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E D I T I O N   M U S I K   S Ü D O S T

Desiderius Járosy

(1882-1932)

von Dr. Franz Metz

  • Biographie
  • Bilddokumentation

Zum Nachfolger Martin Novaceks als Temeswarer Domkapellmeister wurde im Jahre 1906 Desiderius Járosy ernannt. Dieser leitet zwischen 1906 und 1931 die Musik am Temeswarer Dom. Er wurde am 24. April (andere Variante: 7. Dezember) 1882 in Lenauheim, dem damaligen Tschatad (ung. Csatad), geboren, wo sein Vater, Paul Járosy (vorher Jahraus oder Jaroschek) der aus der Zips stammte, 46 Jahre lang Kantorlehrer war. Seine Mutter, Maria Dittrich, eine Lehrerstochter, starb im frühen Alter, und die Stiefmutter Frida Herzog übernahm die Erziehung des 4-jährigen Knaben. Der Vater war gleichzeitig sein Lehrer in der Volksschule.

Das Gymnasium besuchte er in Fünfkirchen (Piaristengymnasium), setzte danach das Studium am Szegediner Gymnasium fort und genoss hier auch den Unterricht im Klavierspiel an der städtischen Musikschule. Es folgte das Studium der Theologie in Temeswar (1900-1905), wo er im Priesterseminar u.a. von den Professoren Matthias Ferch und Dr. Alexander Kovács unterrichtet wurde. Nach dem Abschluß der Theologie, 1904, wurde er nach Budapest, der damaligen Landeshauptstadt, versetzt, um sich an der Staatlichen Musikakademie im Orgelspiel (1905-1906, mit Prof. Koessler) und in der Komposition weiterzubilden. Nach dem Tode Martin Novaceks wurde Desiderius Járosy zum Temeswarer Domkapellmeister ernannt (1906-1931). Gleichzeitig, zwischen 1906 und 1932, wirkte er auch als Chorleiter des Temeswarer Philharmonischen Vereins. Mit 28 Jahren wurde er bereits zum Professor für Kirchenmusik an die Budapester Musikakademie ernannt (1. November 1910 bis 1914). 1914 übernahm er das Direktorat der Diözesanbuchdruckerei in Temeswar und 1917 wurde er zum Prosynodialprüfer ernannt.

Desiderius Járosy hatte im Laufe der folgenden Jahre noch folgende Funktionen bekleidet: 1919 Direktor des bischöflichen Internats, 1921 Musikprofessor an der Temeswarer deutschkatholischen Lehrerbildungsanstalt, 1908 Direktor des Landes-Cäcilienverbandes, 1921 Präsident der Temeswarer Arany-János-Gesellschaft, 1926 Mitglied der Siebenbürgischen Literarischen Gesellschaft. Im Jahre 1918 wurde ihm das Ritterkreuz des Franz-Joseph-Ordens verliehen und 1925 wurde er zum Päpstlichen Kämmerer ernannt. Járosy starb in einem Sanatorium in Erlau am 14. September 1932 und wurde auf dem Lenauheimer Friedhof beerdigt.

Im Monat März 1922 erschien die erste Nummer der Banater Musik-Zeitung als Offizielles Organ des Rumänischen Cäcilienvereins. Schon der Leitartikel von Desiderius Járosy läßt aufhorchen:

