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MUSICA SACRA HUNGARICA
Berichte über wichtige musikalische Ereignisse in Ungarn
veröffentlicht in den Kirchenmusikzeitschriften
MUSICA SACRA (Regensburg) und MUSICA DIVINA (Wien)
von Dr. Franz Metz
Einführung
Die Kirchenmusik der südosteuropäischen Diözesen stand oft im Mittelpunkt von Berichten und Abhandlungen die in den Zeitschriften Musica Sacra (Regensburg) und Musica Divina (Wien) erschienen sind. Die Gründe liegen nahe.
Regensburg war im 19. und zum Beginn des 20. Jahrhunderts für viele Kirchenmusiker der ungarischen Monarchie durch die cäcilianische Bewegung ein wichtiges Ziel. Zahlreiche namhafte Kirchenmusiker, Domkapellmeister und Priester studierten hier und verbreiteten danach die Ideen des Cäcilianismus im ganzen europäischen Südosten. Die Resonanz dieser Ideen war in diesem Kulturraum etwas träger als im mitteleuropäischen Raum aber viel nachhaltiger. Grund war die Mehrsprachigkeit und das multikonfessionelle Nebeneinander von katholischen, orthodoxen und protestantischen Christen. Obzwar die Kirchenmusik jeder dieser Konfessionen eigenständige Entwicklungen erlebt hat, können doch durch dieses Nebeneinander zahlreiche Gemeinsamkeiten festgestellt werden. Regelmäßig wurden Berichte und einzelne Artikel aus den Kirchenmusikzentren der ehemaligen ungarischen Monarchie an die Redaktion in Regensburg gesendet, die auch meist veröffentlicht wurden. Das Interesse bestand also gegenseitig: im deutschen Sprachraum wollten die Leser Neuigkeiten aus diesem Kulturraum erfahren und andererseits waren viele Kirchenmusiker und Priester dieser südosteuropäischen Diözesen eifrige Leser der MUSICA SACRA. Natürlich spielte auch der Anteil der deutschen Gläubigen in diesen Diözesen eine wichtige Rolle. Im damaligen Südungarn (ungarisch: Délmagyarország) waren viele Diözesen von den dort lebenden Donauschwaben geprägt (Temeswar, Fünfkirchen, Wesprim, Stuhlweißenburg, Großwardein, Kalocsa, Szegedin), wodurch auch der Bezug zu den kirchenmusikalischen Erneuerungen von Regensburg aus selbstverständlich ist.
Wien war bis zum Ende des Ersten Weltkriegs das politische und kulturelle Zentrum der österreich-ungarischen Doppelmonarchie. Selbst in der Zwischenkriegszeit wurden die kulturellen Beziehungen noch gepflegt und von Wien aus hatte man die kirchenmusikalischen Entwicklungen in diesen Diözesen mit größtem Interesse verfolgt. Natürlich waren die Folgen des Ersten Weltkriegs durch die neuen Gebietsansprüche und Grenzziehungen vorauszusehen: jahrhundertealte Diözesen wurden zerteilt, es entstanden neue Staaten, die konfessionelle und ethnischen Proportionen änderten sich schlagartig.
Erst mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs und den danach folgenden schwierigen Zeiten für die Kirchenmusik in den nunmehr sozialistischen Ländern (Deportationen, Verschleppungen, Vertreibungen, Verstaatlichung, Kirchenverfolgung) wurden die Beziehungen zwischen der MUSICA SACRA (Regensburg) und MUSICA DIVINA (Wien) unterbrochen. Für die Leser dieser Zeitschriften war auf einmal die Existenz katholischer Kirchenmusik im Südosten inexistent.
In diesem Artikel werden folgende Berichte der MUSICA SACRA und MUSICA DIVINA wiedergeben:
- MUSICA SACRA, Regensburg, 1. Mai 1891, Nr. 5, S. 75: Fünfkirchen
- MUSICA SACRA, Regensburg, 1. Juli 1891, Nr. 7, S. 106: Fünfkirchen
- MUSICA SACRA, Regensburg, 1. August 1891, Nr. 8, S. 121: Fünfkirchen
- MUSICA SACRA, 1. Juli 1892, Nr. 7, S.102: Fünfkirchen
- MUSICA SACRA, Regensburg, 1. April 1893, Nr. 4, S. 47: Fünfkirchen
- MUSICA SACRA, Regensburg, 1. Mai 1894, Nr. 5, S.60: Fünfkirchen
- MUSICA SACRA, Regensburg, 1. März 1895, Nr. 3, S. 40: Res Hungaricae
- MUSICA SACRA, Regensburg, Nr. 4, 1. April 1895, S. 64: Nach Ungarn
- MUSICA SACRA, Regensburg, Nr. 5, 1. Mai 1895, S.72: Aus Bukarest
- MUSICA SACRA, Regensburg, Nr. 7 u. 8, 1. Juli 1895: Neusatz / Novi Sad / Ujvidék
- MUSICA SACRA, Regensburg, Nr. 7 u. 8, 1. Juli 1895, S. 94: Res Hungaricae
- MUSICA DIVINA, Wien, 4. Jg., Nr. 4, April 1916, S.97: Die Kirchenmusikreform in Ungarn
- MUSICA DIVINA, Wien, Monatsschrift für Kirchenmusik. Herausgegeben von der Schola Austriaca. VIII. Jg., Nr. 11-12, Nov.-Dez. 1910: Kalocsa
- MUSICA SACRA, Beiträge zur Reform und Förderung der katholischen Kirchenmusik, herausgegeben von Dr. Franz Witt, Regensburg, 21. Jg., Nr. 4, 3. April 1888, S. 53: Aus Budapest in Ungarn
MUSICA SACRA, Regensburg, 1. Mai 1891, Nr. 5, S. 75
Fünfkirchen (Ungarn) Der Hochw. Herr Ignatz Glatt, Domkapellmeister an der dortigen neu erbauten und im romanischen Stile vollendet durchgeführten Kathedrale, welche im Juni d.J. feierlich eingeweiht werden wird, teilt seinen Lehrern an der hiesigen Kirchenmusikschule erfreulichen Bericht mit, aus dem nachfolgende Sätze auch weitere Kreise interessieren werden: Mit Gottes Hilfe arbeite ich hier bereits im dritten Jahre auf das Ziel hin, in dem neuen Dom mit einer erneuerten, den Vorschriften der Kirche entsprechenden Kirchen-Musik einzuziehen. Die Schwierigkeit meiner Aufgabe hier in Ungarn, in Bezug auf echte Kirchenmusik, fast terra desolata, brauche ich wohl nicht lange zu schildern. Aber Gottlob! es scheint die Karwoche das Eis ein wenig gebrochen zu haben. Schon im Advent sangen wir die Choralmessen mit den entsprechenden Offertorien von Fux, Palestrina (5 St.), Haller. Zu Weihnachten (3. Messe) von Haller, O quam suavis est, Off. Tui sunt coeli Palestrina. Zu Maria-Lichtmess: Prozess.-Gesänge von Mitterer, Missa brevis von Palestrina, Off. Palestrina (5 St.). Dann von Dom. Septuages. an die Messen choraliter, die Offertorien von Palestrina: Bonum est,Perfice, Scapulis, Justitiae, Laudate und Orl. di Lasso: Benedictus es, Meditabor, Confitebor, Improprium. In der Karwoche jedoch fingen auch harte Gemüter an, weich zu werden. Die Improperien von Palestrina 2chörig, Vexiila regis von Mettenleiter, Haller Jesu dulcis amor meus, dessen Pange lingua (E-dur) und Mitterers Gloria aus der Missa brevis de SS. Apost. 5stimmig machten eine bekehrende Wirkung, so dass am Ostersonntag die Missa brevis von Palestrina, das Victimae paschali choraliter und Terra tremuit (b) von Haller den hochwürdigsten Bischof in die Seele erfreuten u.s.w.
