BuiltWithNOF
E D I T I O N   M U S I K   S Ü D O S T

Mädel aus dem Kokeltal

Vom Siegeszug und dem Vergessen eines siebenbürgischen Meisterwerks

Von Dr. Franz Metz

 

Keine zweite siebenbürgische Operette konnte im In- und Ausland solche Erfolge erzielen, wie das Werk des Komponisten Richard Oschanitzky (1901-1971) Mädel aus dem Kokeltal. Vielleicht war es sogar die erfolgreichste Operette überhaupt, die jemals im Rumänien der Zwischenkriegszeit entstanden ist. Allein die politischen Verhältnisse Europas im Jahre 1938, als diese Operette in Hermannstadt zum ersten Mal aufgeführt wurde, der Beginn des Zweiten Weltkriegs mit all seinen grausamen Folgen besonders für die deutsche Bevölkerung Rumäniens und die danach einsetzende kommunistische Diktatur führten dazu, dass dieses Meisterwerk in Vergessenheit geraten ist. Um so spannender ist es für uns heute, mehr als 75 Jahre später, etwas mehr über dieses Werk zu erfahren und auch diese Musik zu hören. Erst kürzlich konnten Teile der handschriftlich vorhandene Partitur in Temeswar entdeckt und das Aufführungsmaterial vom Verfasser dieser Zeilen erstellt und im Münchner Verlag EDITION MUSIK SÜDOST veröffentlicht werde. Der Temeswarer Dirigent Peter Oschanitzky, der jüngere Sohn des Komponisten, hat den verlorengegangenen Teil der Partitur anhand des erhaltenen Klavierauszugs vervollständigt und orchestriert. Für das bevorstehende Konzert hat er dieses Material freundlicherweise der GDMSE zur Verfügung gestellt. Samstag, 26. April 2014, um 19 Uhr, werden die wichtigsten Teile dieser Operette im Maybach-Saal der „Harmonie“ in Heilbronn erklingen, dargeboten von den Solisten, dem Chor und Orchester der 29. Musikwoche der Gesellschaft für deutsche Musikkultur im südöstlichen Europa.

Richard Oschanitzky

(1901-1971)

Programmheft der Premiere, Hermannstadt 1938

 

 

 

Entwurf von Gustav Binder zum Bühnenbild der Operette Mädel aus dem Kokeltal

 

Zwei deutsche Operetten aus Rumänien in der Zwangsjacke der Politik

 

Im Jahre 1937 sind in Rumänien fast gleichzeitig zwei bedeutende deutsche Operetten entstanden, die inhaltsmäßig viele Gemeinsamkeiten aufweisen: der Banater Komponist Emmerich Bartzer (1895-1961) schrieb seine Operette Grüßt mein Banat und Richard Oschanitzky schrieb seine siebenbürgischen Operette Mädel aus dem Kokeltal. Beide Komponisten stellten meisterhaft ihre Heimat in den Mittelpunkt, mit ihren Menschen, ihren Liedern und ihrer Geschichte. Durch diese beiden inhaltlich unpolitischen Werke sollte die Heimat der Banater Schwaben und der Siebenbürger Sachsen auch im Ausland vorteilhaft präsentiert werden.

Überflieht man die Libretti beider Bühnenwerke, kann man erstaunliche Gemeinsamkeiten feststellen. Es ist deshalb anzunehmen, dass man vermutlich von Berlin aus von den deutschen Künstlern im Banat und in Siebenbürgen verlangt hat, ihre deutsche Heimat im Südosten künstlerisch darzustellen. So kommen in beiden Werken die Dialekte der Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen vor, es werden einige typische Volkslieder gesungen, geschickt werden architektonische Merkmale von Städten dieser beiden Kulturlandschaften eingebaut, Ferienkinder aus Österreich und Deutschland treten auf und sogar das Charakteristische der beiden Konfessionen – katholisch im Banat und evangelisch in Siebenbürgen – kommt zum Vorschein. In Bartzers Operette ist es gleich zum Beginn das gemeinsame Dankgebet während des Erntedanks nach dem Schnitt, in Oschanitzkys Werk der protestantische Choral. Der zweite Akt beider Operetten spielt in Wien, nur für die bevorstehende Tournee durch Deutschland war Oschanitzky gezwungen, Berlin an dieser Stelle als Ort der Handlung zu nehmen. Es ist auch anzunehmen, dass Aufführungen beider Operetten auf bedeutenden Bühnen des Deutschen Reichs bereits in ihrer Entstehungsphase geplant waren. Richard Oschanitzkys Werk wird ein Jahr später diese Erfolge erleben, doch Emmerich Bartzers Premiere in Wien scheiterte an der Zensur der damaligen nationalsozialistischen Behörden: das religiöse Erntedankgebet zum Beginn der Operette Grüßt mein Banat passte nicht in die Darstellung der Banater Schwaben auf reichsdeutschen Bühnen. Somit geriet dieses Werk Bartzers ohne aufgeführt zu werden in Vergessenheit.

Politik kommt in beiden Libretti nicht vor. Dass aber die damalige nationalsozialistische Propaganda das Talent der beiden Komponisten geschickt ausgenützt hat, steht fest. Die Operetten Grüßt mein Banat und Mädel aus dem Kokaltal wurden rasch als Meisterwerke anerkannt und Oschanitzky Opus hat man als würdig empfunden, in einer vom Kraft-durch-Freude-Werk und dem Deutschen Auslandsinstitut in Stuttgart organisierten Deutschlandtournee präsentiert zu werden.

Lisa Lesco als Susi (1938)

Tanszene aus dem 1. Akt der Operette (Hermannstadt 1938)

Medaille des Mannheimer Nationaltheaters die Richard Oschanitzky 1939 nach dem Auftritt in dieser Stadt erhalten hat

 

Oper, Operette oder Singspiel?