  • Banater Musikpflege - derzeit leider gibt es keine. Ebenso, wie der jüngste Begriff des geografischen Banates ein ganz neuer ist, so kann auch vorläufig von einer zielbewussten, wesentlichen Banater Musikkultur keine Sprache sein.(...) Das deutsche (Banater) Lied ist gänzlich in Vergessenheit geraten, von einem gesunden Volksgesang kann keine Rede sein. Weder der einstimmige Volksgesang, noch aber der mehrstimmige findet hier Pflege. Wenn auch hie und da gewisse Traditionen vorhanden waren, so war doch im Allgemeinen eine große Oberflächlichkeit, ein ungesunder Dilettantismus vorhanden. (...)
  • Die Ursache kann nur in dem Mangel an musikalischer Erziehung aufzufinden sein. Früher, wie noch im Banate musikalisch hochgebildete Kantors aufzufinden waren, muß die Lage jedenfalls eine viel bessere gewesen sein. Ich kann mich lebhaft erinnern, wie es früher noch Zeiten gegeben hat, wo in den schwäbischen Dorfschulen die meisten der Schulkinder Violin gelernt haben. (...)
  • Schuld war auch der Charakter des schwäbischen Volkes. Die eifrige realistische Auffassung, welche dieses Volk gänzlich im Banne hält, ist die zweite Hauptursache, warum die Musikpflege auf völkischem Boden nicht gedeihen konnte. Der sich einseitig nur seinem wirtschaftlichen also materiellen Bestreben hingibt, der kann für geistige Kultur und Aufschwung nicht den edlen Sinn haben. Dem es nur um die gute Ernte zu tun ist, der wird wenig Interesse für die idealen Güter der menschlichen Seele haben.
  • Es scheint als hätten sich die Zeiten günstiger geändert. Das Schwabenland blickt nach Westen und sieht, wie vieles es in der Vergangenheit versäumt hat. Auch die ungesunde Passivität der schrecklichen Kriegsjahre hat aufgehört, man sehnt sich nach - der Tat. Völkische Ambitionen kommen zum Vorschein, Stolz und Ehrgefühl erfüllt unser Herz und man strebt nach wahrer innerer Geisteskultur.

Im danach folgenden Artikel über die Reform der Kirchenmusik weist er auch auf seine weitere Veröffentlichung auf diesem Gebiet hin und bezieht sich auf das Buch Lehrer und Volksgesang. Regelmäßig werden in den folgenden Heften neue kirchenmusikalische Werke vorgestellt und besprochen, Ankündigungen von Kirchenkonzerten haben daneben einen besonderen Stellenwert wie auch die vielen Anzeigen Banater und ungarischer Orgelbauer und Musikalienhändler.

1929 erschien in Temeswar die erste Nummer seiner ungarischen Kirchenzeitschrift Musica ecclesiastica. Im Vorwort wendet sich der Herausgeber an seine Leser mit folgenden Worten:

 

Pro Domo!

Aus Gottes unermeßlichen Güte werden es 1930 drei Iahrzehnte sein seit dem der Ungarische Landes-Cäcilienverband seine erste Veröffentlichung herausbrachte. Es war die Zeit in der ich im ersten Jahr das Priesterseminar besuchte und auch meine erste Arbeit schrieb: "A gregorián korális kisérete" (Orgelbegleitung zum gregorianischen Choral). 1892 war ich Schüler des Szegediner Piaristengymnasiums und auch der städtischen Musikschule, Fach Klavier. Ohne daß meine Mutter, die die ganze Familie musikalisch unterrichtete, mir Orgelunterricht gab, habe ich schon in der Zeit meines dritten Gymnasiumjahres bei Gottesdiensten und bei den Litaneien von Samstag und Sonntag die Orgel gespielt. Als Abiturient habe ich in Szeged meinen Professor Szögedi Endre an der Orgel der Kapelle des Obergymnaiums und der St. Demeterkirche vertreten.

Nachdem ich mich mit Herz und Seele nach dem Priesterberuf sehnte, bin ich nach meinem Abitur als Student in das Priesterseminar eingetreten. Dr. Kováts Sándor und Abt-Pfarrer und Canonicus Matthias Ferch haben mich für die Idee des Cäcilianismus begeistert und so entstand durch deren Impuls mein erster Artikel darüber. In Dankbarkeit erinnere ich mich an meine beiden Professoren, die mich in meiner kirchenmusikalischen Tätigkeit sehr beeinflußt haben. Danach verlangte ich nach mehr Wissen und wurde für zwei Jahre "absolutus theologicus" bei Prof. Koessler János (Orgel und Komposition). 1906 wurde ich Domkapellmeister und Gesangslehrer des Temeswarer Seminars. Bei dem weltbekannten Gregorianikfachmann P. Vivell in Seckau konnte ich meine Kenntnisse auf diesem Gebiet erweitern. Meine erste kirchenmusikalische Arbeit erschien in Zusammenhang mit dem 1906 in Kalocsa stattfindenden Cäcilienvereinstreffen. 1908 wurde ich als Nachfolger von Dr. Bundala János zum Präses des Ungarischen Cäcilienverbandes gewählt und gab auch die Zeitschrift dieses Verbandes heraus: "Katholikus egyházi zeneközlöny" (Sept. 1908 - Feb. 1919). 10 Jahre lang war ich deren Herausgeber. Als die Grenzen nach dem ersten Weltkrieg neu gezogen wurden, gab ich anderthalb Jahre die Schrift "Egyházi zenemüvészet" heraus. Diese Zeitschrift fand nicht nur bei den ungarischen, sondern auch bei den anderssprachigen Leser einen großen Anklang. Im 4. Jahrg. hatte diese Zeitschrift bereits einen solchen Erfolg daß sie im Monat März bereits einen Umfang von 32 Seiten hatte. Über zwei Jahrzehnte konnte ich die Neuigkeiten in der ungarischen Kirchenmusik der Öffentlichkeit vorstellen. Durch finanzielle Schwierigkeiten mußte aber diese Zeitschrift eingestellt werden. Auf ungarischem Boden habe ich mit Zenei szemle weitergearbeitet und so ist nun auch die neue Zeitschrift entstanden: Musica Ecclesiastica.