MUSICA SACRA, Regensburg, 1. Juli 1891, Nr. 7, S. 106
Fünfkirchen. Unter Hinweis auf S. 75 in Nr. 5 der Mus. s. ist der Red. in der angenehmen Lage, Selbsterlebtes, wenn auch einstweilen in gedrängtem Telegrammstil, den verehrlichen Lesern zu erzählen. Es war ihm eine Ehrenpflicht, der gnädigen Einladung Sr. Excellenz des Hochw. Bischofes Dr. Ferdinand Dulansky, der feierlichen Einweihung der neuen Kathedrale in Pécs (Fünfkirchen) persönlich beizuwohnen, Folge zu leisten. Man erlasse uns die Schilderung der Reise nach Süd-Ungarn, die unvergesslichen Eindrücke von Land und Leuten der Pracht und des Glanzes, welche bei Empfang Sr. Majestät des Königs von Ungarn, Franz Joseph, der Erzherzoge Joseph und Friedrich, der ungarischen Minister und Magnaten, des päpstlichen Nuntius Galimberti, der sieben Bischöfe u. s. w. anzustaunen waren.
Zweck dieser Zeilen soll sein, der unbeschreiblichen Freude Ausdruck zu geben, dass Bischof Ferdinand Dulansky nicht nur der kirchlichen Kunst in Architektur, Skulptur und Malerei durch Erbauung der neuen Kathedrale im romanischen Stil nach den Plänen des am 23. Januar d. J. verstorbenen k. k. Baurates Friedr. Schmitt und des Baumeisters Aug. v. Kirstein, der Maler Karl Andreä, Mor. Beckerath, Karl Lotz, Berth. Székely, Gust. Bamberger, der Bildhauer G. Zala, G. Kiss u. s. w. mit einem Kostenaufwand von beinahe 2 Millionen Gulden innerhalb acht Jahren ein bezauberndes Bauwunder geschenkt, sondern auch, angeregt und bestärkt durch seinen genialen Ratgeber Dr. Ant. Walter, inful. Abt und Kanonikus der Kathedrale in Pécs, der kirchlichen Tonkunst in Ungarn neue bedeutungsvolle Wege gebahnt hat.
Der Domkapellmeister, Monsignore (päpstl. Kämmerer) Ign. Glatt und der Domorganist H. Eduard Jaksch sind an der hiesigen Kirchenmusikschule gebildet worden. Bischof Dulansky erbaute für die Singknaben der Kathedrale ein neues stilvolles und ganz zweckentsprechendes Gebäude in dem 30 Knaben seit etwa 30 Monaten im Choral und im polyphonen Kirchengesang mit staunenswertem Erfolge unterrichtet werden. Die Männerstimmen werden durch sechs Choralisten und die HH. Alumnen des Klerikalseminars versehen; letztere besorgten die zahlreichen Antiphonen, Psalmen und Responsorien der Kirchweihe in freudiger Begeisterung. Zum erstenmale erklangen am 22. Juni, im Wechsel mit den schönen Choralgesängen aus der authentischen Ausgabe des Pontificale Romanum, vierstimm. Falsibordoni bei Benedictus, Miserere, In ecclesiis, Qui habitat und Lauda Jerusalem durch die mit stil- und geschmackvoller Farbenpracht geschmückten heil. Räume, die für Gesang wie geschaffen sind. Vor der Pontificalmesse, welcher auch Sr. Majestät bei wohnte wurden beim Einzug des Königs das 6 stimm. Elegit eum von Michael Haller (Manuskript) mit dessen 4stimm. Te Deum mit Orgelbegleitung ergreifend vorgetragen.
Über die herrliche Orgel der Domkirche (45 Register auf 3 Manualen mit 19 Combinationen und Kopelungen), Werk des Fünfkirchner Meisters Angster, muss ein andermal gesprochen werden.
Während des ersten hl. Opfers im neugeweihten Dome wurden gesungen: Exaudi Domine. 4 st. von Palestrina, Domine Deus. 4st. von M. Haller, O sacrum convivium. 4st. von Ign. Mitterer, O quam metuendus est 4st. von Lud. da Vittoria und am Schlusse beim Auszuge das pompöse 8st. Domine, salvum fac regem von Schütky.
Man musste bei all diesen Vorträgen besonders die Treffsicherheit des jungen Chores lobend anerkennen. Diese Erfolge sind nur der tüchtigen Schule und dem hingebenden Eifer des hochwürdigen Domkapellmeisters Ign. Glatt zu verdanken; die Leute sind nicht gedrillt, der Vortrag ist nicht eingepaukt, daher auch die durchschlagende Wirkung des geistigen Lebens, das wieder Leben schafft und sich so wohlthuend von mechanischen und gekünstelten Produktionen unterscheidet.
Die anwesenden ungarischen Bischöfe und Prälaten haben unumwunden ihrer Bewunderung und vollsten Zufriedenheit Ausdruck gegeben und es ist mit Grund zu hoffen, dass die Vorsätze und Pläne, welche aus Anlass dieser erhebenden, echt liturgischen und mit kirchlichen Tonwerken ausgestatteten Feier gefasst wurden, im Laufe kurzer Zeit greifbare Gestalt annehmen und sich in energische Thaten verwandeln.
Die Namen der Bannerträger: S. Excellenz Dr. Ferd. Dulansky, Kanonikus Dr. Ant. Walter, Mons. Ign. Glatt und Domorganist Ed. Jaksch werden immer mit höchsten Ehren genannt werden müssen wenn von Hebung und Förderung der katholischen Kirchenmusik in Ungarn geredet wird.
Dem Schreiber dieser Zeilen sind während der anstrengenden Reise innerhalb sieben Tagen (je zwei für Hin- und Rückfahrt und drei Tage in Pécs) so viele und mächtige Eindrücke geworden, dass er sie erst allmälig ausschälen kann; die verehrl. Leser werden ihm nicht zürnen, wenn er noch öfters auf Episoden zurückgreift, die mit der Pflege der kirchlichen Tonkunst in Ungarn und mit der Einweihung der Kathedrale zu Fünfkirchen im Zusammenhang stehen.
Ein kräftiges Eljen diesen unerschrockenen und muthigen Pionieren kirchlicher Kunst, die hier in seltener Weise von seltener Gunst gepflegt wird und die kostbarsten Früchte verspricht!
MUSICA SACRA, Regensburg, 1. August 1891, Nr. 8, S. 121.
Erinnerungen an die Konsekration der Kathedrale in Fünfkirchen. (Mus S. S. 127). Bei Gelegenheit des Besuches, den Sr. Majestät der Kaiser Franz Joseph, König von Ungarn in Begleitung mehrerer Minister und Würdenträger unter Führung des Hochwürdigsten Bischofs dem neuen Singknabeninstitute abzustatten die Gnade hatte, wurde auch Schreiber dieser Zeilen persönlich vorgestellt. In huldvollster Weise geruhte Sr. Majestät sich um den Bestand und die Tendenz der Regensburger Kirchenmusikschule zu erkundigen und fügte plötzlich die Worte bei: "Sie schliessen also die Instrumentalmusik von der Kirche aus?" Nach kurzem Besinnen über diese (vielleicht inspirierte?) Wendung entschied sich der Gefragte für die Antwort: "Majestät! Die Instrumentalmusik schliesst sich in den meisten Fällen selbst aus; denn an den wenigsten Orten sind die nötigen Kräfte vorhanden, um das Gleichgewicht und richtige Verhältnis zwischen Sängern und Instrumenten herstellen zu können." - Mit freundlichem Lächeln schien der Kaiser diese Antwort zu billigen, da er beisetzte: "Das begreife ich wohl!" - Bei diesem Kaiserworte darf sicher an
Mahnungen des österreich. Kultusministeriums gedacht werden, von denen in Musica sacra S. 103 die Rede war.
Einen besonders tiefen Eindruck machte mir am Tage nach der Kirchweihe die von Knaben- und Männerstimmen abwechselnd gesungene Choralvesper. Die Knaben sprachen und deklamierten den Text so vorzüglich, verbanden ihn so ungezwungen und abgerundet mit den Psalmtönen dass schon aus dieser einfachen, natürlichen und ungekünstelten Tonbildung auf die gute Schulung geschlossen werden konnte. Durch fortgesetzte Übung werden auch die Männerstimmen dahingebracht werden können, den reizenden Zusammenklang der Knabenstimmen nicht zu schädigen und zu stören.
MUSICA SACRA, 1. Juli 1892, Nr. 7, S.102
Fünfkirchen. Mit Gottes Hilfe hätten wir nun bereits das erste Jahr mit echt liturgischem Kirchengesange ausgefüllt. Unser Repertoire zählt fünfzehn 4 und 5-stimmige Messen; neun 2stimmige Messen und die Offertorien für alle Sonn- und Festtage 2-stimmig; die Vesperpsalmen für die Sonn- und Festtage des ganzen Jahres in 4 stimmigen Falsibordoni von C. de Zachariis und Lud. da Viadana. Introitus, Graduale und Sequenzen, Communio, Antiphonen und Hymnus werden immer choraliter gesungen. Nun scheint man sich mit der Reform so allmählich zu befreunden, was ich daraus schliesse, dass dagegen nicht mehr gesprochen wird.