 

Die deutschen Bühnen in Temeswar und Hermannstadt führten neben den gängigen Operetten von Strauss, Millöcker, Zeller, Lehar, Lincke auch Werke aus der engeren Heimat auf. So erklangen in Hermannstadt z.B. Berta Bocks Volksoper Die Pfingstkrone, wie auch Fritz Schullers Operette Das ferne Land. Doch keines dieser Werke konnte die Erfolge der Operette Oschanitzky Mädel aus dem Kokeltal übertreffen und kein anderes siebenbürgisches Werk wurde so oft im In- und Ausland aufgeführt.

Als Oschanitzky im Januar 1938 an der Operette mit seinem Ensembles geprobt hat, gab er für die Bühnenblätter des Deutschen Landestheaters in Rumänien ein Interview. Auf die Frage, ob sein Werk nun eine Oper, eine Operette oder ein Singspiel sei, antwortete er: „Das muss das Publikum entscheiden. Eine Oper ist es nicht, denn dazu ist das Ganze doch zu heiter. Ein Singspiel ist es nicht, denn dazu ist die Musik, so glaub ich wenigstens, doch zu gehaltvoll. Eine Operette nach Schema F ist es auch nicht, obwohl natürlich auch Schlager darin vorkommen. Ich habe versucht etwas Neues zu schaffen.“ Und das Neue ist ihm wohl gelungen, denn die Musik sprüht von Melodienreichtum und die Orchestrierung ist meisterhaft. Nicht nur Emmerich Kálmán steht als Pate, sondern auch Richard Strauss, dessen harmonischen Wendungen und Orchestrierungen unverkennbar sind. Trotzdem ist diese Operette etwas Originelles und Neues für diese Zeit und besonders für diesen Entstehungsraum. Ein Chronist schrieb: „Oschanitzky nennt sein Werk eine Operette, obwohl es mehr ist als das. Ein neues Genre, das an die besten Traditionen der klassischen Operette anknüpfend, mehr sein will, als nur platte, seichte Unterhaltung.

Das Libretto stammt von Hans Kelling, eigentlich der Künstlername von Josef Oschanitzky, einem Bruder des Komponisten. Dieser war als Redakteur in Bukarest tätig und hinterließ u.a. ein unveröffentlichtes fünfbändiges Werk über den Sprachkampf in Siebenbürgen um Stefan Ludwig Roth.

Auf die Frage, weshalb Oschanitzky gerade ein siebenbürgisches Motiv für seine Operette gewählt hat, antwortete er: „Ich wollte schon lange einen heimischen Stoff vertonen und wollte beweisen, dass auch in unserem ernsten Siebenbürgenland Frohsinn und Heiterkeit zu Hause ist…“ Und in einem anderen selbstverfassten Beitrag stellte der Komponist fest: „Die Aufführungen in Siebenbürgen, die einen ungewöhnlich großen Presse- und Publikumserfolg brachten, beweisen mir, dass mein Singspiel seine Daseinsberechtigung erwiesen hat. Und obwohl dies „Mädel aus dem Kokeltal“ erst einen Versuch bedeutet, der nur den Anfang einer Kunstform ist, die mir innerlich vorschwebt, und an deren Weiterentwicklung ich weiter zu schaffen beabsichtige, glaube ich fest an die Zukunft und Bedeutung des neuen deutschen Singspiels.“ Der erste Akt spielt in Kokelburg (Siebenbürgen, rumänisch Cetatea de Balta), der zweite in Berlin und der dritte Akt wieder in Siebenbürgen, diesmal in Steindorf.

 

Von Siebenbürgen nach Berlin

 

Kurz zum Inhalt der Operette: In Kokelburg lebt der junge Musiker Peter, dem die lieben Verwandten allerlei Schwierigkeiten bereiten. Man will ihn reich verheiraten und ihn in einen bürgerlichen Beruf hineinzwängen, weil Musik ja eine brotlose Kunst sei. Peter liebt aber Susi, ein armes Mädchen, das im Hause seiner Mutter wohnt. Da kommt die junge Malerin Thea, die als Ferienkind aus Deutschland einen Sommer lang in Kokelburg verbrachte, auf einer Studienreise durch Siebenbürgen, um ihren Jugendgespielen Peter wieder aufzusuchen. Kurz entschlossen folgt Peter der Einladung ihres Begleiters, des Grafen Benno von Treuenbrietzen nach Berlin, um sich dort weiterzubilden. Der erste Akt endet mit einer bunten Szene vor dem Gasthaus mit der aufmarschierenden Blaskapelle, dem Gesangverein, zahlreichen bunten sächsischen Trachten – alles vor der Kulisse eines typischen siebenbürgischen Kleinstadtbildes der Zwischenkriegszeit.

Der 2. Akt spielt in Berlin, wo Peter reiche Erfolge zuteil werden. Es findet ein üppiges Fest im Hause des Grafen Benno in Berlin statt, dabei wird auch Wein aus der Heimat Peters eingeschenkt, also echter Kokeltaler. Hier pulsiert der eigentliche Geist der Operette, mit Trinkliedern, Chören und Tänzen. Susi erscheint überraschend mit Stepanek in Berlin um Peter zu besuchen und musste feststellen, dass Thea sich in ihn verliebt hat. Sie reist sofort zurück nach Siebenbürgen, kann aber Peter nicht vergessen. Nachdem die zahlreichen Verwirrungen und Missverständnisse geklärt wurden, findet zum krönenden Schluss eine dreifache Hochzeit im siebenbürgischen Steindorf statt und das Hauptthema Mädel aus dem Kokeltal erklingt diesmal vom Chor und dem ganzen Solistenensemble gesungen.