Das 32 Seiten umfassende Exemplar ist zum ersten Mal möglich. Wir legen Gewicht auf sämtliche kirchenmusikalische Neuigkeiten und es soll auch ein Ratgeber für die Pfarreien sein. Diese Schrift erscheint viermal jährlich: 1. Nummer Februar, März April, 2. Nummer Mai, Juni, Juli, 3. Nummer August, September, 4. Nummer Oktober, November, Dezember. Sie kostet 100 Lei oder 5.50 Pengö, 30 Dinar, 25 Szokol. Die erste Nummer wird an sämtliche Pfarreien verschickt.

Nach drei Jahrzehnten tritt nun unser Cäcilienverband in das 4. Jahrzehnt seiner Existenz ein und wir bitten darum um die Fürsprache unserer Beschützerin:

Sancta Caecila, ora pro nobis!

 

Das erste Heft enthält eine große Anzahl von Anzeigen ungarischer und Banater Orgelbauer, Musikalienhändler und Glockengießer: Josef Angster, Moravetz, Otto Rieger (Budapest), Gebrüder Rieger (Jägerndorf), Leopold Wegenstein, Novotny Antal Fia, Franz Szeidl (Großwardein), Friedrich Hönig (Arad), Jaroslav Brada, Cesár Gyula (Sopron). Diese Zeitschrift fand Verbreitung auch in Ungarn, Jugoslawien, Tschechoslowakei und Österreich. Den Leitartikel schrieb der damalige Bischof Siebenbürgens, Graf Majláth Gusztáv Károly über die Kirchenmusik. Es folgte ein langer Bericht über die Reform der Kirchenmusik unter Papst Pius XI., danach ein Artikel über den Kirchenmusikerkongreß in Wien 1927 und eine Arbeit über den Gregorianischen Choral. Die Orgel als kirchliches Musikinstrument und als Konzertinstrument wurde in dem nachfolgenden Artikel von Járosy präsentiert. Über den Zustand der ungarischen Kirchenmusikschulen schreibt Harmat Artur einen Bericht, gefolgt von einem Lehrplan der Kirchenmusikabteilung der Wiener Musikakademie. Auch das Verhältnis Kantor - "Rector-Ecclesiae" wird behandelt und es werden aktuelle Berichte vom Cäcilienverband gebracht. In einem speziellen Artikel wird die Tätigkeit von Dr. Franz Andreas Weissenbäck gewürdigt. Das Heft endet mit einer Reihe neuer Veröffentlichungen der Verleger Böhm (Augsburg) und Pustet (Regensburg).

Mit diesen Publikationen hat Járosy ungemein viel für seine Banater Landsleute getan: man blieb (trotz Teilung des Banates) in die europäische Musikwelt integriert, die neuesten Richtlinien in der Kirchenmusik konnten dadurch in der Temeswarer Diözese schnell bekanntgemacht werden, das musikalische Gewerbe wie z. B. Instrumentenbau, Notenvertrieb, Konzertagentur, wurde dabei unterstützt. Bedeutende zeitgenössische Musiker wie Zoltán Kodály, Jenö Hubay und viele andere, trugen mit ihren Veröffentlichungen in diesen Zeitschriften dazu bei, daß diese Zeitschriften an Bedeutung gewannen.

