verlangt. Ohne einen politischen Hintergrund, wird ein solches Forschungsprojekt seitens eines Ministeriums, ob in Deutschland, Ungarn oder Rumänien, nicht finanzierbar sein. Ist diese Anschauung für den europäischen Südosten haltbar? Welche Schlussfolgerungen könne daraus gezogen werden?

Nach einer nationalen Musikforschung, welcher zweifellos eine große Bedeutung bisher zukam, sollte man sich einer regionalen und grenzüberschreitenden Musikforschung zuwenden. Nur so kann die wahrlich wertvolle, einmalige und einzigartige Musikkultur Südosteuropas mit ihren vielen Musikgeschichten in eine große, bunte und vielfältige Wissenschaft umgewandelt werden und damit kommen auch die Musiktraditionen der vielen nationalen Minderheiten zu ihrem Recht. Ohne dies könnte die Donau diese unschätzbaren Werte europäischer Musikkultur wegspülen und in das Schwarze Meer für immer versenken.

 

 

Bibliographie

Franz Metz: Die Kirchenmusik der Donauschwaben. Academia Verlag, Sankt Augustin 1996.

Franz Metz: Te Deum laudamus. Beitrag zur Geschichte der Banater Kirchenmusik. ADZ- Verlag, Bukarest, Edition Musik Südost, München 1995.

Franz Metz: Johann Michael Haydn - seine Beziehungen zur Dommusik in Temeswar und  Großwardein. Edition Musik Südost, Hechingen-München 1997.

Franz Metz: Der Temeswarer Philharmonischer Verein, Edition Musik Südost, München 2005

Octavian Lazar Cosma: Universul Muzicii Romanesti. Editura Muzicala a Uniunii Compozitorilor si Muzicologilor din Romania, Bucuresti 1995.

László Dobszay: Abriss der ungarischen Musikgeschichte. Corvinia, Budapest 1993.

 

Copyright © Dr. Franz Metz, München 2007

 

[Home] [Bücher] [Noten] [CD] [Musikwissenschaft] [Komponisten] [Artikel] [Liste] [Kontakt] [Impressum] [Links]