Im Laufe der Handlung treten verschiedene Nebengestalten auf, schnurrige Käuze und lustige Figuren, so z.B. Professor Brenner, der dem Grafen die Stadt zeigt und diesem einiges aus der Geschichte Siebenbürgens erzählt. Auch Stepanek, ein ehemaliger Flötist der Stadtkapelle und Onkel Susis, tritt auf, der mit seinem böhmischen Akzent und seiner Originalität (Ein Ereignis steht bevor…) das Publikum zum Lachen bringt. Nacheinander folgen wohl durchdacht Prosatext, Dialog, besinnliche Lieder, lustige Szenen, komische Gestalten und effektvolle Orchester- und Choreinlagen.

 

Dichtung und Wahrheit

 

Das Libretto wurde geschickt mit solchen Themen durchwirkt, die auch in älteren und bedeutenderen Operetten vorkommen. So bietet z. B. der Antiquitätenhändler den „Originalturban des Sultans Soliman“ an, im Zigeunerbaron von Johann Strauss war es der letzte Pascha von Temeswar. Stepanek, der ehemalige Flötist der Stadtkapelle, gleicht mit seinen Buffo-Auftritten dem Schweinehändler aus der gleichen Operette. Professor Brenner erzählt Graf Benno Einzelheiten zur Stadtgeschickte, über die Rolle der Wehrtürme in siebenbürgischen Städten, über die halb eingemauerte Kanonenkugel von der türkischen Belagerung und an einer anderen Stelle werden die typischen siebenbürgischen handbemalten Teller und Krüge vorgestellt.

Die Orte der Handlung könnten auch ins Banat oder anderswohin verlegt werden. Dem Dirigenten Peter Oschanitzky nach, war ursprünglich Wien als Ort der Handlung im zweiten Akt vorgesehen. Und auf einem anderen Programm wird nur Siebenbürgen als Handlungsort genannt. Mit seiner Operette hat Richard Oschanitzky jedenfalls dem siebenbürgischen Kokeltal ein bleibendes Denkmal gesetzt. Auch der für diese Gegend typische Wein des Kokeltals kommt im Berliner Fest zur Geltung. Thea aus Berlin ist eines der ehemaligen „Ferienkinder“, wie sie in der Nachkriegszeit im Banat und in Siebenbürgen in vielen Sommermonaten anzutreffen waren. Diese kamen in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg in Scharen aus dem Deutschen Reich in diese deutschsprachigen Gegenden Rumäniens, wo sie bei Gastfamilien Erholung fanden. Und als Thea sich zurückerinnert an ihren ersten Besuch in Siebenbürgen, erklingt im Hintergrund das vom Chor gesungene Volkslied Af deser Jerd, das bis heute fast jeder Siebenbürger Sachse kennt. Oschanitzky sagte darüber: „Ich habe nur ein originalsiebenbürgisches Volkslied verwendet und zwar „Af deser Jerd do äs en Land“. Die musikalische Grundlage der Sachsen ist der Choral. Unsere ganze innere musikalische Einstellung geht von ihm aus, ebenso wie unser Leben sich auf die Kirche stützt und so habe ich viele Chöre aus dieser Stimmung heraus für mein „Mädel aus dem Kokeltal“ geschrieben…“ Dieses Lied ist eigentlich eine volkstümliche Komposition von Hermann Kirchner und wurde von Arthur Stubbe für eine Singstimme und Klavier bearbeitet.

 

Begeisterte Ovationen und Lorbeerkränze

 

Das Siebenbürgisch Deutsche Tageblatt, die Deutsche Tageszeitung und das Blatt Süd-Ost wetteiferten im Januar 1938 mit den Nachrichten um die Erfolge Oschanitzkys und der Deutschen Landesbühne mit der Operette Mädel aus dem Kokeltal. Schon wenige Minuten nach der Premiere vom 21. Januar 1938 verfasste der Chronist seine Zeilen: „… Für heute sei nur so viel verraten, dass der Komponist und die Mitwirkenden Gegenstand begeisterter Ovationen waren, dass dem Komponisten zwei Lorbeerkränze, eine silberne Lyra und mehrere andere Spenden überreicht wurden. Fast sämtliche Nummern der überreichen Partitur gelangten zur Wiederholung.“ Nach einer weiteren Aufführung berichtete die Zeitung, dass die vielen in Doppelreihen Wartenden vor der Theaterkasse ohne Eintrittskarten abziehen mussten, da der Saal „polizeiwidrig voll“ war. Selbst Stehplätze waren keine mehr vorhanden. Nach jedem Aktschluss wurde Richard Oschanitzky auf die Bühne gerufen, der Vorhang hob sich unzählige Male und es gab sogar Beifall bei offener Szene. Zu den Darstellern zählten Marianne Vincent, Hans Markus, Ella Nikolaus, Otmar Strasser, Lisa Lesco, Egon Bock, Grete Gregor, Fritz Schadt, die Spielleitung hatte Egon Bock, das Bühnenbild besorgte Gustav Binder. Einen besonderen Erfolg hatte Ottmar Strasser, der den lustigen Stadtmusikus Stepanek spielte.