Im Laufe von 26 Jahren veröffentlichte er etwa 3000 musikwissenschaftliche Artikel und Abhandlungen, davon sind 26 in Buchform erschienen. Die meisten dieser Werke sind der Kirchenmusik gewidmet, in diesem Bereich war Járosy ein mutiger Vordenker. So erschien das Lehrbuch über Liturgie und Kirchenmusik (Az egyházi zene liturgikának tankönyve) und das Lehrbuch über die Musik der Eucharistie (Az eukarisztia zenéje. Tanulmány. Az egyházzenei liturgika köréböl. Irta Járosy Dezsö, Csanádegyházmegyei áldozópap. Temesvár, Csanádegyházmegyei könyvnyomda. 1910). Diese Bücher und eine Reihe anderer ähnlicher Werke entstanden in der Zeit, als er Professor für Kirchenmusik an der Budapester Musikakademie war und erschienen in ungarischer Sprache.

Das Buch Musik und Eucharistie kann als bahnbrechend auf europäischer Ebene betrachtet werden. Schon die Auseinandersetzungen mit den verschiedensten Problemen der damaligen kirchenmusikalischen Praxis, in den 21 Kapiteln des Buches, sind lesenswert. Die ganze Palette der Kirchenmusik, beginnend mit dem Rhythmus des gregorianischen Chorals bis hin zum zeitgemäßen Volksgesang, wird angesprochen. Die einzelnen Kapitel sind folgende:

  • I.   Die eucharistische Musik als Reform-Musik
  • II.  Die eucharistische Musik als Gebet
  • III. Die eucharistische Musik und die Liturgie
  • IV.  Die eucharistische Musik als Kunst
  • V. Die Kirchenstile im allgemeinen
  • VI.  Der gregorianische Stil
  • VII. Der Palestrina-Stil
  • VIII. Die Epigonen des Palestrina-Stils
  • IX.  Der moderne polyphone Stil
  • X. Die Quellen der Kunstmusik
  • XI.  Die Kirchenmusikwerke der Klassik
  • XII. Der Cäcilianismus
  • XIII. Die Orgel
  • XIV. Orgelkonzerte
  • XV. Der Volksgesang
  • Die Choralreform des Hl. Vaters:
  • XVI. Die Kunst des gregorianischen Chorals
  • XVII.  Bemerkungen zur Reform des gregorianischen Chorals durch Pius X.
  • XVIII. Solesmes-Regensburg
  • XIX. Die neuen Gesangbücher des Vatikans
  • XX. Kämpfe um den Rhythmus im vatikanischen Choral
  • XXI. Die Kirchenmusik und die Evolution der modernen Musik

Betrachtet man die verschiedenen Themen dieses Werkes, so stellt man fest, daß der Inhalt auch noch in unserer Zeit, Ende des 20. Jh. genau so aktuell ist wie damals, als dieses Buch geschrieben wurde. Auch dann schon - in der Höchstphase des Cäcilianismus - war der Volksgesang und das aktive Mitwirken im Gottesdienst ein Anliegen der Kirche, genau so wie das Problem der modernen Musik oder der Veranstaltung von Orgelkonzerten in der Kirche. Schon die Einleitung führt uns zum Thema des Buches hin: Lauda Sion Salvatorem... in hymni et cantibus! Zu erhabener Pflicht ruft der Sänger - der Sänger der Himmelfahrts-Sequenz: in Hymnen und Gesängen dem König des Altarschreines endloses Lob und ewige Anbetung zu verkünden.

In der Tschanader Diözesanbuchdruckerei veröffentlichte Járosy 1919 sein bedeutendstes Werk über den deutschen Volksgesang im Banat: Der deutsche Volksgesang. Vorträge über Wesen und Pflege der Volksmusik, im Rahmen des deutschen Lehrerkurses (vom 14.ten Juli bis 9.August 1919) abgehalten von Desiderius Járosy. Zur Widmung schreibt der Verfasser: "Meinem lieben Vater, meinem ersten musikalischen Erzieher in kindlicher Dankbarkeit zugeeignet“.

Schon das Vorwort leitet den Leser, der bisher nur ungarische Schriften Járosys lesen konnte, auf das Neue hin, das in diesem Buch zum ersten Mal nach vielen Jahrzehnten erscheinen durfte:

 

Wahre Kunstarbeit muß aus der Volksseele hervorgehen. Die vernachlässigte Frage der Volksmusik hat mir Anlaß gegeben, einerseits Sinn und Verständnis für dieselbe zu wecken, anderseits aber praktische Winke zu erteilen, nach denen die Volksmusik bei uns erweckt werden soll. Nach der inneren Überzeugung soll also die Tat folgen. Wenn die Schule und nach dieser auch das Leben den praktischen Ratschlägen Folge leisten wird, dann wird binnen kurzer Zeit das schwäbische Lied wieder zu seinem Rechte kommen. Nicht nur die Kunst, sondern auch das Volk selbst soll damit gehoben werden.