MUSICA SACRA, Regensburg, 1. April 1893, Nr. 4, S. 47
Fünfkirchen (Pécs), 19. Februar: in der Kathedrale: "Ecce Sacerdos" 4st. und "Te Deum" 4 st. von Mich. Haller. Introitus, Graduale, Tractus und Communio choraliter. Missa Papae Marcelli 6st. von Palestrina. Unser Programm für die Karwoche lautet: Palmsonntag: Prozessionsgesänge von Mitterer. Missa choraliter. Passio 4st. von Suriano. Offertorium: Improprium 4st. von Orl. Lasso. Donnerstag: Ad Matutinum: Responsorien von Mitterer, (welche an den folgenden Tagen fortgesetzt werden) Miserere, 2chörig von Giovan. Fr. Anerio. Ad Missam: Ecce sacerdos 6st. von Const. Porta. Missa choraliter. Offert.: Dextera Domini" von Mitterer. Ad Communionem Cleri: Lauda Sion, Pange lingua von Haller aus Laud. Euch. No. 3. Mandatum novum 4st. J. G. Mettenleiter. Karfreitag: Passio von Suriano. Improperien 5st. von Palestrina. Vexilla regis 6st. Mettenleiter. Jesu dulcis amor meus 4st. Haller. Samstag: Gloria aus Mitterer Missa de Apostolis. Ps. Laudate Dominum 4st. de Zachariis Magnificat 4st. auct. Ignoto. Zur Auferstehung. Resurge 4st. von Ign. Glatt Regina coeli 4st. von Suriano. Tantum ergo 5st. von Haller. Sonntag: Ecce sacerdos 6st. von Haller. Offert. Terra tremuit 4st. von Haller. Montag: Offert. Angelus Domini 5st. von Palestrina. Von Messen, deren Wahl von der Disposition der Sänger beeinflusst wird, müssen aus unserem bereits vorhandenen Repertoire diejenigen genommen werden, welche wir nach Umständen gut besetzen können. Eine 6st., vier 5st., sechzehn 4st. und zehn 3- und 2st. sind einstudiert. Die nicht benannten Teile werden choraliter gesungen.
MUSICA SACRA, Regensburg, 1. Mai 1894, Nr. 5, S.60
Fünfkirchen. Programm des Domchores, Dirigent Ign. Glatt. Palmsonntag: Palmenweihe: choraliter. Beim Umgang: Cum angelis und Ingrediente von Haller. Missa: choraliter. Passion von Soriano. Offertorium: Improperium 4 stimm. Orl. Lasso. Montag, Dienstag und Mittwoch: alles choraliter, auch die Passionen. Mittwoch nachmittag um 4 Uhr ad Matutinum die Responsorien von Haller. Miserere 2 chörig zu 4 u. 5 St. Palestrina XXXI. Bd. no. 7. Donnerstag: Ecce Sacerdos 6 str. Const. Porta. Missa choralis. Gloria aus der 5str. Messe de Ss. App. von Mitterer. Offert: 4 St. von Mitterer. Zur Kommunion: Lauda Sion 4 St. in hiesiger Gesangsweise. Pange lingua von Haller no. 3. ex Laud. Euch. Zur Fusswaschung: Mandatum novum von J. G. Mettenleiter und In hoc cognoscent 4 st. von I. Glatt. Ad Matut.: Responsorien von Haller. Miserere 4 u. 5st. von G. Fr. Anerio. Karfreitag: Missa: choraliter. Passio von Soriano. Improperien 8 St. von Palestrina.- Vexilla regis 4 st. von Mettenleiter. Jesu dulcis amor Haller. Ad Matut.: Responsorien von Haller, (alle klangen in unserem Dome wunderschön! vivat auctor!) Miserere 4 u. 5 - letzter Vers 9 st. von Palestrina (XXXI. Bd. no. 8.) - Charsamstag: Missa: choraliter. Gloria aus Hallers Missa VI. 4 v. cum Org. - Ps. Laudate Dominum von Caes. de Zachariis. Magnificat Auct. Ignoto. - Zur Auferstehungsfeier: Exsurge 4 st. von I. Glatt. Regina eoeli 4 st. von Soriano. Tantum ergo und Genitori 6 St. von Haller. (Laud. Euch.) - Ostersonntag: Ecce sacerdos 6 St von P. H. Thielen. Missa VI. Toni von Joann. de Croce 5 st. - Offert. Terra tremuit 4 st. Haller. Vesper mit 4 stimm. Falsibordoni von Caes. de Zachariis, Viadana etc. - Ostermontag: Missa in hon. S. Henrici 5 st. von Haller. Offert. Angelus Domini 5 st. von Palestrina. Vesper: wie am Sonntag. Zur Erweiterung unseres Repertoires kommen Missa: Cantabo Domino von Viadana, Puisque j´ay perdu von Orl. Lasso nach Repert. mus. s., - Missa solemnis von Ebner (klingt recht feierlich). - Missa in honorem B.M.V. Matris dolorosae von Griesbacher und (so Gott will) noch andere. (Dank und Gruss der Redaktion!)
MUSICA SACRA, Regensburg, 1. März 1895, Nr. 3, S. 40
Res Hungaricae. Die Mitglieder des Allg. Cäcilienvereins und Förderer der echten Kirchenmusik hören so wenig von Ungarn, dass einmal eine kleine Nachricht nicht uninteressant sein wird.
Es ist wahr, dass hier eine so große Apathie gegen die Kirchenmusik herrscht, dass man wirklich nichts zu berichten hat. Es finden sich auch hier Vorkämpfer der guten Sache, aber nach einem kurzen Kampfe muss ein jeder unterliegen; umsonst erhebt ein jeder seine Stimme, der von der Kirchenmusik spricht, seine Stimme verhallt in der Wüste, von allen Seiten hört er nur: "wir haben es so gefunden", "wenn es bis jetzt gut war, warum sollte es von nun an nicht gut sein", "nihil innovetur" u. s. w.! Die kirchlichen Obrigkeiten, eine Diözese ausgenommen), kümmern sich um die Kirchenmusik so wenig, wie wenn es nicht einmal eine kirchliche Sache wäre; und eben Kapitel-Chöre behandeln die Kirchenmusik am grausamsten, denn bei diesen scheint als Motto zu gelten: "Je eher fertig, desto besser."
Es ist schon im Jahre 1879 ein großes Buch erschienen über die Kirchenmusik von Michael Bogisich, derzeit Probst-Pfarrer und Dechant zu Budapest, sind Vorarbeiten geschehen zu einem Kirchenmusik-Verein, ist auch eine Zeitung erschienen zur Förderung der Kirchenmusik, aber der sündhafte Indifferentismus ist so groß, dass bis jetzt jeder Eifer Schiffbruch erlitten hat, und jede Hoffnung zu Wasser geworden ist.
Es wird auf der hiesigen Musik-Akademie auch die Kirchenmusik vorgetragen, aber wie!? und zweitens nimmt niemand Anteil an dem Unterrichte von denen, deren heilige Pflicht es wäre; denn es wird die Musik nur als Broterwerbszweig behandelt, und so kommt dann vor, dass nicht nur Nichtkatholiken, sondern auch Nichtchristen verwendet werden beim katholischen Gottesdienste und bei den Zeremonien.
So stehen die Sachen hier bei uns. Traurig genug, aber wahr! Bei uns findet alles seinen Mann und seine Förderer, nur die Sache der Kirche nicht! (Pessimist soll kein Mensch auf lange Zeit bleiben, solange er Odem in den Lungen und Tinte in der Feder hat. Vielleicht triumphiert in Ungarn auch einmal die Kirchenmusik, wenn die religiös-politischen Kämpfe der jetzigen Zeit zu einem günstigen Abschluss kommen werde. Sowohl Fäulnis als Wachstum müssen mit einem kleinen Punkte beginnen, und nach geistigen Revolutionen hat auch die Kirchenmusik stets warme Freunde und begeisterte Pflege gefunden. (D.R.)