Richard Oschanitzky als Dirigent des Temeswarer Deutschen Symphonieorchesters (um 1940)

Richard Oschanitzky in einer seiner Rollen am Temeswarer Deutschen Staatstheater (um 1955)

 

Die Aufführungen der siebenbürgischen Operette in Temeswar

 

Das im Jahre 1933 von Gust Ongyert gegründete Deutsche Landestheater in Hermannstadt war für das ganze Land zuständig. Somit musste das Ensemble mehrmals im Jahr auch durch das Banat reisen, um hier vor deutschem Publikum auftreten zu können. So kündigte die Banater Deutsche Zeitung in ihrer Ausgabe vom 6. April 1938 auch die Aufführung von Oschanitzky Operette Mädel aus dem Kokeltal auf der Temeswarer Bühne an und informierte die Leser von dem durchschlagenden Erfolg dieses Werkes in Hermannstadt: „Textlich außerordentlich geschickt und bühnenwirksam, dazu eine Musik, die nachhaltigsten Eindruck hinterlässt. Seit lange gab es in Sibiu nicht so viel Begeisterung, Wiederholungen und Applaus als in dieser Uraufführung. Dabei war die Begeisterung berechtigt, denn nicht nur der Melodienreichtum und die reiche Erfindungsgabe sind bei Richard Oschanitzky ungewöhnlich, sondern auch die vorzügliche Instrumentation. Farbenreichtum und Lebendigkeit sind so ins Auge fallend, dass sie mitreißen und fast mehr einer komischen Oper würdig sind. Das „Mädel aus dem Kokeltal“ ist eine erfreuliche und wahrhaftige Bereicherung unseres heimischen Musikschaffens und wir sind überzeugt, dass es auch im Ausland seinen Weg machen wird. (…) Die Aufführung wird zweifellos auch hier dem begabten Autor und Direktor Ongyerth samt seinem prächtigen Ensemble ein ganz besonderer Ehrentag werden.“

So fiel auch die Kritik nach der Erstaufführung dieses Werkes auf einer Banater Bühne wohlwollend aus. Die Zeitung änderte den Titel in Mädel aus dem Tarnavatal, was den Erfolg aber nicht gemindert hat. Darin wird u.a. vermerkt, dass der Name des Komponisten bereits durch seine Lieder auch im Banat nicht unbekannt war. Auch dem Werk wurde ein großer Erfolg vorhergesagt und es sei geeignet noch einige volle Häuser zu machen:

„Montag nachmittags wurde die mit großer Spannung erwartete Operette „Mädel aus dem Tarnavatal“ von dem als Liederkomponist bereits vorteilhaft bekannten Richard Oschanitzky, bei uns zum erstenmale aufgeführt und erzielte auch hier einen ungewöhnlichen Erfolg. Das dramatisch überaus wirksame und musikalisch höchst wertvolle Werk, das für den hochbegabten Komponisten entschieden einen Markstein seiner künstlerischen Entwicklung bedeutet, machte auf das volle Haus den denkbar besten Eindruck und riss die begeisterten Zuhörer, welche die Gesänge und Tänze stürmisch zur Wiederholung verlangten zu wahren Beifallssalven hin.

Unterstützt durch das lebensvolle und in eine interessante Umwelt geleitende Textbuch von Hans Kelling, ist Richard Oschanitzky glänzend gelungen, das dankbare Stück an die Grenze zu führen, die Oper und Operette scheidet. Umso bewundernswerter ist die Leichtigkeit, mit der es dem Komponisten möglich war, Orchesterwirkungen von berauschender Klangfülle in einen Operettenstil einzuordnen, der überdies graziösen tänzerischen Rhythmus mit aparter künstlerischer Konzeption verbindet. Dabei eine Üppigkeit an Melodik und ein überreicher Strauß von kostbaren Einfällen, welche dem Werk ihr ureigenstes Gepräge gaben.

Ebenso muss man die in jeder Beziehung saubere Darstellung, die mit der gestrigen hiesigen Erstaufführung das Jubiläum der 25. Wiedergabe der Operette beging, im vollsten Maße anerkennen, die unter der sehr sorgfältigen Spielleitung von Egon Bock, der auch für die wunderbaren Tänze zeichnete und unter der beschwingten musikalischen Leitung des Kapellmeisters Leopold Frint stand. Die prächtigen Bühnenbilder lieferte Gustav Binder, Ausstattung und Kostüme trugen zu dem durchschlagenden Erfolg der Operette wesentlich bei.

Was die Darstellung anbelangt, boten alle Mitwirkenden sowohl gesanglich wie schauspielerisch ihr Bestes. Grete Gregor als Malerin Thea aus München, ein ehemaliges Ferialkind in Kokelburg, sang ebenso vorzüglich wie sie spielte. Ihr Gegenstück Susi, das Mädchen vom Lande, verkörperte mit bezaubernder Anmut Lisa Lesco. Sie spielte, sang undtanzte mit ihrem ganzen Temperament und Reiz und hat es in sich, dass sie bei jedem ihrer Auftritte die Bühne belebt. Eine resolute Wirtin war Marianna Vincent, die auch geschmackvoll zu singen versteht. Ihr Sohn Peter ist eine Glanzrolle für Hans Markus, dessen wohltönende, schöne Tenorstimme von außergewöhnlichen darstellerischen Qualitäten und einer sehr vorteilhaften Bühnenerscheinung unterstützt wird. Egon Bock (Graf Benno) war als humorvoller Schauspieler und Kunsttänzer durchaus in seinem Element und erheiterte durch seine gediegenen Einfälle. Von urwüchsiger, bezwingender Komik war Otmar Strasser als pensionierter Stadtkapellist Stepanek. Dieser ausgezeichnete drastische Komiker quillt über von Temperament, Einfälle und Schnurren und hielt den ganzen Abend hindurch die Lachlust des Publikums aufrecht. (…) Die reizende Operette ist durchaus dazu geeignet, noch einige volle Häuser zu machen.“

Die gleiche Zeitung brachte 1938 auch die Ankündigung der Uraufführung einer weiteren Operette Richard Oschanitzkys, diesmal mit südamerikanischen Themen und dem Titel Miranda, im Rahmen der sechsten Spielzeit, also vermutlich im Frühjahr 1939. Ob es aber zu dieser Premiere gekommen ist, konnte nicht festgestellt werden.