Temesvár, den 25.ten August 1919. Der Verfasser.

 

Es ist die Zeit nach dem ersten Weltkrieg, das Banat wird durch den Frieden von Trianon von Ungarn getrennt und die Banater Schwaben bekommen mehr Rechte auch in der Entfaltung ihrer Kultur. So erklärt sich auch das Entstehen dieses Heftes. Desiderius Járosy richtet nun das Augenmerk auf das deutsche Kirchenlied und auf das Banater schwäbische Volkslied. In den 12 Kapiteln seiner Vorträge für die zukünftigen deutschen Lehrer versucht er das Interesse der Anwesenden auf das Banater deutsche Volkslied zu lenken. Die 12 Kapitel sind wie folgt betitelt:

  • I. Der deutsche Geist in der Musikgeschichte
  • II.  Das Wesen der Volksmusik
  • III. Die Pflege der Volksmusik
  • IV.  Die Pflege alter Volkslieder
  • V. Das Musikalische im Volkslied
  • VI.  Der kirchliche Volksgesang
  • VII. Der deutsche Kirchenliederschatz
  • VIII.  Die Pflege des kirchlichen Volksgesanges
  • IX.  Die Stimmung des deutschen Volksliedes
  • X. Schule und Volksgesang
  • XI.  Verein und Volksgesang
  • XII. Das Volk und die ausübende Musik

Im Kapitel VI über den kirchlichen Volksgesang beschreibt Járosy den Einfluß der Volksmusik auf die Kirchenmusik der Klassik und bezieht sich danach auf die Banater Kirchenmusik:

 

Auch der größte Feind der Kirche muß es eingestehen daß es im Dorfe keinen zweiten Ort, keine gediegenere Gelegenheit zum ungeteilten Massenvolksgesange gibt, als eben in der Kirche. Hier versammelt sich Groß und Klein, Jung und Alt. Außerhalb der Schwelle der Kirchentür kann es Unterschiede geben zwischen arm und reich, hier verschwindet alles, alle werden eins, die schönste, die herrlichste Demokratie ist vertreten, wie sie selbst ein Marx, ein Engels nicht schöner träumen könnte. (...)

Als der gewesene ungarische Ministerialrat für Kunstwesen, Paul Majowszky, der eifrige Förderer wahrer Kunstarbeit noch vor fünf Jahren über den Zustand der Kirchenmusik in Ungarn tief betrübt war, und meine Meinung über Reform derselben erfahren wollte, so lautete meine Antwort: "Herr Ministerialrat, es muß von unten begonnen werden." Sehr schön, wenn für die Chöre der Hauptstädte Sorge getragen wird, aber alles umsonst, wenn das in der Kirche singende Volk und der kirchliche Volksgesang vernachlässigt werden. Ich verfaßte ein Memorandum über diese Frage und betonte in demselben, daß die Kunst der Kirche Volkskunst ist, der Staat also eine kunstpädagogische Aufgabe unterstützt, wenn er sich um Kirchengesang kümmert. Das Endwort meines Memorandums lautete, daß die Pflege des kirchlichen Volksliedes in den Präparandien intensivere Behandlung wünscht, und meine Bitte wurde auch sympathisch aufgefaßt. Leider machte der neueste Zusammenbruch meiner fünfjährigen Arbeit ein frühes Ende. (...)