MUSICA SACRA, Regensburg, Nr. 4, 1. April 1895, S. 64
Nach Ungarn. Sie haben den Artikel in Nr. 3 Res Hungaricae zu zahm gefunden und der Redaktion verübelt, dass sie vor Pessimismus gewarnt hat. Es mag Sie erheitern und Ihnen ein Argument gegen jene sein, welche über die Einmischung der "Schwaben" sich "schwarzgelb" (warum nicht grün-rot-weiss!?) geärgert haben, was ein bayer. Blatt jüngst aus Rom berichtet hatte. Da war wörtlich zu lesen: "20. März. In der Ansprache, welche der Papst im Konsistorium am 18. d. M. gehalten hat, erklärte Leo XIII., die ungarischen Kirchengesänge entsprächen den katholischen Prinzipien nicht." Ein ominöser Druckfehler!
MUSICA SACRA, Regensburg, Nr. 5, 1. Mai 1895, S.72
Aus Bukarest geht der Redaktion ein längerer Bericht über die dortigen kirchenmusikalischen Verhältnisse und Bestrebungen zu, denen nachfolgende Stellen entnommen sind. Der neue Erzbischof, Dr. Otto Zardetti, welcher während seiner Thätigkeit in Amerika, dem Cäcilien Verein große Sympathien entgegengebracht hat, kann einstweilen bei den fast trostlosen Verhältnissen in Rumänien, das für die katholische Kirche als Missionsland gelten kann, noch wenig eingreifen und vorgehen, da ihm ja viel wichtigere Dinge obliegen; sicher jedoch wird er auch in seinem neuen Wirkungskreise ein kräftiger Protektor der guten musikalischen Sache sein.
Der Chor der englischen Fräulein bildet eine liebliche Oase in der kirchenmusikalischen Wüste. Derselbe führte in seiner Kapelle während des 40 stünd. Gebetes an den 3 Fastnachtstagen ein schönes Programm durch. Monsign. Zardetti inaugurierte die Feier durch ein Pontifikalamt mit einer ergreifenden deutschen Anrede. Ecce sacerdos und das Tages-Offert. Benedictus es waren von Witt, die Messe Salve Regina von Stehle, Pange lingua aus Könens Venite adoremus Nr.3, abwechselnd mit den Choralstrophen. Nachmittags wurden während der Betstunde deutsche Lieder aus Coram tabernaculo von Haller, sowie Sakramentsgesänge von Könen, Aiblinger und Mozart gesungen. Am 2. Tage führte man die Missa Adelgunda von Aiblinger auf, am 3. die Messe in hon. S. Michaelis von Witt. Beim Te Deum musste freilich nochmals Führer herhalten mit einer Komposition in der die 3. u. 4. Seite mit den Worten in aeternum und non confundar ausgefüllt ist, während die Orgel die Tonleiter in Arpeggien auf- und abrasselt und damit alle Gesangslücken zudeckt. Man muss aber hie und da noch ein Liedchen auf der alten Geige kratzen, sich nach der Decke strecken, opponieren und nachgeben, je nachdem der hl. Geist Licht und Kraft verleiht. Denn das Einstudieren ernsterer Messen, wie der von Stehle und Witt, geht bei den geringen Kräften nicht ohne Blutschwitzen ab. - Die Redaktion spricht Mut zu und wird auf die übrigen Punkte der Zuschrift brieflich antworten. Solange die demütige und edle Gesinnung anhält, welche sich im nachfolgenden Satze ausspricht, kann es an Erfolg nicht fehlen, denn auch Tropfen höhlen den Stein. Der Satz aber lautet und ist jedem Chorleitei als goldene Regel zu empfehlen: "Ich setze mir immer einen Korrektor vor, unterbreite ihm jede Notenzeile, die ich schreibe, und frage ihn, ob ja oder nein. Ist er zufrieden, dann kniee ich so goldig glücklich nach jedem Gottesdienst zu Füssen des Altares und danke für jede Note, die ordentlich gesungen d. h. gebetet wurde."
Die verehrl. Leser werden erraten, wie dieser Korrektor heißt, ohne Zweifel der lebendige, im Tabernakel verborgene Heiland, in dessen Gegenwart ein kirchlicher Sänger und Komponist andere Töne anschlägt, als wenn er aus Eitelkeit vor eitlen Menschen singt und musiziert.
Im gleichen Heft schreibt der Redakteur, dass er briefliche Nachrichten aus Temesvár und Szegedin erhalten habe. (S. 76)
MUSICA SACRA, Regensburg, Nr. 7 u. 8, 1. Juli 1895
Ujvidék, (Neusatz) [Novi Sad, heute Serbien, Banat] Ungarn. Seit nahezu 2 Jahren wird in der hiesigen Pfarrkirche
mit besonderer Vorliebe und mit bestem Erfolge für die Gläubigen nur wahre katholische Kirchenmusik gepflegt und gesungen. Als Messen werden nur solche genommen, welche den vollständigen, unverstümmelten Text besitzen. Zum Graduale und Offertorium wird stets der ständige Text des Graduale Romanum gesungen. In letzt vergangener Zeit kamen zur Aufführung: Am Ostermontag die Sankt Bonifacius-Messe (Op. 100) für 4 stimmigen gemischten Chor mit Orchester (ohne Trompeten und Pauken) von J. Gr. Zangl. Graduale: Haec dies... V. Confitemini 4st. gemischten Chor von C. Aug. Leitner. Offertorium: Terra tremuit 4 st. gemischter Chor aus Joh. B. Tresch´s Enchiridion. Ostermontag. Missa Salve Regina 4 st. gemischt von Franz X. Witt, Op. 36. Graduale: Haec dies V Dicat nunc v. Leitner. Offert. Angelus Domini 4 st. v. J. G. E. Stehle aus Franz Witt Offertorien Op. 15. Christi Himmelfahrt: Sankt Cassian´s Messe (Op. 72) 4st. gemischt mit Orchester von J. G. Zangl. Graduale: Alleluja V. Ascendit 4 st. gemischt von Leitner. Offert. Ascendit Deus 4 st. gemischt von Ferd. Schaller. (Aus Witt´s Offertorien.) Die Responsorien sind stets gregorianisch.
Der Kirchenchor besteht aus 20 Personen, 10 Damen und 10 Herren. Ich hoffe aber, dass es bis zur Zeit der Einweihung der neuerbauten Kirche gelingen wird, die Anzahl der Sänger bis auf die Zahl 50 zu erheben. Dirigent: J. Leh.
MUSICA SACRA, Regensburg, Nr. 7 u. 8, 1. Juli 1895, S. 94
Res Hungaricae
Die Redaktion der Musica Sacra hat seit Veröffentlichung des Artikel in Nr. 3 eine Reihe von Klagen, Protesten, Zustimmungen, Vorschlägen, Schilderungen erhalten, aus denen sie einen "Blumenstrauss" zu winden sich entschlossen hat, nachdem sie durch wiederholte Korrespondenzen und durch Ausscheidung gar zu giftiger oder übel riechender Spezies von Thatsachen und Zuständen hoffen darf, mit der Veröffentlichung nachfolgender Zeilen Gutes zu bewirken, zur Vereinigung anzuregen, zum Nachdenken zu bewegen, zu Thaten anzueifern.
Die Ursachen der üblen Verhältnisse lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen, bei denen auch öfters das Heilmittel angeführt werden kann:
1. Die allgemeine Bildung ist noch nicht so weit fortgeschritten, um einigermassen auf Sympathie für Erneuerung der kirchenmus. Verhältnisse rechnen zu können. Der Sinn für Musik ist am wenigsten ein allgemeiner, da diese Kunst nur als eine Art Unterhaltung betrachtet wird. Da ist also Belehrung (praedicate) sehr notwendig.
2. Das Glaubensleben ist zu wenig allgemein und stark; daher der jetzige Wirrwarr; erst müssen sich die Umstände klären und bessern, ehe Stabiles und Gutes überhaupt aufblühen kann. Es gährt noch zu viel!
3. Es ist kein Gemeinsinn vorhanden. Alle Institute sind meistens sehr unpraktisch, stiefmütterlich, überaus "billig" behandelt. Für Kirchenmusik ist kein Geld aufzutreiben. Auch begeistern sich die "alten Herrn", die allein etwas in ihren Stellen erzielen könnten, für ideale Dinge in keiner Weise.
4. Die Vorkämpfer mussten bisher unterliegen, weil ihre Wissenschaft selbst zu wenig geklärt war, und sie öfters nur neue Missgeburten zu Tage förderten.