Man verfolgte die großen Erfolge dieser Operette in den kommenden Monaten auch im Banat und brachte so manche Berichte in der Banater Deutschen Zeitung. Damit wurde der Name Richard Oschanitzkys den Musikliebhabern in Temeswar noch mehr bekannt. Dies wird ihm 1939 zu Gute kommen, wenn man ihn mit der Gründung und Leitung des Deutschen Symphonieorchesters beauftragen wird.

Bereits nach nur drei Monaten fand in Hermannstadt bereits die 25. Vorstellung der Operette Mädel aus dem Kokeltal statt. Diesmal kündigte die deutsche Zeitung diese Operette unter dem Titel Mädel aus dem Tarnavatal an. Der Grund ist in der damaligen rumänischen Gesetzgebung zu finden, wonach man Ortsnamen in den deutschsprachigen Zeitungen des Landes in der Landessprache angeben musste.

Schon in den ersten Chroniken die im Frühjahr 1938 erschienen sind, wurde über die Vorbereitung einer „endgültigen Fassung“ dieser Operette für die bevorstehende Tournee geschrieben. Diese Tournee ließ nicht lange auf sich warten und bereits ein Jahr später kam es dazu.

 

Der programmierte Siegeszug durch Deutschland

 

In Stuttgart, Mannheim, Saarbrücken, Leipzig, Wien und auf viele andere deutschen Bühnen erklang 1939 die Operette Mädel aus dem Kokeltal. Eine bessere Werbung für Siebenbürgen konnte man sich gar nicht vorstellen. Manche Vorstellungen bekamen über 30 Vorhänge und der Applaus wollte kein Ende nehmen. Man trat in über 100 Vorstellungen in 30 Städten auf. Das Ensemble bestand samt den Orchestermitgliedern aus über 80 Mitwirkenden. Und das bunte Bild auf der Bühne, mit den vielen sächsischen Trachten, der Blaskapelle, dem für viele Zuhörer exotisch wirkenden Bühnenbild mit Wehrtürme und alter Stadtmauer, wirkte äußerst erfolgversprechend auf das Publikum. Leider sind die meisten Kritiken und Berichte zu dieser Deutschlandtournee verloren gegangen, aber in einigen deutschsprachigen Zeitungen Rumäniens brachte man Berichte aus der reichsdeutschen Presse. Dadurch können wir mehrere Einzelheiten und Hintergründe zu dieser Tournee erfahren. Natürlich stand im Mittelpunkt dieser Deutschlandtournee auch der kulturpolitische Aspekt der damaligen Zeit.

Die meisten der Vorstellungen wurden vom Deutschen Auslandsinstitut, Stuttgart, organisiert und unterstützt vom nationalsozialistischen Kraft-durch-Freude-Werk. Dass diese Aufführungen einer deutschen Bühne aus dem fernen Ausland im „Mutterland“ Wellen geschlagen haben, ist verständlich. Man schrieb in den ausführlichen Zeitungsberichten über die bunten Trachten der Siebenbürger Sachsen, deren jahrhundertalte deutsche Kultur, über die urwüchsigen und originellen Gestalten aus dem Karpatenbogen, die alten Tänze und Volkslieder.

So berichtete eine Stuttgarter Tageszeitung über den Empfang der „volksdeutschen Brüder aus Siebenbürgen“ beim Oberbürgermeister der „Stadt der Auslandsdeutschen“, also in Stuttgart. Jede der 15 Aufführungen in Stuttgart war „Gegenstand stürmischer Kundgebungen für ihre im siebenbürgischen Volkstum wurzelnde Kunst.“

Natürlich war man auch von der Musik Oschanitzkys begeistert, die eine Erneuerung in der Welt der traditionellen Operette hervorgebracht hat. Dies war auch ausschlaggebend, dass man sowohl im Deutschen Reichssender wie auch in Wien an zwei Abenden jeweils ein fast zweistündiges Programm mit Auszügen aus dieser Operette gesendet hat. Letztendlich triumphierte die Musik und der unterhaltsame Aspekt trat in den Vordergrund. So brachte das

Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt vom 8. Juni 1939 folgenden Bericht:

 

Unser Deutsches Landestheater im reichsdeutschen Rundfunk

In diesem Artikel heißt es, dass Freitag, 9. Juni 1939 gleich nach den Nachrichten um 20.15 Uhr Teile der Operette Mädel aus dem Kokeltal von Richard Oschanitzky übertragen werden. Die Aufnahmen stammen vom Auftritt im Gautheater Saarbrücken. Ausgestrahlt wird dieses Werk vom Reichssender Saarbrücken und dem Reichssender Breslau. Da die Gesamtdauer fast 3 Stunden beträgt, wird eine Zusammenfassung von etwa 2 Stunden übertragen.

In einem anderen Artikel heißt es, dass einem aus Stuttgart eingetroffenen Brief zu entnehmen ist, dass die Aufführungen der Operette Mädel aus dem Kokeltal von Richard Oschanitzky sehr erfolgreich waren: „Die Erstaufführung ist eben vorbei. Maßgebende Leute sagen, dass ein derartiger Erfolg noch keinem Stück hier beschieden war. Es hat außerordentlich gut gefallen.“

Die Banater Deutsche Zeitung veröffentlichte gleich nach den ersten Erfolgen in Stuttgart einen interessanten Bericht, in dem wir weitere Einzelheiten über diese Tournee erfahren können:

„Unsere heimische Bühne, die gerade in diesem Jahre einige schwere Schicksalsschläge hinnehmen musste, hat nach mühevollen Vorbereitungen und nach Überwindung unzähliger Hindernisse unter der Leitung von Gust Ongyert die Reise ins Mutterland angetreten. Am 5. Mai fand im Stuttgarter Schauspielhaus die Reichsuraufführung des siebenbürgischen Singspieles „Mädel aus dem Kokeltal“ von Hans Kelling, Musik von Richard Oschanitzky, statt. Das Werk ist von den Autoren, gemeinsam mit Gust Ongyert neu bearbeitet worden. Dabei sind die volkstümlichen Elemente mehr in den Vordergrund gebracht worden. Die Reichsuraufführung in Stuttgart wurde zu einem eindeutigen und durchschlagenden Erfolg! Anteil daran hatte der Komponist Richard Oschanitzky, der sein Singspiel selbst dirigierte, der Spielleiter Gust Ongyert, der Bühnenbildner Gustav Sigetter. Die Rollenträger waren: Marianne Vincent, Hans Markus, Karlfritz Eitel, Rolf Weber, Anny Wolf, Ella Nikolaus, Ferry Waldoff, Helly Hienz, Gustav Haner, Otmar Strasser und Josef Karres, der schöne Chor, die Tanzgruppe und das Orchester des Deutschen Landestheaters. Anteil hatten aber auch das Deutsche Auslandsinstitut, das unser Landestheater eingeladen hatte und die NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude, die für Stuttgart allein 14 Vorstellungen übernommen hatte.“

Als man am 29. August 1939 in der Siebenbürgisch-Deutschen Zeitung zahlreiche Berichte über die Erfolge dieser Operette gebracht hat, die in Wiener Zeitungen veröffentlicht wurden, ahnte man noch nicht, dass dies die letzten Tage vor dem Beginn des zweiten Weltkriegs sein werden. Um so wichtiger ist es für uns heute, auch die Texte einiger dieser Kritiken aus dem Jahre 1939 zu kennen.

 

Unser Deutsches Landestheater in Wien

Die von ungewöhnlichem Erfolg begleitete Gastspielreise unserer heimischen Bühne hat ihre letzte Station, Wien, erreicht. Hier werden im Stadttheater 8 Vorstellungen gegeben. Auch in Wien steht der Eindruck, den unsere Schauspieler und Sänger, unter der Führung von Gust Ongyert, gemacht haben, über allen Erwartungen. Einige kurze Auszüge aus vielen ausführlichen Berichten sollen unsern Lesern einen Begriff vermitteln, wie die Kunststadt Wien unser Deutsches Landestheater empfangen hat:

 

Neues Wiener Tagblatt, 18.06.1939

Singspielerfolg im Stadttheater. „Mädel aus dem Kokeltal“, eine mit hübscher Musik von Richard Oschanitzky ausgestattete, höchst vergnügliche Angelegenheit, brachte den vorzüglich aufeinander eingespielten Darstellern wie dem dirigierenden Komponisten wiederholt auf offener Szene wie nach den Aktschlüssen stürmische Ovationen ein.

 

Volkszeitung, 20.06.1939

Urdeutsches Wesen. Gedanken zum „Mädel aus dem Kokeltal“. Unverfälschtes deutsches Wesen auf der Bühne in seiner schlichten Einfachheit und Größe zu schauen, ist gewiss herrlich. Die deutsche Seele in ihrer Eigenart zu erkennen, ist wundervoll. Ein solches Erleben bietet uns das siebenbürgische Singspiel von Hans Kelling „Mädel aus dem Kokeltal“. Vom Beginn an hat der Beschauer das Gefühl, dass hier Menschen ihr eigenes Leben vollkommen wahrhaft gestalten, ohne sich um Kunstkniffe zu kümmern… (Dr. Felix Potz)

 

Völkischer Beobachter, 19.06.1939

Das Gastspiel des rumänischen Deutschen Landestheaters im Stadttheater gestaltete sich zu einem großen und nachhaltigen Erfolg. Die Erkenntnis, dass das Publikum nach der Unzahl der immer wieder in hunderterlei Bearbeitungen gespielten klassischen Operetten nach neuen Stoffen verlangt, die auch weltanschaulich unserm Empfinden einigermaßen entsprechen, weist dem modernen Komponisten, der sich um diese Dinge ehrlich bemüht, auf eine etwa zwischen klassischer Operette und Volksoper liegende Form, das große Singspiel, in dem der Handlung, die wir heute nicht mehr als zweitrangig betrachten können, eine der Musik gleichwertige Rolle zufällt. Das von Hans Kelling geschriebene Buch zeichnet sich durch eine völlig unsentimentale Haltung aus, vielleicht, weil es aus dem heimatgebundenen Volkstum erwuchs, von dessen Kräften es gleich der Musik bis in die letzten Einzelheiten hinein gespeist wird. Der Dialog ist von einer herzerfrischenden Ursprünglichkeit und von wirkungsvollem Humor durchtränkt, während die Gesangsduette durchweg von starkem und echtem Gefühl getragen sind. Der Direktor und Gründer des Theaters Gust Ongyert führte mit Umsicht und dem Takt des erfahrenen Theatermannes Regie, wobei er die Möglichkeiten seiner Bühne und des Stückes in schönen Einklang brachte. (Dr. O. Gillen)

 

Neues Wiener Tagblatt, 19.06.1939

(…) Die flüssige Musik Richard Oschanitzkys weiß zu fesseln und für die tieferen, ursprünglichen Werte zu gewinnen. Die Spielleitung hat der Gründer des Theaters Direktor Gust Ongyerth inne. Wie er seine Kameraden, die in jedem einzelnen ein Stück Heimat auf die Bühne stellen, zu einer ausgeglichenen, auch stimmlich frischen und hochwertigen Spielschar zusammenhält, mit welch feierlichem Ernst er im Hochzeitszug und vor dem Kirchgang die reichen alten Trachten einsetzt – das allein genügt, um die Fülle von Arbeit und zähem Willen ahnen zu lassen, die in den sechs Jahren seiner Tätigkeit die größte auslandsdeutsche Bühne erstehen ließ. Alles fügt sich in den Dienst am fröhlich-besinnlichen Werk, über dessen begeisterte Aufnahme wir schon berichteten und die dem Mädel aus dem Kokeltal während seines Wiener Besuches sicherlich treu bleiben wird. (Fritz Skorzeny)