Noch näher beschreibt Desiderius Járosy den Zustand des Banater deutschen Kirchenliedes nach dem ersten Weltkrieg im VIII. Kapitel:

 

Wie verhält sich die Sache unter den heutigen Umständen? Betrachten wir in aller Kürze zwei wichtige Fragen, die erste wer singt , und die zweite was wird gesungen? Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, daß die schwäbischen Kirchenchöre ganz bedenklich herabgekommen sind. Wenige Gotteshäuser gibt es, wo die ganze Kirchengemeinde ungeteilt am kirchlichen Volksgesange teilnimmt. Diese Singweise, sie stammt aus den schönen alten Zeiten, wo das Volk noch Sinn für seine Sprache und Musik hatte. Heute verhält sich die Sache im allgemeinen viel trauriger. Das Volk ist seinem kirchlichen Volksgesange seit Jahren fast ganz fremd geworden. Die schönen alten Weisen sind verschwommen, und neue Melodien gibt es keine. Unser schwäbisches Volk ist dem Gesangschore gegenüber passiv, und der Kantor begnügt sich mit einigen sogenannten "Singmädchen", die, wie man nach der Phraseologie des Zirkus zu sagen pflegt "abgerichtet werden". Aber auch die bilden keinen beständigen Stamm: werden sie "große" Mädchen, oder heiraten sie gar, dann sagen sie auch dem Kirchenchor für immer Lebewohl. Daß unter solchen Umständen kein beständiges Material zur Verfügung steht, ergibt sich ja von selbst.

Die zweite Frage, welche wir zu beantworten hätten bezieht sich auf den Umstand, was in den Kirchen gesungen wird? Und bei  dieser Frage kommen wir eigentlich zur Achillesferse der Sache. Niemals waren unsere schwäbischen Kirchenchöre im Besitze eines einheitlichen deutschen Gesangbuches. Die meisten Lieder, nicht nur die Melodie, sondern auch die Harmonie derselben wurden nach Manuskripten verbreitet. Ich kenne keine zwei Kirchengemeinden, wo das allgemein verbreitete Lied "Heilig, heilig, heilig" gleich wäre. Ein jeder Kantor hat sein Manuskript und jedes hat Abweichungen. Kein Wunder, wenn dieser allgemeine Mangel an Einheit die ganze kirchliche Volksgesangspflege ad absurdum führte so daß heute ein Babel der Kirchenliedervariationen verbreitet ist, und das Original fast nicht mehr aufzufinden ist. (...)

 

Dafür bringt Járosy auch die Lösung: man soll in den Schulen beginnen, die Kinder mit dem Kirchenlied bekannt zu machen. Auch vor den Messen und bei speziellen Kirchenliederandachten kann der Kantor mit einer Schar guter Sänger mit der versammelten Gemeinde neue Lieder einlernen. Im Kapitel über die "Stimmung des deutschen Volksliedes" bezieht er sich auch auf das Banater deutsche Kirchenlied, wenn er schreibt:

 

(...) Sie sagen, der Deutsche liebe die Melodie, die süßen Terzen und Sexten, die rhythmisch immer hervortretend ausgeprägt sind.(...)

Nach vielen materiellen Kümmernissen, nach schweren Reminiszenzen der verflossenen Kriegsjahre, soll nun ein jedes Volk zum Kulturbewußtsein kommen. Das Zeichen des jetzigen amerikanischen Tempos strebt zwar nach irdischen Konjunkturen und vergänglichen Gütern, diese werden aber die innere Befriedigung der menschlichen Seele niemals hervorrufen.

Nur ideale Güter, innere Schätze machen glücklich und unter denselben in erster Linie solche, welche aus der Seelenquelle der Jahrhunderte hervorströmen. Das Volk welches auf die Vergangenheit seiner Güter verzichtet, ist auch seiner Zukunft nicht würdig, (...).

 

Im gleichen Jahr, 1919, erteilte Bischof Julius Glattfelder die Genehmigung zur Veröffentlichung des deutschen Banater Kirchenliederheftes Singet dem Herrn. Der vollständige Titel lautet: Singet dem Herrn! Kirchenliederbuch der Diözese Csanád. Für Volk und Schule verfasst von Desiderius Járosy, Priester der Csanáder Diöcese. Erster Band. Druck der Csanáder Diöcesan-Buchdruckerei. 1920. Im Vorwort schreibt der Verfasser:

 

Die Reformfrage des deutschen Kirchenliedes war niemals so im Vordergrunde, wie eben heute. Das deutsche Volk hat keine Lieder, die wenige, welche sein Eigenthum waren, sind in Vergessung geraten. Die traurige liturgische Erfahrung beweist es, daß dem Kirchengesange gegenüber die Kirchengemeinde sich passiv und stumm verhält: der Kantor oder einige Singmädchen bilden einzig den mitwirkenden Gesangschor. Es war kein officielles Kirchenliederbuch vorhanden, verdächtige Manuskripte waren verbreitet und es gab keine zwei Kirchengemeinden, wo selbst das vielgehörte "Heilig, heilig" gleich zum Vortrage kam.