Beim Publikum fehlt es nicht ganz am guten Willen, besonders in den unteren Schichten. Die meiste Schuld tragen daran die höher Angestellten, welche die eigentlichen Leiter sein sollten; auszunehmen ist die Pécser (Fünfkirchener) Diözese und Kalocsa bei den hochw. Jesuitenpatres.
Es erschienen auch bereits Broschüren über Kirchenmusik; aber wer einmal ein deutsches, klar, populär und interessant geschriebenes Buch gelesen, der sehnt sich nicht im mindesten nach den ungarischen, oft misslungenen Nachahmungen.
Man kann versucht werden zu glauben, dass die Kirchenmusik, wie das Evangelium vom königl. Hochzeitmahl berichtet, nur durch die erst in 2. Reihe dazu Berufenen, durch Laienhände gut bewerkstelligt werden könne; sowie in der Politik jetzt meistenteils alles Gute und den schönsten Sieg die Laien (ein Graf Zichy, Esterhazy) mit Eifer und Mannesmut zuwege bringen und gewinnen. Sollte der theoretisch überall so hochgeschätzte priesterliche Freimut schon ganz abhanden gekommen sein?
Einstweilen ist es ein Glück zu nennen, dass Musik in der Kirche Broterwerbszweig ist, denn sonst wäre gar kein Ausüben derselben mehr vorhanden. Wirklich! ein saurer Broterwerb, wenn an Kathedralen der Chordirigent 300 fl., Organist und Sänger je 150-200 fl. jährlich beziehen. Natürlich ist auch die Auswahl darnach, da diese Stellen die letzten (Verzweiflungs-) Erwerbsquellen repräsentieren.
"Nicht Christen" heißt es - sehr möglich; bei uns aber sind alle getauft, nur kommt es vor, dass z. B. der Organist und Sänger auch im Judentempel, Evangelistenkirche, Pfarr- und Domkirche zugleich fungieren - "so bringt´s Geschäft doch was ein."
6. Warum stehen Kapitelchöre an der Spitze der Unkirchlichkeit? Weil hier die meisten Posaunen erschallen (tuba mirum spargens sonum), und weil die musikalisch halbgebildeten Dilettanten und kokettierende Dilettantinnen, sowie die kirchenmusikalisch ungebildeten Opern- und Theatersänger und Sängerinnen zwar umsonst, aber doch noch zu teuer, auf die Kosten der Ehre Gottes, der Erbauung und des guten Gehörsinns der bedauernswerten andächtigen Zuhörer, mehr Zuhörerinnen (denn Männer sind wenig daselbst anzutreffen) "Probe" halten und glänzen wollen, während auf dem Dorfe meistenteils der Gesang mit Orgelbegleitung genügen muss, wo Jahr für Jahr die Haydn-Messe und Ähnliches, aber doch aus Kinder- und Volksmund andächtig erschallt.
7. Einzig und allein die eminent kath. Institute (wie z. B. die Klöster der englischen Fräulein und von Notre Dame) geben Hoffnung, dass "das Wachstum an einem kleinen Punkte beginne", schon weil die Verbreiter derselben mehr beliebt, also die Sache so mehr populär werden kann. Auch bei der besten Administration wird der Grundpfeiler der guten Sache immer der Pfarr-Cäcilienverein bleiben, weil der gute Samen erst dann seinen Zweck erfüllt hat, wenn auch die kleinsten Zweige des grossen Stammes die Sache gut verstehen und durchführen. Verzweifeln und Pessimist werden darf jedoch niemand schon deshalb nicht, weil es eher nur besser werden kann?.
8. Als kleinen Beweis wie tieftraurig die dortigen kirchenmusikalischen Zustände sind, sei das Programm eines Hochamtes mitgeteilt, welches im Mai d. J. nicht abgesungen, sondern abgebrüllt wurde. Glucks "Hymnus", gemischter Chor aus der Oper Iphigenie auf Tauris, Gluck, Psalm, gemischter Chor. Liszt O Filii et Filiae, aus dem Oratorium Christus. Mozart Ave verum gemischter Chor. Szögedi, Ave Maria, mit Solo Violine. Rossini, Sanctus Solo-Gesang. Liszt, Benedictus Violin-Solo aus der Krönungsmesse. Mozart, Agnus Dei, Solo-Gesang. Revolutionäre Liederweisen aus der Rakoczi-Zeit sind nichts seltenes, aber sicher ein Frevel in der Kirche.
9. Die ungarische weltliche Musik hat einen so auffallenden Charakter, dass man sie gleich von der Musik aller andern Nationen unterscheiden kann; eben dieser Charakter ist auch die Ursache, dass die ungarischen Musik-Komponisten die Kirchen-Musik nur als Ausnahme pflegen; weil sich die charakteristisch-ungarische Musik nicht für Kirchen-Musik eignet. Gesungen und musiziert wurde und wird auch jetzt noch an vielen Orten; die Messen aber werden von den österreichischen Komponisten genommen. Da, besonders an grösseren Stellen, die Chorregenten vom "Ausland" kommen, so ist die Kirchenmusik in Ungarn am Ende des vorigen Jahrhunderts und auch jetzt noch in demselben Stadium wie in Österreich. Die verweltlichte Musik wird, da sie aus denm übernatürlichen Gnadenreiche keine Nahrung nimmt, immer schwächer und degeneriert. Das haben auch die Väter der "Synodus dioecesana" zu Gran (im Jahre 1860) erkannt und die Musik aus der Kirche verstossen. Diese Verbannung aber war kein Heilmittel, das auf eine Reinigung und Verbesserung der Kirchen-Musik gezielt hätte, sondern eine totale Niederlage, so dass die Kirchen-Musik noch sehr lange seufzen muss, bis sie sich bei der grössten Anstrengung ihr Recht zurückerwirbt. Es ist jedenfalls notwendig gewesen, dass die leichtfertige und skandalöse Musik aus der Kirche verbannt werde, unbegreiflich ist es aber nach 35 Jahren, dass der Befehl beim feierlichen Amte allgemein den Volksgesang einzuführen, bis heute nicht widerrufen ist!
Nach diesem kann es niemanden wunder nehmen, dass die kirchenmusikalische Bewegung so schwer in Ungarn Fuss fasst, und dass auch in der Hauptstadt trotz vieler Reden und grosser Anstrengung am 4. Mai bei der Einweihung der prachtvoll restaurierten Josephstädter Kirche unter dem Pontificalamte die Schulkinder ein ungarisches Messlied gesungen haben, am folgenden Tage aber, dem Schutzfeste des hl. Joseph, als Kirchtage, die Nelsonmesse von Haydn musiziert wurde. Zu Ostern hat in Kalocsa ein neuer Regenschori, an den viele Hoffnungen geknüpft waren in betreff der kirchenmusikalischen Bewegung, Schiedermeyer, Diabelli´s grosse D-dur Messe u. s. w. vortragen lassen durch den dortigen Sängerverein. In einer Musik-Zeitung wurde gerühmt, dass die ganze Messe mit einer Präzision gegeben worden sei, die zur Hebung der Andacht diente (?!). In derselben Nummer war aber auch eine schöne österliche Meditation über die Kirchenmusik, die mit den Worten endet: "Wann kommt endlich die Zeit, dass zur Hebung und Förderung der kathol. Kirchenmusik bei uns Vereine entstehen!?"
10. Seit 1860 wurde ein einzigesmal die Notwendigkeit der Reform der Kirchen-Musik ausgesprochen, aber nicht als Befehl, sondern nur als Rat, bei der Empfehlung des Werkes Michael Bogisich´s von der alten christlichen Musik: "A keresztény egyház ösi zenéje"; der selige Kardinal Simor schreibt nämlich im Circ. 1879 Nro. XIII. pag. 75:
"Cohiberi non possum, quin egregii practici cantoris opus, cujus uberrimum tenorem ipsa praenumerationis folia ab oculos sistunt, impensius commendem, et quod opto declarem, ut opus hoc initium saltem sit eo dirigendorum moliminum ac studiorum, ut quod Summi Pontifices, Ecclesiarumque Praesules tantopere urserunt et urgent, genuinus ille cantus, concentusque musicus, qui in Ecclesia olim pro summa fidelium aedificatione viguit, quive nunquam extra vigorem poni debuisset, cognoscatur, adametur, restituaturque."