 

Kultur und Volk

Das Wertvollste an Handlung und Musik ist wohl der Umstand, dass beide aus dem uralten siebenbürgischen Volkstum gewachsen sind. Frei von aller Sentimentalität wird in diesem Werk doch echtem Gefühl Raum gegeben und der Beweis geführt, dass auch das volkstümliche Singspiel künstlerische Aufgaben größeren Umfanges zu lösen imstande ist. Die Aufführung unter der Leitung von Direktor Ongyerth und dem Komponisten am Dirigentenpult hatte Niveau und die Darsteller wurden nach allen Aktschlüssen lebhaft gefeiert.

 

Zwei Tage später veröffentlichte die gleiche Zeitung einen Bericht über den Empfang des Hermannstädter Ensembles durch den Wiener Gauleiter: „Die Wiener Ausgabe des „Völkischen Beobachters“ vom 23. d. M. enthält die Nachricht, dass Gauleiter Bürkel die Mitglieder der in Wien „spielenden Siebenbürger Deutschen Bühne“ am Donnerstag empfing, die in ihrer Heimattracht erschienen waren. Der Gauleiter stimmte dem Ansuchen der Gäste um Verlängerung der Spielzeit um eine Woche zu. Ein Lichtbildzeigt Gauleiter Bürkel mit Direktor Ongyerth und seiner Gattin, Richard Oschanitzky, Ella Nikolaus und Hans Markus.“

Zum letzten Mal wird diese Operette im gleichen Blatt vom Ende August 1939 genannt, bevor sich die Spuren dieses musikalischen Meisterwerks für über 75 Jahren verlieren werden. Darin geht es um Übertragung einer Wiener Vorstellung durch den Reichssender Wien: „Am Dienstag, den 29. August 1939 erfolgte durch den Reichssender die Übertragung einer Vorstellung des Deutschen Landestheaters, die am 19. Juni im Stadttheater in Wien zum Abschluss der Gastspielreise stattgefunden hat. Gespielt wurde die siebenbürgische Operette „Mädel aus dem Kokeltal“ von Richard Oschanitzky unter der musikalischen Leitung des Komponisten. Die Spielleitung hatte Gust Ongyerth. Die Hauptrollen lagen in den Händen der Damen: Ella Nikolaus, Helly Hienz, Anny Herberth, Marianne Vinzenz und der Herren Hans Markus, Karlfritz Eitel, Hans Dafert, Rolf Weber, Otmar Strasser, Gustav Haner u.a. Beginn der Übertragung 21 Uhr 15 nach unserer Zeit. Ende 23 Uhr. (Gekürzte Rundfunkwiedergabe).“

 

Der Schöpfer der Operette

 

Wenn wir heute den Namen Richard Oschanitzky hören, denken wir meist an den berühmten Jazzpianisten und Komponisten, der in Temeswar geboren, während seines kurzen Lebens (1939-1979) die Leichtmusikszene Rumäniens grundlegend beeinflusst hat. Der Schöpfer der Operette Mädel aus dem Kokeltal aber war sein Vater, der am 17. Dezember 1901 in Hermannstadt geboren wurde. Bereits als Schüler des Brukenthal-Gymnasiums nahm er Unterricht bei keinem minderen als dem damaligen Kirchenmusiker und Musikvereinsdirektor Johann Leopold Bella. Er leitete damals bereits den Gymnasial-Gesangverein Concordia und führte einige eigene Kompositionen auf. Nach einem kurzen Philosophiestudium in Wien wechselte er an die dortige Musikakademie (1920-1921) und danach an die Musikhochschule in Sonderhausen (Thüringen, 1921-1923). Vorübergehend war er Kapellmeister am Hermannstädter Stadttheater und Chormeister des Kronstädter Deutschen Liederkranzes (1924-1925). In einem seiner Kronstädter Konzerte führte er in der Aula des Honterus-Gymnasiums auch eigene Lieder und Chöre auf, die bereits zwischen 1915-1917 entstanden sind. Der Text einiger dieser Lieder stammt aus seiner Feder.

In den Jahren 1925-1927 wirkte er als Lehrer und Organist der deutschen evangelischen Gemeinde in Bukarest wie auch als Dirigent der Bukarester Deutschen Liedertafel. In der rumänischen Hauptstadt gab er sogar ein Orgelkonzert für die rumänische Königin Maria.

Danach kam Richard Oschanitzky für kurze Zeit als Lehrer an das Realgymnasium in Bistritz.

Der Musikwissenschaftler Karl Teutsch, der ihm anlässlich seines 100. Geburtstags in der Siebenbürgischen Zeitung einen Artikel gewidmet hat, stellte fest, dass Oschanitzky 1929-1930 am Staatskonservatorium in Würzburg Komposition und Dirigieren studiert hat, nach der eine wechselvolle Dirigententätigkeit in Wien, Stralsund, Berlin und Hermannstadt folgte. Dr. Oskar Klöffel schrieb im Fränkischen Volksblatt nach dem Dirigat von Richard Oschanitzky in Würzburg: „Führung war unzweifelhaft am Pult bei Oschanitzky, der fraglos die beste Dirigentenleistung bot und Herr der Lage, seiner, des Stückes und der ausführenden Meister, mit seinem energiegeladenen Tempo, kräftigen Abschatten, festen Zusammennehmen aus dem Kompositionsversuch mehr Wirkung in den Saal trieb, als andere mit Meisterwerken.“