Unter dem Titel "Singet dem Herrn!" - erscheint nun das erste deutsche Kirchenliederbuch, welches das vernachlässigte und vergessene deutsche Kirchenlied einheitlich und allgemein gestalten soll. Die Vorbedingung der Einheitlichkeit ist, daß alle anderen Lieder, welche von diesen Melodien abweichen, ausgeschaltet werden; die Allgemeinheit aber fordert wieder, daß die hier fixierten Melodien in einer jeden Kirchengemeinde, auf einem jeden Kirchenchore, in einer jeden Schule Verbreitung finden. Die Notenausgabe der Lieder liefert uns die Garantie, daß die Melodien original und authentisch bewahrt bleiben. Wenn dieser erste Band des Liederbuches in der ganzen Diözese Gemeingut aller Gläubigen wird, dann soll in kürzester Zeit der zweite Band folgen, welcher die Lieder des Kirchenjahres (Advent-Weihnachten-Fasten-Ostern-Pfingsten), der Heiligen und die der Seelen-Messe enthalten wird. (In diesem zweiten Bande soll auch die deutsche Festmesse von Haydn "Hier liegt vor deiner Majestät" und Schubert "Wohin soll ich mich wenden" aufgenommen werden.- Die Orgelbegleitung des ersten Bandes ist bei dem Verfasser erhältlich: Temesvár, Priesterseminar, Preis 50 Kronen).

Was die praktische Einführung der Lieder anbelangt, sollen zweifache Mittel in Betracht gezogen werden: erstens soll das Volk mit den Melodien Bekanntschaft schließen, zweitens aber die Schule. Die Zukunft des deutschen Kirchengesanges kann nur dann gesichert werden, wenn die Schule die Zukunft mit allem Eifer vorbereiten wird. Nebst dem Katechismus und der Bibel muß das Liederbuch in allen Schulen eingeführt werden, in der Volksschule, sowie in der Mittel- und Hochschule. Die Vorbereitung des Volkes ist von großer Wichtigkeit: mit dem deutschen Volksgesange kann nicht so lange gewartet werden, bis die Jugend heranwächst. Die besten Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sind die Kirchenliederandachten, welche besonders in Wien außerordentliche Früchte aufgewiesen haben. Was die Einführung dieser Andachten betrifft, ist sowohl für den Geistlichen, sowie auch für den Kantor eine Instruktion erschienen.

Wenn Priester und Kantor sich mit vollem Eifer der heiligen Sache widmen werden, können die guten Folgen nicht unterbleiben: sie bedeuten für das Seelenheil und für den kulturellen Fortschritt des deutschen Volkes die edelsten Früchte, denn "Glückselig das Volk, welches lobsingen kann". (Ps. 89, 16.)

Temesvár, am Pfingstfest 1920.

Der Verfasser.

 

Das gleiche Heft erschien 1924 in zweiter Auflage.

Der Satz "das deutsche Volk hat keine Lieder, die wenige, welche sein Eigentum waren, sind in Vergessenheit geraten" bezieht sich auf die Banater Deutschen, die Jahrzehnte lang magyarisiert wurden; selbst die meisten Kirchenlieder dieses Heftes sind ungarischer Abstammung, der Text wurde vom Ungarischen ins Deutsche übertragen. Bloß einige Lieder aus der Sammlung Mohrs (Manuale Cantorum), von Michael Haydn und von Aiblinger sind deutsche Kirchenlieder, die anderen stammen von Zsasskovsky, Bogisich und anderen ungarischen Autoren. Viele der Kirchenlieder entsprechen auch nicht dem Geist des süddeutschen und Banater Liedgutes, da sie, wie die meisten ungarischen Lieder, in den alten Kirchentonarten oder in "Moll" geschrieben sind. Selbst der Text wurde dilettantisch übersetzt und der Melodie angepaßt.