Seitdem ist aber zur Förderung der Reform nichts geschehen. Es ist daher sehr angezeigt, dass der Wunsch, welchen mehrere der Herren Korrespondenten ausgesprochen haben: "Wir müssen uns persönlich kennen lernen und vereinigen, und nicht vereinzelt zu ermüden und zu erlahmen", recht bald in Erfüllung gehe. Die Redakt. der Musica sacra ist gerne bereit, zur Einigung beizutragen.
MUSICA DIVINA, Wien, 4. Jg., Nr. 4, April 1916, S.97
Zur Kirchenmusikreform in Ungarn
In einem vor wenigen Wochen ausgegebenen Erlass verfügt Bischof v. Balás von Rozsnyo (Rosenau), daß in jeder Kirche, auch die Filialkirchen miteingerechnet, ein Kinderchor organisiert werde, der die Responsorien zu singen hat. Das Solorespondieren des Schullehrers verbietet der Oberhirt ein für allemal. Überhaupt wird jedes Solosingen untersagt. Die Präfation und das Paternoster dürfen nicht mehr von der Orgel begleitet werden, weil dies rubrikenwidrig sei. Die alten Volksgesänge sollen in der ursprünglichen (einfachen) Melodie, und zwar einstimmig gesungen werden. Ferner wird die Ernennung einer Diözesankommission für Kirchenmusik in Aussicht gestellt. Der Bischof gestattet den Pfarrkirchen, auf Kosten der Kirchenkasse das "Egyházi zeneközlöny" anzuschaffen, um so in den Besitz der korrigierten Kirchengesänge zu gelangen. Vorliebe für gezierte Melodien und die Eitelkeit so mancher Organisten, die stets den ganzen Kirchenraum durch ihre eigene Stimme beherrschen wollten, hatten in Ungarn zum Mißstand geführt, daß oft die gesamte Kirchenmusik an einer Kirche auf eine einzige Kraft angewiesen war. Da kam der Krieg, diese einzige Kraft wurde vielleicht einberufen, und nun stand man da und konnte nicht einmal die Responsorien bewältigen, weil niemand dazu eingeschult war. Daher die Anordnung des Bischofs von Rosenau, Kinder hiezu ausbilden zu lassen.
- Orgelkurse für Einarmige. Graf Géza Zichy, der Vorsitzende des Pester Nationalkonservatoriums, hat bei der Jahresversammlung dieser Anstalt den Vorschlag unterbreitet, für einarmige Musiker einen besonderen Lehrgang zur Ausbildung im Orgelspiel einzurichten, damit diese Musiker sich zu Kantoren ausbilden können. Der Antrag wurde angenommen. Die Redaktion der Musica Divina erhielt zu diesem Gegenstande nachstehende persönliche Mitteilung des Anregers, der bekanntlich zu den einarmigen Klaviervirtuosen gehört: "Der Lehrplan ist noch nicht ausgearbeitet. Vorläufig beabsichtige ich nur die einarmigen Kantoren, Organisten und Lehrer so weit ausbilden zu lassen, daß sie mit Hilfe des Pedals die einfachen Kirchengesänge begleiten können. Selbstverständlich muß die Harmonie für eine Hand vereinfacht werden. Das will ich gern besorgen. Hochachtend Graf Géza Zichy."
MUSICA DIVINA, Wien, Monatsschrift für Kirchenmusik. Herausgegeben von der Schola Austriaca. VIII. Jg., Nr. 11-12, Nov.-Dez. 1910.
Kalocsa (Ungarn). Die Dom- und Metropolitankirche im Kirchenjahre 1919/20. (Der Chor wurde während des Kommunismus - Juni 1919 - aus der Intelligenz der Stadt reorganisiert und besteht aus 62 Mitgliedern.) Seither wurden aufgeführt:
1. Messen. A. Instrumental: Faist A., op.8, op 25 (Pastoralis); - Filke, op. 47, op. 80,
op. 122; - Griesbacher, op. 132 (Benedkti); Huber H., op. 25 (Salve Regina pacis)
B. Vokal mit Orgelbegleltung: Goller, op.8 (S. Stephani), op. 66 (S. Clementis); Griesbacher, op. 141 (Stella maris); Gruber J., Kinderfreundmesse; Haller M., XVI (S. Antonii); Perosi, Pontificans; Stehle, Preismesse; Ziegelmeier, op. 24, op. 29 (Sub umbra illius), op. 35 (Dona nobis pacem), op. 47 (Coeli enarrant).
C. Vokal ohne Begleitung: Beltjens, op.139 ; A. Griesbacher, op.13 (S. Sigismundi); Nekes, op. 11 (S. Arnoldi).
2. Requiem: Filke, op.111 (Instrumental); Huber H., C moll; Mitterer I.; Goller, op.73.
3. Gradualien und Offertorien von Goller, Gruber, Haller, Filke, Griesbacher, Kersch, Stehle, Sztára, Witt, Mitterer, Schaller, Leitner.
4. Motetten, Hymnen, Antiphonen usw. von Goller, Griesbacher, Filke, Szupper, Kosch-Hellmesberger, Kersch, Hennig, Mozart, Palestrina, Gruber.
5. Te Deum: Gruber J., op. 125.
6. Vespern von Gruber J., Griesbacher, Kempter, Mitterer, Sztára, Kammerlander, Bauer, Schottenhammel.
7. Karwoche von Goller, Passion von Stehle, Miserere von Rheinberger und Seyler, Improperien von Vittoria, Tenebrae von Palestrina, Ecce quo modo von Handl. Zur Auferstehung Psalmen von Kersch. (Dr. Jakob Wildinger, Domchordirektor zu Kalocsa)
Dieses erste Lebenszeichen aus Ungarn seit dem Umsturz hat uns sehr gefreut. Der Domchor von Kalocsa war schon seit langem ein Fahnenträger echter Kirchenmusik, aber er kam, da er 8 Jahre ohne Dirigent war, ganz herunter. Daß er trotzdem wieder seine Kräfte zum Lobe Gottes und der Kirche zu sammeln vermochte, verdankt er dem - Kommunismus. Leider sieht es mit der Musica sacra im übrigen Ungarn sehr traurig aus. Vor allem ist Budapest gegenwärtig ein Beispiel für liturgiewidrige Musik. Dort besteht zwar ein Palestrina-Chor, aber nur für Konzertzwecke. In den Kirchen gibt es große Orchester mit wenig oder gar keinen Sängern. Trotzdem findet man diese Musik großartig. Natürlich! Es werden ja lauter "Klassiker" aufgeführt, und auch Gounod kommt nicht zu kurz. Wie lange dieser Zustand noch dauern soll?
MUSICA SACRA, Beiträge zur Reform und Förderung der katholischen Kirchenmusik, herausgegeben von Dr. Franz Witt, Regensburg, 21. Jg., Nr. 4, 3. April 1888, S. 53
Aus Budapest in Ungarn
Abgesehen von den größten Haupt- und Reichsstädten dürfte es kaum viele Städte geben, in denen so viel und auch so gute Musik gemacht wird, als bei uns. Von der großen Oper angefangen haben wir philharmonische Concerte, Oratorien, Canaten, Choraufführungen, Kammermusik, etc. bis herab zur Liedertafel und den letzten Dilletanten-Vorstellungen; kurz ein Kunsttreiben, daß in der Concertsaison und auch darüber täglich oft in drei oder vier Sälen Productionen ersten (?) Ranges zu verzeichnen sind. Wer sollte noch daran zweifeln, daß bei so viel Vorliebe für Musik nicht auch die Kirche ihren Antheil hätte?
Noch kaum vor einem Vierteljahrhundert concentrirte sich die ganze Menge in und um die Kirche, und alle Pfarr- und Klosterkirchen waren mit Musik hinreichend versehen, wogegen sich heute mit knapper Mühe in den beiden Hauptkirchen, Ofen (Festung) und Pest (innere Stadt), eine nur halbwegs entsprechende Kirchenmusik fristet. Nicht als ob man hier schon gar keine gute Kirchenmusik zu hören bekäme, denn es werden auch jetzt im Jahre hindurch große Werke, wie Mozart und Cherubinis Requiem, Messen von Cherubini, Beethoven (C), Haydn, Hummel etc. mit ziemlichen Massen aufgeführt, ja in der Karwoche auch Werke von Croce, Palestrina, Roselli, Vittoria, Witt etc.; aber, und dieses “aber” ist die Achilles-Ferse unserer Kirchenmusik, diese Aufführungen bilden ebenso viele Ausnahmen, und kommen nur in außergewöhnlichen Fällen vor, während an gewöhnlichen Sonn- und Feiertagen eine nicht zu verbergende Decadence zu vermerken ist.