Noch während seines Studiums publizierte der Musikverlag Bote & Bock seine Rosensuite für Klavier wie auch seinen Liederzyklus Japanische Lieder. Nachdem im Jahre 1933 die Sängerin Traute Lienert in einem Liederabend Werke von Rudolf Lassel, Paul Richter und Richard Oschanitzky vorgetragen hat, war man über diesen neuesten Liederzyklus begeistert. Der Chronist schrieb darüber: „Lebhaftes Interesse beanspruchte der japanische Liederzyklus des jungen, begabten, heimischen Musikers Richard Oschanitzky. Es sind tiefempfundene, bei aller Modernität von seltenem Wohllaut durchflutete Kompositionen eines Schaffenden, dessen weiterem Wirken zweifellos noch manches Große und Schöne entsprießen wird.“ Sein Ballett Die Biene Maya wurde sogar von einem Dresdner Hochschulprofessor als „musikalische Schmiedekunst“ bezeichnet. 1934-1935 war er als Organist in Agnetheln tätig.

Ausschlaggebend für seine weitere Tätigkeit war seine Berufung durch den Direktor des 1936 neu gegründeten Deutschen Landestheaters in Rumänien, Gust Ongyert, als Kapellmeister nach Hermannstadt. Und hier entstand seine Operette Mädel aus dem Kokeltal, deren Premiere am 21. Januar 1938 stattgefunden hat. Diese hatte nicht nur einen durchschlagenden Erfolg, sondern erlebte binnen eines Monats bereits 10 Aufführungen. Der Chronist des Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatts prophezeite diesem Werk einen Siegeszug „über viele deutsche Bühnen auch außerhalb unseres Vaterlandes“, was sich 1939 auch verwirklichen wird.

Nach einer dreimonatigen Tournee des ganzen Ensembles durch Deutschland im Jahre 1939, nach über 100 Auftritten in 30 Städten wie z.B. Wien, Stuttgart und Leipzig mit einer unbeschreiblichen Erfolgsgeschichte, wird Richard Oschanitzky noch im selben Jahr zum Dirigenten des neu gegründeten Deutschen Symphonieorchesters in Temeswar ernannt. Nebenbei wirkte er als Lehrer am Städtischen Konservatorium. Dieses Symphonieorchester bestand aus denselben deutschen, rumänischen, serbischen, ungarischen und jüdischen Mitgliedern, die einige Jahre davor in der Gesellschaft der Musikfreunde und im ehemaligen Temeswarer Philharmonischen Verein mitgewirkt haben. Nur diesmal wirkte das „deutsche“ Symphonieorchester unter der Schirmherrschaft des nationalsozialistischen Kraft-durch-Freude-Werkes. Bis kurz vor dem 23. August 1944, als die Sowjetarmee in Rumänien einmarschiert ist, arbeitete Oschanitzky mit diesem Klangkörper, gab in der Kriegszeit zahlreiche Benefizkonzerte und versuchte den Menschen durch die Musik etwas Trost zu bringen. Doch diese Tätigkeit wurde ihm nach dem Krieg von den neuen Machthabern schwer angelastet und so kam er mit zehntausenden anderen Deutschen im Januar 1945 in russische Deportation. Nach seiner Entlassung wirkte er als Dirigent der Ungarischen Oper in Klausenburg und kam 1950 zurück nach Temeswar, wo er als Chormeister an der Oper und als Schauspieler am neu gegründeten Deutschen Theater tätig war. In diesen Jahren entstanden u.a. seine Vertonungen der Schilflieder Nikolaus Lenaus, die ins ständige Repertoire des Temeswarer Franz-Schubert-Chores aufgenommen wurden. Von ihm stammt auch eine zweite Operette mit dem Titel Miranda die größtenteils nach südamerikanischen Motiven komponiert wurde. Richard Oschanitzky starb am 26. Juni 1971 nach langer schwerer Krankheit in der Banater Gemeinde Billed.

Dirigent Peter Oschanitzky (geb. 1941 in Temeswar)

Karl Teutsch schrieb in seiner Würdigung im Jahre 2001, dass nun auf den Schultern des Temeswarer Dirigenten Peter Oschanitzky die Hoffnung ruht, „dem Vergessen, das sich über seinem Vater und seinem Bruder ausbreitet, entgegenzuwirken.“ Vieles hat dieser bereits neben seiner erfolgreichen Dirigententätigkeit in ganz Europa durchgeführt. So findet in Jassy regelmäßig ein Richard-Oschanitzky-Festival statt, bei dem die Werke seines älteren Bruders aufgeführt werden; in Temeswar und Bukarest hat er bereits einige dieser größeren symphonischen Werke aufgeführt und auch eingespielt. Selbst die Operette seines Vaters Mädel aus dem Kokeltal, für ihn eine Herzensangelegenheit, wollte er nach 1990 in adaptierter Fassung an den Opernhäusern in Temeswar in rumänischer Sprache und in Osijek / Esseg (Kroatien) in kroatischer Sprache aufführen, doch es kam nie dazu. Um so erfreulicher ist es nun, dass mit seiner Hilfe diese Operette, 76 Jahre nach ihrem Siegeszug durch 30 Städte Deutschlands, wieder erklingen kann. Vielleicht wird sie irgendwann auch wieder auf der Hermannstädter Bühne zu hören und zu sehen sein, wo sie 1938 ihre so erfolgreiche Premiere gefeiert hat.

 

Copyright © Dr. Franz Metz, München 2014

[Home] [Bücher] [Noten] [CD] [Musikwissenschaft] [Komponisten] [Artikel] [Editor] [Organologie] [Kontakt] [Impressum] [Links] [Konzert]