Die Bemerkung, daß die Banater Schwaben keine oder nur wenige Kirchenlieder hatten, stimmt nicht. Im 18. Jh. sind im Banat auch Gesangbücher erschienen, die reich mit authentischen deutschen Liedern aus dieser Region ausgestattet waren. Es stimmt aber die Bemerkung, daß in jeder Kirche des Banats das gleiche Lied in einer anderen Variante gesungen wurde. Da die deutschen Einwanderer aus verschiedenen Gebieten gekommen sind, konnte es auch nicht anders sein: die Lothringer und Elsässer, wie auch die Pfälzer, Schwarzwälder, Württemberger, Rheinländer oder Deutschböhmen brachten ihre eigenen Kirchenlieder mit. Jeder Kantorlehrer hatte damals sein eigenes "Orgelbuch" und dieses Manuskript beinhaltete hunderte von überlieferten Liedern. In dieses Orgelbuch trug der Kantor eigenhändig ältere und neuere Lieder ein und so bilden diese Bücher und Hefte einen wahren Schatz Banater Kulturgutes.

Desiderius Járosy veröffentlichte noch zwei wertvolle Werke: "Orate fratres" (deutsches Textbuch der Gesänge des liturgischen Hochamtes) und "Lehrer und Volksgesang". Dieses sollte gemeinsam mit dem Liederbuch "Singet dem Herrn" verwendet werden. Der Verfasser erläutert darin, wie man mit dem Volk und den Schulkindern das neue deutsche Kirchenlied erlernen kann. Die Zusammenstellung der verschiedenen Kapitel ist wie folgt:

  • I. Gesangskultur und Zeitgeist
  • II.  Der Zustand des Schulgesanges
  • III. Lehrer und Schulgesang
  • IV.  Lehrer und Männergesangsvereine
  • V. Der Lehrplan des Schulgesangunterrichtes
  • VI.  Methoden des Gesangunterrichtes
  • VII. Die Reform der Kirchenmusik
  • VIII.  Das deutsche Kirchenliederbuch

Bilddokumentation

 

Desiderius Jarosy, in Temeswar, um 1907

 

Herausgeber der Banater Musik-Zeitung

Desiderius Jarosy: Der deutsche Volksgesang, 1919

Jarosy als Herausgeber der Musica Ecclesiastica

Orgel der Lenauheimer Kirche

Eine weitere Musikzeitschrift Jarosys: Egyhazi Zenemüvészet

Jarosygrab auf dem Lenauheimer Friedhof

Jarosygrab auf dem Lenauheimer Friedhof

Jarosy und sein Schüler Géza Zichy in Bayreuth

Jarosy leitete den Kantorenkurs der Temeswarer Diözese (um 1912)

Beerdigung in Lenauheim, rechts im Bild Desiderius Braun, links Domherr Matthias Ferch

Gedenktafel auf der Empore der Temeswarer Domkirche

Liedersammlung “Singet dem Herrn”

Portrait Jarosy in der Temesvarer Zeitung

Konzert Jarosy im Temeswarer Dom mit der Geigerin Magda Weil (1920)

Jarosy: Wiener Musikbilder

 

Desiderius Jarosy:

Beethoven

Desiderius Jarosy:

Johannes Brahms

Desiderius Jarosy: Brahms (Widmung des Autors an Anton Gockler, Temeswar 1910)

Desiderius Jarosy: Brahms (Programm des Konzertes)

Desiderius Jarosy:

Chopin

Desiderius Jarosy: Über die ungarische Musikkultur

Desiderius Jarosy:

Edward Grieg

Desiderius Jarosy: Krieg und Veränderungen

Desiderius Jarosy: Die Kirchenmusik. Liturgie

Desiderius Jarosy:

Richard Wagner und das Musikdrama

Desiderius Jarosy:

Gregorianik

Desiderius Jarosy:

50. Orgelkonzert (Festschrift)

Desiderius Jarosy: 50. Orgelkonzert (Programm)

D. Jarosy: Üdvözlö Dal (Begrüßungslied), gewidmet Bürgermeister Dr. Telbisz, Temeswar 1910

D. Jarosy: Begrüßungslied, gewidmet Bürgermeister Dr. Telbisz, Temeswar 1910

D. Jarosy: Franz Liszt

D. Jarosy: Franz Liszt und die Kirchenmusik

Franz Liszt: Lorenzo Perosi

D. Jarosy: Die Musik der Eucharistie

 

 

Desiderius Jarosy nach seinem Konzert in Bukarest im Jahre 1921 (links),

neben ihm Domkapellmeister Müller-Lee und Stadtpfarrer Carl Auner (r.),

Mitglieder des Bukarester Domchores (stehend).

 

Copyright © Dr. Franz Metz, München 2007

 

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