Man ist sich des Verfasses bewußt; man weiß auch gut, daß heutzutage an einen Chor viel größere Anforderungen als früher gestellt werden; man hat die Überzeugung, daß, dachdem alles, was nur einen Krächzer machen kann, sich der weltlichen Musik zuwendet, der besoldete Chor für sich allein viel zu wenig stark ist, um den Wünschen und zeitgemäßen Erwartungen entsprechen zu können; trotz alldem geschieht zur Verbesserung dieses Übels nichts, und der Chor wird heute ebenso honorirt, wie vor vierzig Jahren.
Die Reform anbelangend wurden zu wiederholten Malen Versuche gemacht; doch ging die Initiative nie von den maßgebenden Kreisen aus, sondern stets von Dilettanten, die in der Kirche sowohl als außer dieser so lange musiciren, als sie daran eben ihre Freude haben. So enstand vor circa 21 Jahren der Ofener Kirchen-Musik-Verein, dessen Präses weil. Dr. Augusz gewesen. Gewiss war es nur Letzterem zu verdanken, daß sich der mit ihm innigst befreundete große Meister Franz Liszt an die Spitze der Gesellschaft stellte.
Dr. Franz Liszt, seiner Zeit auch der Generalversammlung des allgemeinen deutschen Cäcilien-Vereins, ich glaube in Eichstädt, anwohnend, ward durch die edle Richtung und durch die mächtige Wirkung der dort gehörten Musteraufführungen so tief ergriffen, daß ihm als alleiniges Ideal reiner Kirchenmusik nur diese vorschwebte, und daß er somit dieselbe auch dem Ofener Kirchen-Musik-Verein zum Muster hinstellte. Ohne weiters ließ er die damals erschienenen sämtlichen Hefte der Musica divina aus eigenen Mitteln ankaufen, und machte selbe dem Verein zum Geschenke. Er wies dierkt auf die Messen Palestrinas, O. Lassus, Leo Hassler und Witt hin, und erschien anfangs sozusagen bei jeder Probe, um den damals fungirenden und für die Sache höchst begeisterten Dirigenten Anton Kneifel die nöthigen Anleitungen zu geben. Die Aufführungen aber leitete er selbst, und so kam es, daß der Verein im Kurzen mit Palestrinas Missa brevis debutirte. Die Mathias-Kirche in der Festung war von Andächtigen dicht gefüllt und das gegenseitige Beglückwünschen wollte schier kein Ende nehmen. So ging´s dann einige Jahre fort. Es kamen langsam immer neue Messen und Motetten etc. an die Tour; namentlich Witt´s Missa in honorem sancti Augustini, ja selbst Palestrinas Missa Papae Marcelli ward studirt. Die Aufführungen waren von Seite des Publikums stets besucht, und was den executiven Theil anbelangt, vortrtefflich; ob zwar selbe mit den Regensburger Aufführungen, besonders mit jenen der General-Versammlung (1874) nicht auf gleiche Stufe gestellt werden könnten. Eines muß hier bemerkt werden, daß sich diese Aufführungen nur auf die Advent- und Fastenzeit erstreckten, sonst aber instrumentale Musik gemacht wurde. Hätte man den schönen Resultaten nur einigermaßen Glauben schenken können, so wäre Budapest für die gemachten Bestrebungen als gewonnen betracht gewesen. Doch, als bald der Reiz der Neuheit abgestreift war, und sich Publikum ebenso wie Mitwirkende auch an den großen Meister satt gehört, konnte man die Alten ganz gut pausieren lassen. Trotzdem wurde mit der schon begonnenen Richtung fortgefahren, wenn auch eine gewisse Stagnation nicht zu leugnen war. Eben aus dem Grunde wäre es höchst ungerecht, wollte man sich an dieser Stelle nicht der Wirksamkeit des nun mehr verstorbenen Anton Kneifel erinnern.
Anton Kneifel, Chorregent in der Christinenstadt, und Lehrer bei den grauen Schwestern wie in der Mädchenpräparandie bei den englischen Fräulein in Pest, war der einzige, auf dessen Chor man beständig cäcilianische Musik (ich nenne sie kurz so) ohne Unterbrechung hören konnte. Messen- und Kirchen-Lieder von Haller, Greith, Singenberger und Witt wurden mit den Schülerinen studirt und kamen jeden Sonn- und Feiertag regelrecht zur Aufführung. Er führte auch die Choralresponsorien ein, und war beflissen, den Gottesdienst mit dem besten Zuthun seines Pfarrers womöglich liturgisch zu gestalten. Leider raffte ihn der Tod in Mitte seines thatkräftigen Lebens von hinnen. Im gleichen Sinne wirkte Schreiber dieses als Gesangslehrer an der Ofen-Wasserstädter Mädchen-Bürgerschule. Nur um die hiesigen Institutionen und manche Kreise einigermaßen zu kennzeichnen, soll Nachstehendes angeführt werden.
Laut ungarischem Schulgesetze soll in der III. und IV. Klasse drei- und vierstimmiger homophoner und polyphoner Gesang gelehrt werden. Mit homophonen Gesangsübungen und Chören war ich reichlich versehen, doch an poliyphonen happerte es sehr. Ich schrieb also an Se. Hochwürden Herrn Michael Haller, Capellmeister an der alten Capelle zu Regensburg, und erlkundigte mich um den dortigen Gesangsunterricht. Herr Haller unterwies mich in liebenswürdigster Art, und ich wählte sein “Vade mecum” zum Handbuch meines Unterrichtes. Außerdem ließ ich die Stimmen aus Stehle´s Preismesse, Hallers 2- und 3stimmigen Messen ohne Text copiren, und verwendete diese als Gesangsübungen. Es ist zu bemerken, daß ich den Text aus dem Grunde nicht verwenden konnte, weil sämtliche Schulen in Budapest als confessionslos gelten, folglich ich es nicht wagen konnte, eine Messe durch Andersgläubige singen zu lassen. Als aber alles gut studirt war, ward es jeder Schülerin freigestellt, den Messtext außer den Lehrstunden unter die Noten zu setzen. Ich machte zugleich das Versprechen, daß, falls sie Lust hätten und von Seite ihrer Eltern wie der Schuldirektion keine Schwierigkeiten gemacht würden, die Messe in der Kirche gesungen werden könnte. Die Freude der Jugend war grenzenlos, und nachdem der lateinische Text vollkommen gut declamirt war, sangen wir die Messe und zwar das erste Mal zu St. Anna. Schülerinen anderer Confession drängten sich unter Thränen heran, und baten, da sie ja doch nicht umsonst das Gleiche gelernt haben wollten, mitsingen zu dürfen. Ich konnte natürlich niemand davon ausschließen, und so wurde nun indirect cäcilianisch gearbeitet. Ellenör eines der angesehensten ungarischen Blätter schreibt über eine spätere Aufführung folgendermaßen: “Am Pfingsmontage wurde in der Wasserstadt-Kapuzinerkirche von den Schülerinen der Bürgerschule die im polyphonen Stile geschriebene dreistimmige Messe von M. Haller gesungen. Der Gesang floß so schön und begeistert, daß ein jeder daran seine Freude haben konnte, und ist der Schule, die Herrn N. N. als Gesangslehrer hat, nur zu gratuliren. N. N. war auch derjenige, der vor einem Jahr die Schuljugend das erste Mal zum Kirchengesang verwendete, und dessen Beispiel nun auch von den übrigen Gesangslehrern der Hauptstadt befolgt wird. Wie sehr dadurch die Neigung zur Musik gesteigert, und wie sehr durch die harmonische Andacht unschuldiger Kirnder die Erhabenheitdes Gottesdienstes gefördert wird, dies bezeugen zu wollen, erscheint uns als überflüssig”.
Ich ging mit meinem Chor der Kleinen im strengsten Sinn des Wortes auf Gastrollen, denn wir wurden von Kirche zu Kirche gerufen. Doch sollte die Freude nicht ewig dauern. Als wir wieder einmal auf vielseitiges Verlangen auch in der X-Kirche singen wollten, worum, nebenbei bemerkt, von competenter Stelle angesucht wurde, erhielt ich einen Tag vorher den Bescheid, ich hätte in der Kirche nichts mit meiner Schule zu suchen. Morgen sei die Messe “sub infula” (von einem infulirten Prälaten, deren es in Ungarn eine übergroße Zahl gibt. Die Red.) folglich das Hochamt “feierlich”. Dies machte bei den Kindern und Eltern sehr böses Blut. Erst später wurde es mir klar gemacht, daß der Herr Infulträger stets mit Tusch empfangen werden müsse. So geschen im Jahre 1878. Man kann sich leicht denken, daß nach solchen Vorkommnissen die Ambition ein wenig abgekühlt, zumal den reinsten Bestrebungen eben von Seite einer maßgebenden Persönlichkeit Hemmschuhe angelegt wurden. (Fortsetzung in der Nr. 5, 1. Mai 1888)
Um auch die Instrumentalmusik einer besseren Richtung entgegenzuführen, wurden Greith, Habert, Brosig und Feigler´sche Messe studirt. Mit diesen ging´s aber nicht recht vorwärts, die Sehnsucht nach Haydn und Mozart war zu groß.
Eine entschiedene Reform konnte nach all´ dem keine rechte Wurzel fassen. So viel ward dessen doch erreicht, daß statt den alljährlich am Charfreitag nachmittags herkömmlich gebrachten Sieben Worte Christi von Jos. Haydn, nunmehr theils ältere, classische, theils neuere Chorwerke, vokal, aufgeführt, im Advent und in der Fasten aber die bereits studirten Werke in das Repertoire aufgenommen wurden. Einigemale kamen besonders Witt´s Improperien und dessen Stabat mater zur Aufführung. Nebst diesem wurden alt-ungarische Chöre in Bearbeitung des Hochw. Hern. Probstes Bogisich gesungen. Die ernste Stimmung die in diesen Chören obwaltet, eignet selbe besonders zu solchen Gelegenheiten. Probst Bogisich´s Verdienste um Hebung der Kirchenmusik sind allgemein bekannt, und können gerechterweise als die glänzendsten im ganzen Lande dahingestellt werden. Seine musikalische Bildung und sein umfangreiches Wissen in der alten Kirchenmusik bekundet er besonders in dem voluminösen Werke, das unter dem Titel A kersztények ösi zenéje (die alte Musik der christlichen Kirche von der Zeit der Apostel bis zur Gründung der niederländischen Schule 1450) in Erlau (1879) erschienen ist.
Aus dem Gesagten leuchtet deutlich hervor, daß zur Besserung der Kirchenmusik in Budapest Jahre hindurch im Sinne des allgem. deutschen Cäcilien-Vereines gearbeitet wurde. Eben so klar ist es aber auch, daß alles das, was bisher geschehen, nur auf den Ofener Kirchenmusikverein und auf das Wirken einzelner, der Kirche oft ferne stehenden Männer zurückzuführen ist. Folglich hat der Hochw. Herr Pfarrer E. J., der unter dem Titel Ungarn in den Fl. Bl. 1888 p.12 geschrieben, vollkommen Recht, wenn er behauptet, daß bei uns Reformen meistens nur durch die Persönlichkeit des Reformirenden erhalten werden. Stellt demnach die Person ihre Tätigkeit ein, so kann die gute Sache auch als beendet angesehen werden. Unter 22 katholischen Kirchen, darunter 15 Pfarreien, ist gegenwärtig keine einzige, in der außschließlich cäcilianische Musik gemacht wird. Besonders ist zu bedauern, daß der Ofener Kirchenmusik-Verein seine Wirksamkeit eingestellt hat, was übrigens gar nicht zu wundern ist. Der mangel an materieler Unterstützung, noch mehr aber die Gleichgiltigkeit, die man dem uneigennützigsten, oft aufopfernden Wirken entgegenbrachte, dabei eine gewiße Verachtung, mit der man nach Aussage eines großen Mannes die Mitglieder des Vereins nur als “arme Kirchenmäuse” betrachtet, war Ursache, daß sich der Feuereifer in wahre Lethargie umwandelte. Überhaupt war der Wirksamkeit des Vereins von Seite des hohen wie niedern Clerus, ebenso wie von Seite der Chorregenten nie das verdiente Interesse entgegengebracht, obzwar unter letzteren von 20 kaum 5 über wahre Kirchenmusik Ausschluß geben können. Ihr Gesichtskreis reicht mit harter Mühe bis Wien, und auch da nur von der Augustinerkiche bis zur Hofkapelle. Wollte man die Frage stellen, was diese Herren für Musik lieben und machen, so ist die Antwort bei der Hand. Sie componiren sich selbst etwas, wenigstens können sie sich dann deshalb brüsten. Unlängst war in einem Blatte zu lesen: “Am ...ten V. um 10 Uhr feierte N.N. mit seiner großen Messesein erstes Debut. N.N. der neuernannte tüchtige Chorregent an der Kirche zu St. N. hat durch dieses Werk sein hervorragendes Compositionstalent, wie seine Geschicklichkeit in der Instrumentirung bewiesen”. Bekömmt man dann das Werk solch´ “tüchtigen Mannes” zur Hand, so sieht man auf den ersten Blick, eingehend zu prüfen ist gar nicht notwendig, wie sich leichtfertige Themen, meist zweifelhafter Abkunft, mit einander abquälen. Stimmführung? Nun diese gleicht auf ein Haar dem Durcheinander einer aufgescheuten Heerde; und da gewöhnlich nur für großes Orchester geschrieben wird, in welchem Streich-, Holz- und Blechinstrumente mit den entsprechenden Gesangsstimmen unisono einherschreiten, so hat man den Schlachtlärm, wie er leibt und lebt, für die Kirche inscenirt. Neben solchem Spektakel erschienen natürlich Greith´sche Messen höchst fade.
Das Repertoire der beiden Hauptkirchen anbelangt, erstreckt sich selbst seit einem Jahre auf die Werke von Bogisich,. Brosig, Cherubini, Feigler, Greith, Haydn, Horák, Hummel, Lux, Mozart, Pembauer, Vavrinecz und Zsaskovszky. Da Vavrinecz noch nicht bekannt sein dürfte, so sei hier bemerkt, daß er seit einem Jahre in der Ofener Hauptpfarrkirche als Chorregent wirkt. Außer mehreren weltlichen Compositionen schrieb er drei Messen, zwar nicht in cäcilianischem Stile, aber doch immer hochernst, und mit äußerst interessanter Instrumentation. Im Advent wie in der Fasten kommen Greith, habert, Haller, Stehle, Witt abwechselnd zur Aufführung. Zuletzt sei noch ein Programm der Kirchenmusik-Produktion erwähnt, welche am Gründonnerstag 1887 in der Innerstädter Pfarrkirche abgehalten wurde, und aus folgenden Numern bestand:
1. Lamentationen des Propheten Jeremias mit Lickl´scher Harmonisierung
2. Responsorien von C. Croce
3. Improprien von Palestrina
4. Adoramus te Christe von Fr. Roselli
5. Responsorien von Vittoria
6. Stabat Mater von Witt
Pester Loyd schrieb über die Aufführung: “Wohl zum ersten Male war den andächtigen Betern in der Kirche die Gelegenheit geboten, eine würdige musikalische Feier des Tages zu begehen, welcher für die ganze Christenheit den Eingang zum Osterfeste bildet. Den gläubigen Kirchenbesuchern, wie denjenigen, die sich an einer künstlerisch ausgeführten Kirchenmusik erbauen, wird es sicherlich zur Befriedigung gereichen, wenn sie am heutigen Tage sich die Überzeugung geschafft haben, daß die mit Ungeduld erwartete Reform in den kirchenmusikalischen Aufführungen der Stadrtpfarrkirche nunmehr endlich greifbare Gestalt angenommen haben. Das Verdienst, einen der Hauptstadt würdigen musikalischen Gottesdienst geschaffen zu haben, gebührt dem seit einem Jahre fungirenden Regenschori”. Hier begegnen wir wieder einer der obenerwähnten außerordentlichen Aufführungen, die auch ihre guten Seiten hat, aber nicht als Maßstab für die allgemeinen Zustände der Kirchenmusik in Budapest gelten kann. Am Gründonnerstag 1888 wird eine gleiche musikalische Kirchenfeier abgehalten, von der, wenn es mir gestatte wird, ich nicht ermangeln werde Bericht zu geben.
Sigmund Szautner, Chorregent an der Innerstädtischen Pfarrkirche
Copyright © Dr. Franz Metz, München 2007
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